Ein Ort zwischen Denkmalschutz und Abrissbirne: Der Breitscheidplatz war und ist ein Experimentierfeld. Nicht immer zu seinem Vorteil. Doch jetzt entdeckt sich das Zentrum der City West neu.

Verwundert ziehen die beiden Geschäftsfrauen aus den USA ihren Rollkoffer hinter sich her. Das soll er also sein, der berühmte Breitscheidplatz, das Wahrzeichen der City West, zu Mauerzeiten der Gegenentwurf zum Alexanderplatz in Mitte? „Where’s the Memorial Church?“, fragen sie und gucken sich suchend um. Die 71 Meter hohe Turmruine der Gedächtniskirche ist noch immer zu großen Teilen unter einem mit Leichtbauplatten verhängten Baugerüst verschwunden.

Auch das Oktogon des Kirchenneubaus aus den 60er-Jahren ist hinter den vielen Bretterbuden, die bereits für den Weihnachtsmarkt aufgebaut sind, kaum auszumachen. Von der nordwestlichen Ecke des Platzes dringt zudem der Lärm schwerer Baumaschinen herüber. An der Ecke Kantstraße sind Arbeiter gerade dabei, die Baugrube für den Hochhausturm „Upper West“ auszuschachten.

Angesichts dieses Ausblicks verzichten die beiden Damen aus Übersee auf den Besuch der nordwestlichen Seite des Platzes im Schatten des Europa-Centers an diesem nasskalten Novembertag gleich ganz. Die mitgebrachte Kamera lassen sie im Futteral stecken. Sie biegen lieber ab zur Hardenbergstraße, ins „Romanische Café“, der Gastronomie im Erdgeschoss des jüngst eröffneten, 118 Meter hohen Zoofensters. Den Besucherinnen entgeht damit ein weiteres architektonisch diskussionswürdiges Wahrzeichen des Platzes: der Weltkugelbrunnen aus rotem Granit, von den Berlinern auch Wasserklops genannt.

Der Wasserklops soll erhalten bleiben

Schade, man hätte die beiden Mittfünfzigerinnen, da fremd in Berlin und damit sozusagen eine neutrale Instanz, gerne nach ihrer Meinung zum Wasserklops gefragt. Denn um den gibt es eine heftige Debatte im Bezirk. Die AG City ist mit Rückenwind vom SPD-Baustadtrat Marc Schulte dafür, den Brunnen, zumindest in seiner jetzigen Form, abzureißen. Er stehe einer Modernisierung des Center-Eingangs im Wege, heißt es.

Die Bezirksverordnetenversammlung verabschiedete jetzt allerdings einen Antrag, den Wasserklops zu erhalten. „Der Wasserklops ist ein Berliner Wahrzeichen und ein Treffpunkt, der weit über die Stadtgrenzen hinaus bekannt ist“, sagte Susanne Klose, Fraktionsvorsitzende der CDU Charlottenburg-Wilmersdorf. „Es ist einfach unvorstellbar, dass der Brunnen einfach so verschwinden soll. Der Brunnen wird bleiben.“ Auch Schulte lenkte nun ein: „Ich persönlich bin für den Erhalt des Wasserklopses“, sagte er. „Aber wenn andere Ideen und Vorschläge gemacht werden, darf es keine Denkverbote geben.“

Dass der Denkmalschutz die Abrissbirne jedoch nicht in allen Fällen verhindert, zeigte sich erst jüngst an der Westseite des Platzes. Dort wurde das Schimmelpfeng-Haus, zwischen 1957 und 1960 errichtet und ebenfalls unter Denkmalschutz stehend, dem Erdboden gleich gemacht. Der Platz wurde für die Hochhaustürme „Zoofenster“ und das noch im Bau befindliche „Upper West“ benötigt.

Der Sozialist Rudolf Breitscheid gab den Namen

Kein Zweifel: Der Breitscheidplatz präsentiert sich längst nicht mehr als das, was dem Magistrat von Groß-Berlin im Jahr 1947 vorschwebte, als er den Wettbewerb „Rund um den Zoo“ auslobte. Wie schon so oft seit seiner Entstehung nach dem Zweiten Weltkrieg erfindet sich das Areal immer wieder neu: Einst als moderner, weltstädtischer Platz geplant, dann vernachlässigt und durch den immer stärker werdenden Autoverkehr zur Verkehrsinsel verkommen, nach dem Mauerfall fast gänzlich abgeschrieben und von Berlinern belächelt, verspottet. Und jetzt langsam wieder neu entdeckt.

Angefangen hatte alles mit nicht gerade bescheidenem Ziel. Neu geschaffen werden sollte 1947 nicht die „überkommene Form“ des im Zweiten Weltkrieg stark zerbombten Areals rund um die Kaiser-Wilhelm-Gedächtniskirche auf dem damaligen Auguste-Viktoria-Platz. Vielmehr sollte ein „neuzeitliches weltstädtisches Geschäftszentrum“ erwachsen – möglichst nach amerikanischem, autogerechtem Vorbild.

Um den Aufbruchwillen zu demonstrieren, bekam der Platz im selben Jahr auch noch einen neuen Namen: Er wurde nach dem in der NS-Zeit verfolgten Sozialisten Rudolf Breitscheid benannt. Die Turmruine der Kirche spielte übrigens im damaligen Wettbewerb noch keine Rolle. Man hielt sie für entbehrlich.

In den 60er-Jahren toste der Verkehr um die Gedächtniskirche

Das änderte sich erst in den 50er-Jahren. Nach einem weiteren Wettbewerbsverfahren entstand von 1957 bis 1963 auf einer Plattform neben der Turmruine ein sakraler Bezirk mit Kapelle und achteckigem Turm nach einem Entwurf von Egon Eiermann. Mit dem Bau des Zoobogens, einem Ensemble aus einem 16-geschossigen Hochhaus am Bahnhof Zoo, einem Kino (Zoo Palast), einem fünfgeschossigen Langbau (Bikini-Haus) entlang der Hardenberg- und Budapester Straße sowie dem – 2009 abgerissenen – Schimmelpfenghaus, vor allem aber mit dem Bau des Europa-Centers, für das vor 50 Jahren der Grundstein gelegt wurde, war diese mitten ins Herz einer europäischen Metropole implantierte Amerika-Sehnsucht perfekt geworden.

Die offensichtlichen Mängel des Areals führten indes bereits nach wenigen Jahren zu mehreren einschneidenden Korrekturen. Denn der weltberühmte Platz mit dem Mahnmal der Kirchenruine war zur autoumtosten Verkehrsinsel geraten. In den 60er-Jahren verlief noch eine stark befahrene Straße zwischen Gedächtniskirche und Europa-Center. Damit die Fahrzeuge nicht im Stau stecken bleiben, wurden sie zudem ab 1970 in einen Tunnel unter der Budapester Straße geleitet. 1978 versuchte man, die Situation für Passanten wieder zu verbessern. So wurde die Straße, die die Gedächtniskirche vom Europa-Center trennte (“Schnalle“) geschlossen. Auf dem so entstandenen Vorplatz des Centers wurde in den 80er-Jahren der Weltkugelbrunnen errichtet.

Die schwerste Krise stand dem Platz jedoch erst noch bevor. Mit dem Fall der Mauer 1989 fand sich die City West in direkter Konkurrenz zur historischen Berliner Mitte wieder. Die Wiedervereinigung brachte einen erheblichen Bedeutungsverlust mit sich – schließlich war der Breitscheidplatz nun nicht mehr das Aushängeschild des Westens inmitten des kommunistischen Ostens. Der Kalte Krieg war vorüber, die City West damit nur noch ein Teil des großen städtischen Innenstadtbereichs, der nun wieder über den Potsdamer Platz und die Friedrichstraße bis zum Alexanderplatz reichte.

Totale Agonie in den 90er-Jahren

Die 90er-Jahre verliefen entsprechend – in totaler Agonie. Investoren, Einzelhändler und auch Touristen wanderten lieber in die schönen neuen Shopping-Welten an Potsdamer Platz und Friedrichstraße ab. Pläne für die beiden 118-Meter Türme gab es zwar bereits – doch niemanden, der sein Geld dafür geben wollte. Die Situation besserte sich erst mit der Jahrtausendwende.

Im Zuge der Umgestaltung des Breitscheidplatzes für die Fußballweltmeisterschaft 2006 wurde mit einigen Bausünden endlich aufgeräumt. Der 230 Meter lange Autotunnel an der Budapester Straße wurde zugeschüttet. Die als Barriere fungierenden verwahrlosten Hochbeete, die ohnehin nur noch einigen Dealern als Drogendepot dienten, wurden abgerissen.

2007 fanden sich endlich Investoren, die an den Standort am Breitscheidplatz glaubten und den Bau des Zoofensters finanzierten. 2008 begannen die Bauarbeiten, im Januar dieses Jahres eröffnete das Luxushotel Waldorf Astoria als wichtigster Nutzer des Turmes seine Pforten. Der Bau des Zoofensters gab die Initialzündung für weitere Investitionen am Platz: Im Dezember 2010 begann endlich auch die Bayerische Hausbau mit der Sanierung des heruntergekommenen, langgestreckten Bikini-Hauses.

Die Zeichen stehen weiter auf Erneuerung

Im Frühjahr kommenden Jahres soll die Eröffnung des dann als Hotel- und Einkaufskomplex genutzten Gebäudes gefeiert werden. Der Zoo Palast als Teil des Ensembles wird nach denkmalgerechter Totalsanierung bereits am kommenden Wochenende, am 27. November, wieder in Betrieb gehen.

Und die Zeichen stehen weiter auf Erneuerung. Die Turmruine soll Anfang kommenden Jahres endlich komplett ausgerüstet sein. Das zweite 118-Meter-Hochhaus am Platz soll 2016 fertig werden. Hauptmieter wird auch in diesem Turm ein Hotel. Die Budget-Kette Motel One will den Betrieb übernehmen. Wenn die beiden Damen aus den USA in ein paar Jahren wiederkommen, wird sich der Breitscheidplatz erneut komplett gewandelt haben. Und die Fotoapparate können endlich zum Einsatz kommen.