Es muss ihm auch ein bisschen Spaß gemacht haben. Der Kanzler spielt Agent, platziert Bleistifte auf Akten und guckt am nächsten Tag, ob sie noch genauso da liegen.
Willy Brandt macht das, so erzählt sein damaliger Redenschreiber Klaus Harpprecht die Geschichte in der neuen RBB-Dokumentation „Der Kanzlerspion“, weil er es so in den Spionagefilmen seinen Jugend gesehen hat. Brandt will seinen Referenten Günter Guillaume überführen.
Innenminister Hans-Dietrich Genscher (FDP) hatte Brandt informiert, dass Guillaume verdächtigt wird, ein Spitzel der DDR zu sein. Doch es gab keine Beweise. Die Sache mit den Bleistiften zeigt auch, wie naiv und instinktlos Brandt zu dieser Zeit war.
Wehner und Schmidt zogen die Fäden
Das ist die einzige Komponente, die in dem Film über Günter Guillaume fehlt: Wer war Willy Brandt, wie ging es ihm nach der gewonnenen Wahl 1972, wie viel Macht hatte er?
Nicht viel, sagen die, die dabei gewesen sind. SPD-Fraktionschef Herbert Wehner und Finanzminister Helmut Schmidt (SPD) führten die Regierung. Brandt hatte depressive Phasen, kam zum Teil nicht mal aus dem Bett raus. 1973 beklagte sich Wehner in einem Interview über Brandt mit den Worten: „Der Herr badet gerne lau.“ Guillaume war nicht der Grund für den Rücktritt des ersten sozialdemokratischen Kanzlers der Bundesrepublik, lediglich der Anlass.
Doch das alles wird ausgespart. Die detaillierte, spannende Dokumentation konzentriert sich auf Guillaume, wirft einen Blick zurück in die große Zeit der Spionage, den Kalten Krieg, die Klaustrophobie der 70er-Jahre. Im RBB-Film von Gabriele Denecke kommen Wegbegleiter Brandts zu Wort, es gibt auch alte O-Töne von Guillaume und seiner Frau Christel. Denecke arbeitet mit alten Filmaufnahmen, zwischendurch gibt es Animationen in dezenten Anthrazittönen.
„Der war so ’ne Betriebsnudel“
Guillaume kommt mit seiner Frau 1956 in den Westen, als Republikflüchtling. Eröffnet am Dom in Frankfurt/Main ein Tabakgeschäft, mit Geld von der Staatssicherheit. Ein Jahr später tritt er in die SPD ein. Guillaume sorgt dafür, dass der Kaffee heiß und das Bier kalt ist, erzählt ein Genosse der Hessen-SPD. „Der war so ‘ne Betriebsnudel.“
Guillaume kann organisieren. So schafft er es bis ins Kanzleramt – was die Stasi gar nicht vorgesehen hat und die Führung in Ost-Berlin auch nervös macht. Staatsminister Egon Bahr (SPD) ist zwar gegen Guillaume: „Kanzleramt ist zu sensibel.“ Aber er kann sich nicht durchsetzen.
Im Palais Schaumburg in Bonn geschieht dann etwas Seltsames: Guillaume erliegt dem Charisma Willy Brandts, beginnt innerlich die Front zu wechseln, berichtet seinen Vorgesetzten bei der Stasi, dass Brandt es erst meint mit der Neuen Ostpolitik. Als er im April 1974 verhaftet wird, ist ihm die DDR fremd geworden.
Guillaume dachte, er „tut etwas für den Frieden“, sagt Bahr. Am Ende sorgte er dafür, dass der Friedensnobelpreisträger zurücktreten musste. Guillaume sagte dazu einmal: „Ich war der Knüppel, mit dem Brandt aus dem Amt getrieben wurde.“
ARD, heute, 23.30 Uhr.