Steglitz-Zehlendorf weist die beste Sozialstruktur aller Berliner Bezirke auf, gefolgt von Charlottenburg-Wilmersdorf, Pankow und Treptow-Köpenick. Die hinteren Plätze im sozialen Ranking nehmen Marzahn-Hellersdorf, Spandau, Mitte und Neukölln ein.
Das ist ein zentrales Ergebnis aus dem aktuellen Berliner Sozialstrukturatlas, den Gesundheits- und Sozialsenator Mario Czaja (CDU) am Freitag in Berlin präsentiert hat. Der Atlas stellt eine umfassende und detaillierte Analyse der sozialen und gesundheitlichen Lage in Berlin dar. Die Daten sind aber nicht nur nach Bezirken differenziert, sondern auch nach 419 sogenannten lebensweltlich orientierten Räumen (LOR) mit durchschnittlich 7500 Einwohnern.
Die soziale Lage der Berliner Bevölkerung und die Entwicklung der Sozialstruktur werden in dem Bericht anhand von 66 Indikatoren dargestellt und ausgewertet. Dazu gehören vor allem Daten zur Bevölkerung, zu Beschäftigung und Erwerbsleben, Einkommen und Abhängigkeit von staatlichen Transferleistungen, zum Bildungsstand sowie zur Gesundheit.
Erstmals bezogen die Autoren auch Angaben zur sozialen Lage von Kindern ein, die sich aus den Einschulungsuntersuchungen ergaben, sowie Daten zur Pflegebedürftigkeit von Senioren. Der Atlas dient als wichtige Grundlage für Planungen des Senats, vor allem in den Bereichen Gesundheit und Soziales, aber auch in den Ressorts Stadtentwicklung und Jugend/Schule.
Sehr ungleiche Belastungen
Der Bericht zeigt, dass sich die ungleiche Verteilung sozialer und gesundheitlicher Belastungen verfestigt hat. Und er belegt, dass Gesundheit und soziale Lage stark voneinander abhängen. In Gebieten mit vergleichsweise hoher Arbeitslosigkeit, in denen relativ große Anteile der Bevölkerung staatliche Transferleistungen zur Sicherung des Lebensunterhalts benötigen und geringe Einkommen erzielt werden, sind gleichzeitig die mittlere Lebenserwartung reduziert, die Sterblichkeit in der Bevölkerungsgruppe bis 65 Jahre höher und Erkrankungen, die durch das Rauchen verursacht werden, stärker verbreitet. Indikatoren, die dies belegen, sind im Sozialindex I, dem sogenannten Belastungsindex, gebündelt.
Der Sozialindex II spiegelt insbesondere Arbeitsmarktpotentiale und das Abnehmen sozialversicherungspflichtiger Beschäftigung wider und gilt als Gradmesser sozialer Gefährdung. Entscheidend, auch für politische Schlussfolgerungen, ist der Index I. Er steht zum Beispiel in engem Zusammenhang zum Anteil der Sozialhilfeempfänger unter 15 Jahren. Dort, wo der Anteil dieser Leistungsempfänger hoch ist, ist die Sozialstruktur schlecht (siehe Grafik 2). Ähnliches gilt für die mittlere Lebenserwartung. In Bezirken mit einer überdurchschnittlichen Sozialstruktur ist fast immer auch die Lebenserwartung überdurchschnittlich hoch – und umgekehrt. Die mittlere Lebenserwartung in Berlin beträgt für Männer 77,6 Jahre, für Frauen 82,6 Jahre. In Steglitz-Zehlendorf liegt sie für Frauen bei 83,6 Jahren, für Männer bei 79,5 Jahren. In Mitte hingegen werden Frauen im Durchschnitt nur 81,3 Jahre alt, Männer nur 75,9 Jahre (siehe Grafik 1).
Der Sozialstrukturatlas wird seit 1990 einmal in jeder Legislaturperiode erstellt. Die aktuelle Fassung ist die sechste, die Daten stammen aus dem Jahr 2011. Senator Czaja lobte sie als beste Datenbasis in Deutschland im Sozialbereich. Dazu trägt auch die Gliederung in die 419 Lebenswelt- oder Planungsräume bei. Vor allem sie zeigen, wie groß die Unterschiede bei den sozialen Indikatoren in Berlin sind. Rund um die Eldenaer Straße in Prenzlauer Berg liegt der Anteil der Kinder unter sechs Jahren an der Bevölkerung bei 14,5 Prozent, an der Angerburger Allee in Charlottenburg bei nur 2,2 Prozent. Gleichzeitig ist an der Angerburger Allee der Anteil der Über-65-Jährigen in Berlin mit 48,4 Prozent am höchsten. Am niedrigsten ist er in der Victoriastadt in Lichtenberg mit 2,8 Prozent. Beim Ausländeranteil reicht die Spannbreite von 41,3 Prozent an der Reinickendorfer Straße in Wedding bis zu 0,8 Prozent in Blankenfelde (Pankow).
Von den fünf Planungsräumen mit dem besten Sozialindex I liegen drei in Steglitz-Zehlendorf. Das Ranking führt die Thielallee vor dem Messelpark (beide Dahlem) an. Die fünf Planungsräume mit dem schlechtesten Index liegen allesamt in Friedrichshain-Kreuzberg oder Marzahn-Hellersdorf. Berliner Schlusslicht ist der Moritzplatz in Kreuzberg vor der Hellersdorfer Promenade.
Die Auswertung zeigt auch, welche Bezirke sich in Sachen Einkommen, Bildung und Gesundheit verbessert haben oder wo es durch Arbeitslosigkeit und ungesunde Lebensweise bergab gegangen ist. Pankow hat sich im Vergleich zu den Sozialstrukturberichten 2003 und 2008 enorm verbessert, lag 2003 noch auf Rang neun, 2008 auf Rang vier, nun auf drei. Neukölln ist immer weiter abgestiegen, von Rang zehn 2003 über elf 2008 jetzt ans Ende des Rankings. Auffällig ist auch der Abstieg von Spandau und Reinickendorf. Spandau lag 2003 noch auf Rang sieben, 2008 auf Platz acht, nun auf Rang zehn. Bei Reinickendorf geht der Abstieg von Platz vier über Platz sechs nun auf Rang sieben. Einen bemerkenswerten Aufstieg im Ranking hat auch Friedrichshain-Kreuzberg erlebt: vom Schlusslicht 2003 über Platz zehn 2008 nun auf Rang acht.
Bessere Verteilung von Arztpraxen
Erstmalig enthält der Sozialatlas auch konkrete Handlungsempfehlungen für Politik und Verwaltung. Die Daten dienen zum Beispiel als Grundlage für eine bessere ambulante ärztliche Versorgung. Bei der Verteilung von Arztpraxen wird künftig die bezirkliche Sozialstruktur berücksichtigt, um Ungleichgewichte abzubauen. Wie berichtet, wird das für Haus- und Kinderärzte bereits praktiziert, in diesem Jahr soll es auf 18 Facharztgruppen ausgeweitet werden. Die Gliederung nach mehr als 400 Sozialräumen ist aber auch wichtig für die Krankenhaus- und Psychiatrieplanung, die Planung einer bedarfsgerechten Pflege-Versorgung sowie der Gesundheitsförderung. „Durch die Daten wissen wir zum Beispiel, wo die armen, älteren Berliner leben. Diese können wir dann ganz gezielt mit Angeboten zur gesundheitlichen Prävention ansprechen, um ihnen möglichst lange Selbständigkeit und Lebensqualität im Alter zu sichern“, erläuterte Mario Czaja.
Auch die Planung der Pflegestützpunkte und der Stadtteilzentren sowie der Angebote in diesen Zentren wird künftig wesentlich auf der Basis des Sozialstrukturatlases vollzogen. Noch in diesem Jahr werden sieben neue Stadtteilzentren eröffnet, in sechs weiteren wird die Infrastruktur aufgestockt.