Die Feuerwehr hat 16 Berliner geehrt, die anderen das Leben gerettet haben. Heinz-Joachim Hauser reanimierte ein Kind mit Erste-Hilfe-Maßnahmen, als dessen Herz aufgehört hatte zu schlagen.

Der Mann „von oben“ ist ein Held. Soviel ist für Julian sicher. Dabei kann er sich eigentlich kaum erinnern, was passiert ist. Erst im Krankenhaus hat man ihm davon erzählt. Als er die Klinik endlich verlassen durfte und den Mann erblickte, der ihm das Leben gerettet hat, da gab es für Julian kein Halten mehr. „An der Wohnungstür hat er mich, ohne ein Wort zu sagen, umarmt und gedrückt, so fest er konnte“, sagt Heinz-Joachim Hauser. Die Geschichte rührt den 43-Jährigen heute, mehr als ein halbes Jahr später, noch immer. „Da wird es feucht in den Augen“, sagt Hauser und lächelt ein bisschen verlegen.

Heinz-Joachim Hauser gehört zu den 16 Berlinern, die am Montagabend von Feuerwehrchef Wilfried Gräfling geehrt wurden, weil sie in diesem Jahr andere Menschen mit ihrem entschlossenen Eingreifen aus Lebensgefahr gerettet haben. „Engel der Großstadt“, nennt die Feuerwehr die Lebensretter. Ihre Ehrung soll auch „zur Nachahmung ermutigen“, heißt es bei der Feuerwehr.

Es war an einem Sonnabendvormittag, am 4. Mai 2013. Heinz-Joachim Hauser, Feuerwehrmann und ausgebildeter Rettungssanitäter, hatte frei. Er stand an dem Morgen noch unter der Dusche, als er laute Schreie hörte. „Immer wieder wurde um Hilfe gerufen, doch ich wusste nicht, woher die Schreie kamen“, erzählt er. Seine Lebensgefährtin war es, die vermutete, die Rufe kämen aus einer Nachbarwohnung.

„Hilfe! Hilfe! Mein Enkel, mein Enkel“, hallte es in dem Augenblick erneut durch das Haus an der Spandauer Franzstraße. Dann sei alles so schnell gegangen. „Ich bin die Treppe nicht runtergelaufen, sondern -gesprungen“, sagt Heinz-Joachim Hauser. „Und da stand auch schon die Oma fassungslos in der offenen Wohnungstür und zeigte auf den kleinen Julian.“ Der damals Fünfjährige lag im Flur, direkt vor der Tür zu seinem Zimmer, an dem in großen Buchstaben sein Name stand. Sein Gesicht war blau angelaufen. Julians Herz hatte aufgehört zu schlagen. Sein Puls stand still.

Mit Herzmassage und Beatmung

„Ich habe, ich weiß nicht wie lange, mit einer Herzdruckmassage und Mund-zu-Mund-Beatmung versucht, den kleinen Kerl zu reanimieren“, erinnert sich Hauser. Dabei habe er immer wieder den Namen des Jungen gesagt: „Julian! Komm zurück! Julian! Bleib bei uns!“ Seine Lebensgefährtin wählte den Notruf, Julians Oma stand starr vor Schreck im Flur. Sie hatte an diesem Vormittag auf den Jungen aufgepasst, während sein alleinerziehender Vater schon bei der Arbeit war.

Wenig später trafen die Rettungskräfte der Feuerwache Spandau-Süd ein. Und Julians Herz begann wieder zu schlagen. Hauser konnte seinen Atem spüren. Seine Kollegen nahmen den Jungen mit. Er kam in die Herzklinik. Heinz-Joachim Hauser blieb zurück. „Ich habe mich die ganze Zeit gefragt, ob ich alles richtig gemacht habe“, erzählt er.

Er hat. Die Spezialisten im Krankenhaus erzählten Julians Vater später, der Junge würde nicht mehr leben, wenn er nicht sofort professionelle Hilfe gehabt hätte. Julian hat einen angeborenen Herzfehler. Darüber wusste die Familie Bescheid und hatte sich darauf eingestellt. Mit der plötzlichen Attacke beim Spielen hatte dennoch niemand gerechnet.

„Wer zur richtigen Zeit am richtigen Ort ist und das Richtige tut, ist für den Menschen in Not wohl tatsächlich so etwas wie ein Engel“, sagte Landesbranddirektor Wilfried Gräfling. Er betonte, auch Laien könnten in Notfällen immer etwas tun – viel falsch machen könne man dagegen meist nicht. „Wegzuschauen und nichts zu tun, das ist in jedem Fall verkehrt“, so Gräfling. So hofft die Feuerwehr, dass durch die öffentliche Würdigung der Zivilcourage die Zahl der Lebensretter in Berlin steigt.

„Ich bin kein Held“, sagt Heinz-Joachim Hauser

Die 16 Geehrten bekamen am Montagabend eine Urkunde und eine Engelsfigur mit ihrem Namen darauf, die der Berliner Goldelse nachempfunden ist, verliehen. In vielen Fällen konnten sie durch schnelle Wiederbelebungsmaßnahmen Leben retten. Wie etwa im Fall eines fünfjährigen Jungen, den ein Mann vor dem Ertrinken aus der Spree gerettet und mit zwei weiteren Helfern reanimiert hatte. Nach vier Tagen im Koma wachte der Junge danach völlig unbeschadet wieder auf.

In einem anderen Fall entdeckte ein 28-Jähriger einen Rentner, der mitten auf der Straße zusammengebrochen war, und griff sofort ein. Die Feuerwehr ehrte außerdem eine Berlinerin, die einen Fünfjährigen nach einem Sprung von einem Balkon in Neukölln am Boden aufgefangen hatte – die Wohnung, in der der Junge mit seiner Mutter lebte, brannte lichterloh. Die Mutter des Fünfjährigen erlitt bei dem Brand schwere Verletzungen.

Und manchmal entsteht aus einem Notfalleinsatz auch noch mehr. Heinz-Joachim Hauser aus der dritten Etage und Julian aus der Wohnung im zweiten Stock kannten sich vor dem 4. Mai allenfalls flüchtig. Jetzt freut sich der Junge jedes Mal, wenn er den Mann „von oben“ sieht. Die beiden sind Freunde geworden.

„Ich bin kein Held“, sagt Heinz-Joachim Hauser. „Ich bin nur ein Berliner, der geholfen hat, und zufällig zum richtigen Zeitpunkt am richtigen Ort war.“ Er würde sich allerdings wünschen, dass die Menschen aufmerksamer sind, sich öfter zur Hilfe kommen. „Wenn auf dem Fußweg jemand liegt, ist das nicht unbedingt ein Trunkenbold, der seinen Rausch ausschläft“, sagt Hauser. „Das könnte auch ein Epileptiker sein oder jemand mit einem Zuckerschock.“ Einfach mal hinschauen, anstoßen, fragen, ob etwas fehlt, ob Hilfe gebraucht wird, fordert der Rettungssanitäter. „Und wenn nötig, schnell die 112 wählen.“