Aggressive Körperhaltung, einschüchternde Gesten – keine Szene aus einem Gangsterfilm in der Bronx von New York City, sondern Straßenszenen aus einem neuen Drogenkiez in Berlin. Denn während sich Konsumenten früher im Dunkeln der Grünanlagen Görlitzer Park und Hasenheide ihren Stoff besorgten, treiben sich Dealer heute am helllichten Tag auch auf den Straßen Friedrichshains herum und belästigen Passanten.
Im Fokus der Polizei ist die Gegend rund um die Revaler Straße. Dort sind laut offiziellen Angaben seit 2013 Drogenhändler vermehrt aktiv. Die Staatsmacht hält mit Razzien dagegen und trifft den Nerv der Anwohner, die im als Partygegend verschrienen Kiez ein härteres Durchgreifen fordern. „Auch deshalb, weil es eben nicht nur Partygegend, sondern auch ganz normale Wohngegend ist“, sagt der Vater eines dreijährigen Sohnes. „Es kann nicht sein, dass ich gegen 16 Uhr mehr als bestimmt angesprochen werde, ob ich Drogen kaufen möchte.“ Kürzlich sei er von einer Personengruppe regelrecht bedrängt und auch an der Jacke angefasst worden, als er sagte, nicht an einem Geschäft interessiert zu sein. Er hat die Polizei gerufen.
Berlins Polizeisprecher Stefan Redlich sagte der Berliner Morgenpost, dass seine Behörde seit Mitte des vergangenen Jahres „eine Zunahme der Handelstätigkeit und eine Ausweitung der Handelsplätze“ im Bereich der Revaler Straße festgestellt habe. Und: „Die Berliner Polizei hat in diesem Jahr bereits 26 Einsätze auf dem RAW-Gelände und in der näheren Umgebung zur Bekämpfung der Drogenkriminalität und der Begleitdelikte wie Raub und gefährliche Körperverletzung durchgeführt.“ Vorrangig Marihuana und Haschisch würden dort verkauft. Nun käme auch Kokain hinzu.
Die Anwohner sind besorgt. Eine Frau, die anonym bleiben möchte, bestätigt die Steigerung der Dealer-Aktivitäten seit Mitte vergangenen Jahres. „Viele der Händler treiben sich jetzt bereits in den Wohngebieten herum, jenseits der Partyszene, wo normale Familien mit ihren Kindern leben.“ Die Dealer stünden nicht nur am Straßenrand der Revaler Straße, sondern auch entlang der Wohnhäuser. „Ich fühle mich hier nicht mehr sicher“, sagt die Frau.
Sorge wegen Revierkämpfen
Ein Beamter, der die Szene kennt, erzählt, in der Gegend seien Dealer aus dem arabischen und schwarzafrikanischen Raum aktiv. „Wir haben in letzter Zeit aber auch europäisch aussehende Dealer festgestellt und angetroffen, die fließend englisch reden.“ Bislang sei die Konkurrenzsituation nicht eskaliert, dies könne aber sehr schnell geschehen. „Wir kennen das von den illegalen vietnamesischen Zigarettenhändlern“, erzählt der Beamte.
Es sei irgendwann darum gegangen, wer die besten Handelsplätze habe. „Es gab Tote und Geiselnahmen mit Folterungen, um den Konkurrenz-Clan einzuschüchtern.“ Man könne nur hoffen, dass diese möglichen Revierkämpfe nicht in den Wohngegenden ausgetragen werden.
Denn den Erfahrungen nach würde bei solchen Auseinandersetzungen keine Rücksicht auf Außenstehende genommen. Auch ein Neuköllner Polizist sieht die Situation am RAW-Gelände kritisch: „Was man von den Friedrichshainer Kollegen hört, ist besorgniserregend.“ Er kennt die Aggressivität der Drogenszene aus der Hasenheide und sagt, einige der Dealer seien brandgefährlich, leisteten Widerstand und seien außerdem gut organisiert.
Melder machen ihren Job gut
Ortsbesuch in Friedrichshain: An den Eingängen des RAW-Geländes stehen einige Männer und schauen gelangweilt in der Gegend herum, Mobiltelefone in den Händen. Bei auffälligen Personen drehen sie sich ab und verschwinden in Hauseingängen. „Das sind die Melder. Also diejenigen, die die eigentlichen Händler vor Zivilbeamten oder Journalisten warnen.“ Gerade letztere seien schnell mit körperlichen Auseinandersetzungen konfrontiert, weil sie Fotos der Machenschaften machen und damit die Geschäfte der Banden stören. Die Melder machen ihren Job gut. Selbst wenn ein Auto zweimal innerhalb kurzer Zeit die Straße entlang fährt, wird telefoniert. Einer der Männer nimmt sein Handy und filmt die Morgenpost-Reporter. Dann dreht er sich weg, tippt eine Nummer in das Gerät.
Anwohner berichten, dass Dealer nicht mehr nur abends unterwegs seien, sondern auch am Tag. „Die Drogen werden auf offener Straße verkauft. Man hat den Eindruck, dass die Banden keine Angst vor einer möglichen Strafverfolgung haben“, sagt ein Mann, der mit seiner Freundin an der Revaler Straße lebt. Die Beamten des zuständigen Polizeiabschnitts 51 hätten ihm gesagt, das Problem zu kennen – es gebe aber nicht ausreichend Personal, um es dauerhaft zu bekämpfen.
Ruf nach mehr Personal zu einfach
Der Chef der Deutschen Polizeigewerkschaft in Berlin, Bodo Pfalzgraf, sagt, es sei zu einfach und plakativ, immer nur nach mehr Personal zu schreien. Der Gewerkschafter kennt die Entwicklung im Bereich der Revaler Straße. Seine Einschätzung: „Solche Tätergruppierungen kann man nur mit hohem Verfolgungsdruck in Schach halten. Und wir brauchen die Mithilfe der Bevölkerung, denn nur diese Augenzeugen können uns genau sagen, wann wo etwas passiert.“
Pfalzgraf ergänzt, dass die Berliner Polizei zahlreiche Hilfsmittel für die Bekämpfung von Drogenbanden einsetzen könne. Neben Hunden gibt es technische Errungenschaften, über die im Detail nicht gesprochen werden sollte, um das Überraschungsmoment auf Seiten der Polizei zu haben. „Aber in diesen Punkten sollte sich die Berliner Polizei anders aufstellen, damit die Wohngegend um die Revaler Straße nicht den Ruf bekommt, ein rechtsfreier Tummelplatz für Dealer zu sein.“