Es sind in diesem „Tatort“ keine zehn Minuten vergangen, da haben wir schon a) Til Schweigers nackten Hintern bildschirmfüllend zur Kenntnis genommen, b) das Wort „ficken“ in den verschiedensten Zusammenhängen gehört und c) die Explosion eines teuren Mercedes SUVs bezeugt.
Man merkt gleich: Hier geht es heftig zur Sache. Schweiger und sein Regisseur Christian Alvart wollen das altgediente „Tatort“-Format auf allen denkbaren Ebenen neu erfinden.
Deshalb erzählen sie die wüste Geschichte zweier mafiöser Clans in Hamburg, die sich bis aufs Messer bekriegen und dabei auch gern die Ermittler ins Fadenkreuz nehmen. Dazu gehört natürlich neben all den anderen Krassheiten (krasse Sprache, krasse Gewalt, krasse Ermittler) auch eine superkrasse Droge.
Und welche könnte das sein, wenn nicht Crystal Meth? Die synthetische Droge, Chemikern auch als N-Methylamphetamin bekannt, hat durch die amerikanische Erfolgsserie „Breaking Bad“ schon länger Anschluss an die Populärkultur gefunden. Warum also nicht auch in Hamburg?
Und tatsächlich sehen wir die brutalen Schergen des Astan-Clans die kristalline Droge gleich säckeweise durch die Gegend schleppen, nachdem eine entsprechende Lieferung per Container dort angekommen ist. Man könnte an dieser Stelle der Frage nachgehen, warum diese Säcke ausgerechnet aus transparenter Folie bestehen - um den Drogenfahndern die Arbeit zu erleichtern? Aber jenseits solcher Spitzfindigkeiten ist vielleicht auch interessant, welche Rolle diese Droge in Berlin eigentlich spielt.
Extrem gefährliche Droge
Schließlich haben wir es nach übereinstimmender Meinung von Medizinern hier mit einer überaus gefährlichen Droge zu tun. Crystal Meth führt extrem schnell zu körperlicher und psychischer Abhängigkeit. Paranoide Wahnvorstellungen, Herzrhythmusstörungen, Aggressivität und Hautentzündungen sind nur ein paar Beispiele aus der Liste der möglichen Nebenwirkungen. Weil die Herstellungs- und Weiterverkaufskosten verhältnismäßig gering sind, hat sich der Konsum von Crystal Meth in den USA vor allem als Problem einkommensschwacher Schichten erwiesen.
Und in Berlin? Einen Hinweis auf die Dimensionen des hiesigen Crystal-Meth-Konsums liefert eine Razzia, die Mitte Januar 2014 an der Moabiter Huttenstraße stattfand. Die Berliner Ermittler waren auf die Spur eines 48 Jahre alten Lieferanten gestoßen, den sie inflagranti bei der Übergabe der Drogen an einen Dealer festnehmen konnten. Im Auto des 34-Jährigen entdeckte die Polizei etwa 100 Gramm Crystal.
Weitere Durchsuchungen in Moabit, Kreuzberg, Schöneberg, Steglitz, Zehlendorf und Charlottenburg förderten weitere 180 Gramm der Droge zutage. 280 Gramm Crystal Meth: Das klingt nach wenig. Und doch war es die bislang größte Menge der Substanz, die bislang in Berlin sichergestellt werden konnte.
Keine idyllischen Zustände
Von den im „Tatort“ gezeichneten Verhältnissen ist die Hauptstadt also gottlob weit entfernt. Doch idyillisch kann man die Verhältnisse auch nicht eben nennen. In den Daten zur Kriminalitätsentwicklung 2013 sticht ein Bereich besonders hervor: Die Zahl der Rauschgiftdelikte in Berlin ist um zehn Prozent gestiegen.
Wie viel davon in etwa auf Crystal Meth entfällt, hat Olaf Schremm, Chef des Rauschgiftdezernates beim Landeskriminalamt, kürzlich im Gespräch mit der Berliner Morgenpost klargestellt: „Wir können glücklicherweise anhand der Fallzahlen, die wir kennen, noch nicht sagen, Crystal würde Berlin überschwemmen. Die Sicherstellungsmengen bewegen sich bei einem Kilogramm pro Jahr.“
Deutlich populärer dagegen sind in Berlin Kokain (die entsprechenden Delikte nahmen um 40 Prozent zu), Heroin und die vor allem bei nächtelang durchfeiernden Jugendlichen angesagten Amphetamine. Hiermit wird im Bereich der illegalen Drogen noch immer mit Abstand am meisten Geld umgesetzt.
Schremm möchte allerdings auch keine Entwarnung geben, was das Crystal Meth angeht: „Allerdings würde es mich nicht wundern, wenn Crystal hier noch einmal massiver auftreten wird, denn bei Berlins Größe und sozialer Zusammensetzung gibt es nichts, was dagegen spricht. Die Droge wirkt enthemmend und stimulierend und ist billig. Wir arbeiten daher bereits etwa mit Bayern zusammen, wo Crystal über die tschechische Grenze nach Deutschland kommt, um an Erkenntnisse über Lieferungen und Ausbreitung zu kommen.“
Und gibt es denn Drogenkriege, so wie wir sie am Sonntag in bemerkenswerten Eskalationen der Gewalt vorgeführt bekamen? Auch hier hilft Dezernatsleiter Schremm weiter: „Es gibt viele, viele Banden. Deutlich betonen möchte ich aber, dass wir keinen Drogenkrieg in Berlin haben. Aber es gibt eine große Anzahl von Personen, die diese Banden bilden mit klaren hierarchischen Strukturen vom Bandenkopf bis zu den Laufburschen. In der Regel kaufen die Gruppen, die in Deutschland Drogen handeln, ihre Ware im Ausland an oder lassen sich von da beliefern, oft aus den Niederlanden oder Spanien. In Berlin gibt es dann noch Wohnungen, in denen die Drogen gelagert und für den Straßenverkauf gestreckt und verpackt werden.
Die „Tatort“-Folge „Kopfgeld“ wird am 11. März 2014 um 00.35 Uhr in der ARD wiederholt.