Asylbewerberheim

Wie Neuköllner Bürger Neonazis keine Chance lassen

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Christine Eichelmann

Foto: Sergej Glanze / Glanze

Bürger gegen Rechts: Rund um das Britzer Heim für Asylbewerber engagieren sich viele Bewohner und unterstützen die Flüchtlinge. Rechte Propaganda und Fremdenhass sind hier nicht willkommen.

Plötzlich war das Thema ganz nah. Hatte die Distanz vom Fernseher bis nach Britz übersprungen und war in der Nachbarschaft von Saskia Pitschka angekommen. Irgendwann im vergangenen Jahr hatte sie den ersten Flyer in der Hand gehalten, in dem das Bezirksamt über den Bau von Neuköllns erstem Flüchtlingsheim an der Haarlemer Ecke Neue Späthstraße informierte.

400 Menschen sollen in der als Zwischennutzung auf Privatgrund geplanten Notunterkunft Aufnahme finden. Am 10. März zogen die ersten 76 Asylsuchenden aus mehr als zwölf Nationen ein.

Saskia Pitschka war schon dort. Mit ihrer Mitschülerin Katharina Ritter und Kunstlehrerin Uta Schärf kam die 19-Jährige, im Gepäck Graffitis, die an der Clay-Oberschule in Rudow entstanden sind und – so hoffen die Schüler des Kunstkurses – irgendwann in dem Heim hängen könnten.

„Schatten auf den Festen der Menschenrechte“ heißt das Projekt, in dem die Schüler auch Objekte aus Metallgeflecht fertigten. Da greift eine Hand in Stacheldraht, ein Mensch balanciert halsbrecherisch über solch ein Hindernis.

Gegendemo zum NPD-Aufmarsch in Neukölln

Der Kunstkurs hat die Arbeiten in einer Inszenierung in der Schule präsentiert, mit dabei waren Bezirkssozialstadtrat Bernd Szczepanski und die Abgeordnete Canan Bayram (beide Grüne). Vor allem aber „wollten wir junge Leute ansprechen, bei denen Vorurteile oft schon festsitzen“, sagt Katharina Ritter. Die Abiturientin kennt das. Auch an der Clay-Oberschule sind Ressentiments gegen Fremde nicht unbekannt, trotz vieler Migranten unter den Schülern.

Die NPD marschierte in Neukölln gegen die Flüchtlingsunterkunft auf, zuletzt zwei Tage vor sowie zwei Tage nach dem Erstbezug. Wenige rechte Aktivisten standen dabei jeweils 150 bis 300 Gegendemonstranten gegenüber. Ein großer Teil sei aus dem Umfeld gekommen, sagt Jürgen Schulte. Der pensionierte Lehrer gehört zur Anwohnerinitiative „Hufeisern gegen Rechts“, die 2012 als Reaktion auf rechten Terror in der Britzer Hufeisensiedlung entstanden war.

Drei Brandanschläge, einer mit Sprengstoff, sowie mehrere tätliche Angriffe mit Körperverletzungen gab es dort in zwei Jahren. Allein drei der Attacken richteten sich gegen das Haus von Christiane Schott. Weil diese im Sommer 2011 eine Werbeschrift der NPD nicht hatte annehmen wollen, war Schott mit ihrer Familie ins Visier der Rechtsextremen geraten. „Hufeisern gegen Rechts“, gedacht als Selbsthilfegemeinschaft, wurde schnell zum Motor verschiedenster Aktionen im südlichen Neukölln.

Ein zweites Hellersdorf verhindern

Im September 2013 lud die Bürgerinitiative zur ersten Infoveranstaltung über das Flüchtlingshaus in Britz. Selbst dem Bezirksamt kamen die Initiatoren damit zuvor. Gerade erst waren die Bilder aus Hellersdorf über die Bildschirme geflimmert, von grölenden NPD-Anhängern und grimmigen Nachbarn eines Aufnahmeheims. Man wolle alles tun, damit es kein zweites Hellersdorf gebe, so Jürgen Schulte damals.

500 Menschen kamen 2013 zu der Infoveranstaltung. Daraus entwickelte sich ein Unterstützerkreis für die Flüchtlinge, der zu jedem rechten Aufmarsch im Kiez eine Gegendemonstration mobilisiert. Das Engagement aber geht viel weiter. Ein Abend Mitte Februar 2014, in einem Raum der Stadtmissionsgemeinde in Britz: Das Treffen der Unterstützer hatte schon begonnen, da ging die Tür noch immer auf und zu. Die letzten Nachzügler hockten sich auf den Boden. Eine Dreiviertelstunde zu spät waren sie gekommen und hatten bereits das Meiste verpasst. Es ging schnell voran in der Tagesordnung. Nicht aus Eile. Es fanden sich einfach für alle Fragen prompt Lösungen.

Um einen Wegweiser für die Heimbewohner zu Spielplätzen, Kulturzentren oder fremdsprachigen Ärzten ging es und um Sachspenden. Flüchtlinge brauchen erst einmal alles. Bei der Diakonie wurde gesammelt, beim Britzer Bürgerverein, in Kirchen und Schulen. Ja, es sei hilfreich, dass die Sachen schon gleich gesichtet würden, sagte eine Vertreterin des Heimbetreibers Pewobe. Freizeitangebote gab es von Kinder- und Jugendclubs, von Schulen, dem Technischen Hilfswerk. Ein Diakonievertreter bot vier Computer an, aber nur einen Bildschirm.

Jugendliche Botschafter gegen Rechts

„Da finden sich bei uns welche“, half jemand vom Oberstufenzentrum Informations- und Medizintechnik. Zwei Frauen meldeten sich als Deutschlehrer. Auch für Begleitdienste zu Stadterkundungen, zum Einkaufen oder Arzt gingen die Arme nach oben. Ganz im Zeitplan könne man die Versammlung schließen, sagte Jürgen Schulte zum Schluss. Er ist so etwas wie die Schaltzentrale der Hilfsbereitschaft – und konnte an diesem Abend dem in Heftern gesammelten Unterstützergeist wieder etliche Listen hinzufügen.

Jetzt zahlt es sich aus, dass „Hufeisern gegen Rechts“ in Neukölln so gut vernetzt ist. Seit das Heim eröffnet hat, steht Schulte mit dessen Leitung im Kontakt. Viel schneller, als es möglich schien, wollten die Ehrenamtlichen loslegen. Allein fünf Sprachkurse waren geplant, ein halbes Dutzend Freiwillige sowie eine Organisation des Erzbistums stehen dahinter. Nur fehlende Räume verhinderten, dass der Unterricht mit der Erstbelegung gleich starten konnte. Ein Kinderbetreuungsdienst soll gewährleisten, dass auch Mütter Deutsch lernen können. 20 Helfer übernehmen Begleitdienste verschiedenster Art.

Auch an der Clay-Oberschule soll aus Kunst mehr werden, mit „Botschaftern“ für das Flüchtlingsthema unter den Schülern und Expertenkontakt über die Schule hinaus. Eine „nachhaltige Initiative“ wünsche sie sich, sagt Lehrerin Uta Schärf. Bei ihren Kunstschülern, das weiß sie, hat sie es schon geschafft: „Die Problematik ist in den Köpfen und Herzen von uns allen.“