Historischer Ort

Das Rathaus Schöneberg feiert 100-jähriges Bestehen

| Lesedauer: 12 Minuten
Tanja Laninger und Brigitte Schmiemann

Das Schöneberger Rathaus wird 100 Jahre alt. Dazu gibt es eine Fotoausstellung. Öffentlich gefeiert wird das Jubiläum am Sonntag mit dem Konzert „GlockenKlang“ auf dem John-F.-Kennedy-Platz.

Da steht er. Wuchtig. Dunkelbraunes Holz. Alt. Der Schreibtisch muss mindestens 100 Jahre alt sein, genauso alt wie das Rathaus Schöneberg. Von Anfang an gehörte der Schreibtisch zur Ausstattung des Bürgermeister-Zimmers im ersten Stock des Rathauses. Politiker wie Konrad Adenauer saßen anlässlich des Kennedy-Besuch in Berlin 1963 schon an ihm. Heute ist das repräsentative Zimmer mit den viereinhalb Meter hohen Wänden, in dem vieles original erhalten ist, der Arbeitsplatz von Bezirksbürgermeisterin Angelika Schöttler (SPD).

„Vor allem gegenüber Besucherinnen und Besuchern, die das erste Mal im Rathaus Schöneberg sind, empfinde ich durchaus ein wenig Stolz, an dem Schreibtisch zu sitzen, von dem aus unter anderem Alexander Dominicus, Ernst Reuter und Willy Brandt gewirkt haben. In der Alltagsroutine spielt das allerdings keine Rolle. Hier geht es um aktuelle kommunalpolitische Themen und Entscheidungen, die im Hier und Jetzt getroffen werden müssen“, so die Kommunalpolitikerin. Eine Sitzgruppe mit acht Plätzen bietet in dem großen von vier hohen Fenstern erhellten Raum Gelegenheit zum Treffen mit anderen. Willy Brandts Büste thront auf dem Schrank gleich gegenüber.

„GlockenKlang“-Konzert für alle

Bis 1949 diente dieses mit wandhoher Holzvertäfelung und wagenradgroßen Leuchten ausgestattete Amtszimmer den Schöneberger Bürgermeistern, nach dem Krieg bis 1991 den elf Regierenden Bürgermeistern der eingemauerten Stadt West-Berlin. Das Bezirksamt von Schöneberg wurde zum „Untermieter“. Beim Festakt anlässlich des 100-jährigen Baujubiläums des Rathauses am kommenden Freitag (11.4.) wird auch die Geschichte eine große Rolle spielen.

Die ehemaligen Regierenden Bürgermeister Eberhard Diepgen und Walter Momper werden aus ihrer Zeit im Rathaus Schöneberg erzählen. Für die musikalische Untermalung sorgt der Saxofonist Gert Anklam. Der 45-Jährige hat bereits im Denkmal der Völkerschlacht musiziert, in der Assembly Hall der Vereinten Nationen in New York und in der Verbotenen Stadt in Peking. Auftritte im Rathaus Schöneberg bieten dem gebürtigen Ost-Berliner „Möglichkeiten zur künstlerischen Auseinandersetzung mit politischen und historischen Räumen“.

Der Festakt ist nur für geladene Gäste gedacht. Öffentlich gefeiert wird das Jubiläum am Sonntag (13.4.) mit dem Konzert „GlockenKlang“ auf dem John-F.-Kennedy-Platz, umsonst und draußen, egal bei welchem Wetter. Und seit dem 4. April ist die Ausstellung des Fotografen Volker Wartmann „Verschlusssache – Geheimnisvolle Orte im Rathaus Schöneberg“ zu sehen.

Eine Trinkhalle mit zechenden Politkern

Wartmann zeigte sich nach seinem monatelangen Durchwandern der Gänge und Räume überrascht von der Aufgeschlossenheit der Mitarbeiter, die ihm noch die verstecktesten Räume zeigten – wie einen Tresor als Arbeitsplatz –, und fand es „schön, dass so viel Patina, so viel Geschichte zu erleben ist, ohne dass sie konserviert wurde. Es ist eben kein Museum.“

Einer seiner Lieblingsräume wurde die Trinkhalle, und dort im Souterrain sollte ein Rundgang durchs Rathaus Schöneberg beginnen. Die Pracht dieses geheimnisvollen Ortes lässt sich durch die Glastüren nur erahnen. Es ist eine Nische in der Nähe des Ratskellers mit drei bemalten Wänden, die die Angestellten „Trinkhalle“ nennen. Das dreiteilige Wandfresko stammt von dem Karikaturisten Arthur Johnson, die Abgebildeten sind namhafte Politiker der Weimarer Zeit, darunter Theodor Heuss, der 1919 Stadtverordneter in Schöneberg war und 1949 zum ersten Präsidenten der Bundesrepublik Deutschland gewählt wurde.

Der Chefkarikaturist der politisch-satirischen Zeitschrift „Kladderadatsch“ malte sie einmal beim saftigen Streit, mit Mistgabeln, Sicheln und Schwertern und anschließend in fröhlicher Runde zechend. Dazu schrieb er treffend: „Hart für das Wohl der Gemeinde befehden sich oben die Geister. Unten versöhnt sie des Weins Frieden gebietender Geist!“

Vor der Einweihung brach der Erste Weltkrieg aus

Das Fresko stammt aus dem Jahre 1929. Da war das Rathaus bereits etwa 15 Jahre alt. Notwendig wurde der Neubau wegen der stark angewachsenen Bevölkerung. Die Einwohnerzahl Schönebergs war zwischen 1871 und 1900 von 4555 auf 95.998 angestiegen. Für das Verwaltungspersonal gab es schlichtweg nicht mehr genügend Platz im alten Rathaus am Kaiser-Wilhelm-Platz. 1911 erfolgte die Grundsteinlegung nahe dem Mühlenberg und Stadtpark.

Bereits 1913 zogen die ersten Abteilungen ein. Am 25. März 1914 tagte dann erstmals die Stadtverordnetenversammlung im neuen Rathaus. Zur für Oktober 1914 geplanten Einweihungsfeier kam es jedoch nicht mehr, denn kurz davor brach der Erste Weltkrieg aus. Viele Räume wurden der Kriegswirtschaft unterstellt, der Ratskeller wurde zur Volksküche.

Das Rathaus mit seinen 550 Räumen, fünf Innenhöfen sowie der glasüberdachten Ausstellungshalle, die gerade saniert wird, will ein offenes, einladendes Haus sein. 14 große Veranstaltungsräume, wie der BVV-Saal oder der halbrunde Louise-Schröder-Saal, kommen hinzu. Entsprechend hoch sind die Kosten. Allein 308.000 Euro musste das Bezirksamt im vergangenen Jahr für Heizung und 298.000 Euro für Strom zahlen. Rund 400 Mitarbeiter arbeiten im Rathaus. Nach dem Umbau, der voraussichtlich im Herbst beginnen soll und für den fünf Millionen Euro im Bezirkshaushalt eingeplant sind, könnten es laut Stadtrat Daniel Krüger (CDU) bis zu 550 sein. Die Veranstaltungssäle werden wegen des Umbaus, bei dem vor allem auch Brandschutzdefizite behoben werden sollen, nur noch bis Ende September vermietet.

Willy-Brandt-Saal heißt „Leichenhalle“ und liegt im ersten Stock

Zu den großen Sälen im Haus zählt der Willy-Brandt-Saal. Die Putzfrauen nennen ihn „Leichenhalle“, und durchaus sorgt die weiße Wandfarbe dort für extreme Ernüchterung – oder Neutralität. Rund 300 Personen finden dort Platz. Einst als „Bürgersaal“ für kulturelle Veranstaltungen vorgesehen und genutzt, wurde er mit der Teilung der Stadt zum Plenarsaal des Berliner Abgeordnetenhauses umfunktioniert – und so oft umgebaut, dass kaum etwas Ursprüngliches erhalten geblieben ist.

Der Präsident des Abgeordnetenhauses leitete jede Sitzung ein mit den Worten: „Ich eröffne…und bekunde unseren unbeugsamen Willen, dass die Mauer fallen und das Deutschland mit seiner Hauptstadt Berlin in Frieden und Freiheit wiedervereinigt werden muss.“ Dass der Saal später den Namen des SPD-Politikers Willy Brandt bekam – er war von 1957 bis 1966 Regierender Bürgermeister von Berlin – geht ausgerechnet auf die Bezirksfraktion der CDU zurück.

Sie hat dadurch verhindert, dass sich die SPD-Idee durchsetzte, den Raum nach einer weltberühmten Schönebergerin zu benennen, der Schauspielerin Marlene Dietrich. Genau in diesem Willy-Brandt-Saal findet nun am Freitag der Festakt zum Jubiläum statt.

2006 wurden zehn Bürgermeister-Portraits gestohlen

Lustwandeln lässt sich besser daneben: in der vor den Sälen liegenden Brandenburghalle. Sie ist 60 Meter lang und war Schauplatz glamouröser Festessen, so 1967 für Mohammad Reza Pahlavi, Schah von Persien, Königin Elisabeth II. und 1963 für den US-Präsidenten John F. Kennedy, dem wohl bekanntesten Rathaus-Gast. Er legte damals vor Hunderttausenden Berlinern auf dem Rathaus-Platz sein Bekenntnis zu Berlin ab: „Ich bin ein Berliner“. Der Platz wurde nach der Ermordung Kennedys von Rudolph-Wilde- in John-F.-Kennedy-Platz umbenannt.

Nach der Wiedervereinigung der Stadt zog die Stadtregierung ins Rote Rathaus, das Stadtparlament in den Preußischen Landtag. Seit 1993 ist das Rathaus Schöneberg – wie in der Vorkriegszeit – auf die Bezirkspolitik beschränkt. Hier tagt regelmäßig die Versammlung der 55 Bezirksverordneten (BVV), um über die Entwicklungen in Tempelhof-Schöneberg zu beraten und Beschlüsse zu fassen. Nur selten wird die Alltagsroutine von besonderen Vorkommnissen durchbrochen: So mussten zum Jahresende 2006 Polizeibeamte ermitteln, nachdem aus dem BVV-Saal zehn Portraits verschiedener Bürgermeister und Vorsteher verschwunden waren.

Der Dieb stellte sie Tage später wieder vor dem Rathaus ab – bis auf eines, das den beigeordneten Bürgermeister Paul Blankenstein zeigt. Dieses kam über eine Auktion und Schenkung nach Polen, wurde später aber von den neuen Besitzern an den Bezirk zurückgegeben. Bezirksbürgermeisterin Schöttler lud das polnische Paar zum Dank ins Rathaus ein. Das Porträt hängt nun oberhalb der Pressesitzplätze.

Koeppel-Gemälde im „Goldenen Saal“

Glamour gab es und Raum für Lichtspiele: Sogar ein Kino hat das Rathaus zu bieten. Es befindet sich im Erdgeschoss und wird nur noch gelegentlich genutzt, etwa um Schulklassen Filme vorzuführen. Das gesamte Haus, in dem sich Fremde leicht verlaufen können, atmet Geschichte. Aus jüngerer Zeit stammen zwei großformatige Wandgemälde an den Schmalseiten des „Goldenen Saals“.

Anlässlich der 750-Jahr-Feier der Stadt Berlin im Jahr 1987 zeigt der Maler Matthias Koeppel auf Ihnen die Endlichkeit des damaligen West-Berlin: Auf dem einen Gemälde ist der Martin-Gropius-Bau mit der damaligen Senatsmannschaft zu sehen, im Hintergrund die Mauer, hinter der Mauer der Preußische Landtag, der heutige Sitz des Berliner Abgeordnetenhauses. Auf dem anderen Gemälde sieht man eine Strandszene an der Havel, wie sie den West-Berlinern damals vertraut war, im Hintergrund die Sacrower Heilandkirche, davor das Boot der Grenzpatrouille der DDR.

Auch der 70 Meter hohe Turm gehört zu den in der Wartmannschen Ausstellung zu sehenden und auch tatsächlich geheimnisvollen Orten des Rathauses. Bis vor drei Jahren konnte jeder dort einfach hinauflaufen. Doch inzwischen ist es aus Sicherheits- und Brandschutzgründen untersagt. Nur geführte Gruppen dürfen den Turm gelegentlich besteigen. Dabei lohnt es sich, hängt im oberen Teil doch die Freiheitsglocke. Und so arbeitet das Bezirksamt an einem Konzept, das die Besichtigung der Freiheitsglocke wieder ermöglichen kann.

Kein Zugang mehr zur Freiheitsglocke

Denn den Guss der Freiheitsglocke hatten mehr als 16 Millionen Amerikaner ermöglicht. Sie spendeten nicht nur Geld, sondern leisteten bei ihrem „Kreuzzug für die Freiheit“ auch einen Freiheitsschwur. Ihre Unterschriftenlisten werden noch heute in Hunderten von Original-Paketen, die US-Amerikaner per Flugzeug und Schiff schickten, in einer Kammer im Turm aufbewahrt. Diese Unterschriften sind ein kleines Puzzle-Stück auf dem Weg zur deutschen Einheit.

Sie verstauben unbeachtet im Rathausturm, gleichwohl immer mal wieder amerikanische Touristen unten vor dem Portal des Hauses nach der Glocke fragen – und sie dann nicht besichtigen können – und obwohl sich 500.000 Berliner vor dem Rathaus Schöneberg versammelt hatten: Damals, als die Glocke am 24. Oktober 1950 zum ersten Mal erklang – für die Freiheit Berlins. Seitdem läutet sie jeden Tag um 12 Uhr.

Die Ausstellung „Verschlusssache – Geheimnisvolle Orte im Rathaus Schöneberg“ ist bis zum 27. April im Foyer des Rathauses Schöneberg zu sehen und täglich geöffnet. Der Eintritt ist frei. Am kommenden Sonntag (13. April) ist mit „GlockenKlang“ um 19.30 Uhr auf dem John-F.-Kennedy-Platz ein Konzert für Notglocken, Elektronik und Voiles zu erleben. Die Komposition der Musiker Steve Schroyder, Wolfram Spyra, Udo P. Leis, B. Ashra und Rainer von Vieles ist als Auftragsarbeit zum Jubiläum entstanden.

„Verschlusssache – Geheimnisvolle Orte im Rathaus Schöneberg“ heißt das Buch des Fotografen Volker Wartmann. Es ist im Westkreuz-Verlag erschienen 24,90 Euro). 40 der 86 Bilder sind in der Ausstellung zu sehen.