1000 Erzieher fehlen laut Bildungsverwaltung in Berlin: Die Senatorinnen für Bildung und Arbeit wollen jetzt gemeinsam Jobwechsler in Kitas und Schulen locken. Grüne fordern, Pensionäre zurückzuholen.

Junge, gut ausgebildete Erzieherinnen wie Sandra Kehle sind derzeit Goldstaub in Berlin. Die 25-Jährige hatte praktisch freie Stellenwahl nach ihrer Ausbildung und hat sich für die Kita am Brittendorfer Weg vom Eigenbetrieb Süd-West entschieden. Die Kinder haben Glück.

Berlinweit fehlen laut Bildungsverwaltung etwa 1000 Erzieher in den Kitas. Bildungssenatorin Sandra Scheeres (SPD) versucht deshalb, Arbeitslose oder Quereinsteiger verstärkt für den Erzieherberuf zu gewinnen. Gemeinsam mit der Senatsverwaltung für Arbeit hat die Bildungsverwaltung deshalb eine Beratungsoffensive gestartet.

Auch die Ausbildungskapazitäten für Erzieher wurden aufgestockt. Die Schüler an öffentlichen und privaten Fachschulen für den Erzieherberuf haben sich seit 2006 von 3500 auf 7000 verdoppelt. Doch das reicht nicht aus. Schon jetzt arbeiten in den Kitas 3268 Erzieher, die keinen pädagogischen Berufsabschluss haben und ihre Ausbildung neben der Arbeit nachholen. Das sind 14 Prozent des gesamten pädagogischen Personals.

10.600 Stunden pro Woche ausgefallen

Auf Quereinsteiger setzt man auch an den Schulen. Zum kommenden Schuljahr müssen noch rund 1200 Stellen besetzt werden. Es könnten auch noch mehr werden. Noch steht nicht fest, in welchem Umfang ältere Kollegen ihre Arbeitszeitkonten abbauen, die sie in den vergangenen zehn Jahren angesammelt haben. Entscheiden sich viele dafür, eher in den Ruhestand zu gehen, könnten bis zu 400 zusätzliche Stellen gebraucht werden.

Wie groß der Lehrerbedarf ist, zeigt die jüngste Statistik zum Unterrichtsausfall. Aus der Beantwortung einer kleinen Anfrage der Grünen geht hervor, dass es im vergangenen Schuljahr an den öffentlichen Schulen Berlins einen Vertretungsanfall von 52.900 Unterrichtsstunden pro Woche gab. Während 42.300 dieser Stunden von anderen Lehrern vertreten werden konnten, mussten 10.600 Unterrichtsstunden pro Woche ausfallen.

Die Bildungsexpertin der Grünen, Stefanie Remlinger, fordert den Senat angesichts dieser Zahlen auf, alles zu tun, um ausgebildete Lehrer einstellen zu können. „Dazu gehört auch, Pensionäre zurückzuholen und Menschen mit ausländischen Bildungsabschlüssen den Weg in den Beruf zu erleichtern“, sagt sie.

Arbeitssenatorin Dilek Kolat (SPD) sieht in der Beratungsoffensive eine Chance, Arbeitssuchende und Ausbildungssuchende unterzubringen. Denn in den Erzieherberuf führen verschiedene Wege. Neben der schulischen Ausbildung gibt es den Quereinstieg mit einer berufsbegleitenden Ausbildung. Menschen mit verwandten Ausbildungen, wie Kinderkrankenschwester, können sogar ohne Ausbildung eine sogenannte Nichtschülerprüfung ablegen.

Ehemalige Erzieher sollen zur Rückkehr motiviert werden

Und auch ehemalige Erzieher, die zwischenzeitlich die Branche gewechselt haben, sollen überzeugt werden, wieder in ihren alten Beruf zurückzukehren. Die Quote für die maximale Zahl an Queransteigern an einer Einrichtung wurde im vergangenen Jahr auf 25 Prozent angehoben. Insgesamt 16 Bildungsberatungsstellen in ganz Berlin wurden deshalb fachlich qualifiziert und aufgestockt, um verstärkt über die verschiedenen Wege in die Kitas zu informieren.

Dazu gehören Jobasisstenzen, Lernläden und Frauen-Beratungsstellen. Kolat verspricht sich hier ein niedrigschwelligeres Angebot als in den Arbeitsagenturen. Es gibt ladentypische Öffnungszeiten, jeder Interessierte, ganz gleich ob arbeitslos oder im Job, kann ohne Voranmeldung kostenfrei und völlig trägerneutral eine Beratung erhalten.

Und auch die Senatsbildungsverwaltung hat eine eigene Anlaufstelle für potenzielle Erzieher eingerichtet. Im Infopunkt im Erdgeschoss der Senatsverwaltung an der Bernhard-Weiß-Straße gibt es eine neue Sprechstunde immer donnerstags von 16 bis 19 Uhr für alle, die sich über den Einstieg in den Erzieherberuf informieren wollen. Denn während die Werbung um Quereinsteiger für den Lehrerberuf praktisch ein Selbstläufer ist, ist die Nachfrage für die Erzieher verhaltener.

Das dürfte auch mit den wesentlich schlechteren Verdienstmöglichkeiten zusammen hängen. Die Gewerkschaft Erziehung und Wissenschaft spricht sogar von teilweise „skandalösen Arbeitsbedingungen“ für Sozialarbeiter und Erzieher in der Sozialbranche. Schlechte Bezahlung, die weit unter dem Niveau des öffentlichen Dienstes liege, und ungesicherte Arbeitsverhältnisse würden die Branche kennzeichnen.

Qualität bei Quereinsteigern nicht durchgängig gesichert

Leidtragende sind auch die Kinder. Christiane Weißhof von der Gewerkschaft Erziehung und Wissenschaft (GEW) warnt angesichts des Fachkräftemangels vor einem Qualitätsabbau in den Kitas. „Die Quereinsteiger können eine ausgebildete Fachkraft nicht voll ersetzen“, sagt sie. Schließlich könnten sie wegen ihrer schulischen Begleitausbildung nicht an allen Tagen in der Gruppe arbeiten.

Zudem seien sie unsicher und müssten im Kita-Alltag intensiv begleitet werden. Oft würden sich die Quereinsteiger unwohl fühlen, weil sie zu oft allein gelassen würden. Die GEW fordert deshalb, sie nicht von Anfang an auf den Personalschlüssel anzurechnen. Eine Gefahr sieht Weißhoff auch in der Tatsache, dass immer mehr Kita-Träger mangels Bewerber gezwungen sind, auf Leiharbeitsfirmen auszuweichen, die nicht voll ausgebildetes Personal wie Sozialassistenten vermitteln.

Der kommunale Eigenbetrieb Süd-West ist einer der wenigen Träger, die alle offenen Stellen problemlos besetzen können. „Das liegt an einem besonderen Anreizsystem“, sagt die Geschäftsführerin Martina Castello. Der Träger zahle nicht nur nach Tarif, sondern biete besonders Neueinsteigern in jeder Einrichtung eine feste Begleitperson und ein Mal im Monat ein Coaching an, gemeinsam mit anderen Neueinsteigern.

Sandra Kehle weiß, wie wichtig die Begleitung ist. „Es ist schön, wenn man sich mit anderen Neueinsteigern austauschen kann“, sagt sie. Eine Mediatorin hat die Gruppe des Eigenbetriebs betreut. „Wir konnten ohne Hemmungen alle Fragen los werden.“ Hauptsächlich sei es darum gegangen, wie man in dem neuen Team angekommen ist. Dass sie etwas mit Kindern machen will, hat Kehle schon gewusst, seit sie als Teenager als Babysitter gearbeitet hat.