In der Berliner SPD gibt es Überlegungen, das Berliner Geschäft des Vattenfall-Konzerns und die Gasag zurückzukaufen und sie zu einem großen Stadtwerk zu bündeln. Deswegen habe der Senat in seinem Entwurf für den Haushaltsplan 2014/2015 mögliche Kreditbürgschaften des Landes über 4,6 Milliarden Euro für die künftige Energieversorgung der Stadt eingestellt, sagte der Energieexperte der SPD-Fraktion, Nikolaus Karsten: „Wir können uns vorstellen, die Engagements von Vattenfall und der Gasag zu übernehmen“, sagte Karsten bei einer Veranstaltung der Deutschen Umwelthilfe zu den unterschiedlichen Konzepten für ein Berliner Stadtwerk.
Über eine solche Neugründung und über eine Rekommunalisierung des Stromnetzes sind die Berliner am Sonntag zu einem Volksentscheid aufgerufen.
Der rot-schwarze Senat hat Bürgschaften von sechs Milliarden Euro vorgesehen, für „öffentliche Infrastrukturmaßnahmen“, wie es nebulös im Haushaltsentwurf heißt. Darunter „fallen auch die Gründung und der Erwerb von Beteiligungen auf dem Gebiet der Wasser- und Energieversorgung“. Knapp 1,4 Milliarden sind weg für den Rückkauf der Wasserbetriebe. Bleibt ein Rest von 4,6 Milliarden.
Sorge vor renditeorientierten Finanzinvestoren
Es gebe eine neue Situation, sagte Karsten, seit Vattenfall angekündigt habe, möglicherweise sein Geschäft in Kontinentaleuropa zu verkaufen. Für einen solchen Fall sollte Berlin Vorsorge treffen. Patrick Graichen vom unabhängigen Beratungsunternehmen Agora Energiewende nannte es „sinnvoll, für Berlin eine solche Handlungsoption für den Verkaufsfall“ mit Bürgschaften zu sichern: „Ich kann das nachvollziehen.“ Ob man dann als Kommune diese Option ziehen sollte, stünde auf einem anderen Blatt, sagte Graichen.
Berliner Landespolitiker befürchten, bei einem Verkauf der Vattenfall-Europa-Aktivitäten könnte der Berliner Kraftwerkspark, die Fernwärmenetze, die Lausitzer Braunkohle-Tagebaue und auch das noch von einer Vattenfall-Tochter betriebene Stromnetz in die Hände eines vor allem renditeorientierten Finanzinvestors geraten.
Der SPD-Abgeordnete Karsten machte auch deutlich, wie der Senat auf die Bürgschaftssumme von bis zu 4,6 Milliarden Euro kommt. Man orientiere sich dabei an den Ergebnissen, die Hamburgs Erster Bürgermeister Olaf Scholz (SPD) bei seinen Verhandlungen über die Teil-Übernahme der Hamburger Energie-Infrastruktur mit dem schwedischen Konzern erreicht habe.
Demnach beläuft sich der Preis für Vattenfall in Hamburg auf 2,17 Milliarden Euro. Für Berlin ergebe sich eine Zahl von 3,6 bis 4,6 Milliarden Euro, wenn man auch noch die Gasag mit hinzurechne, sagte Karsten. Für das Stromnetz, über dessen Rekommunalisierung am Sonntag abgestimmt wird, seien analog zu Hamburger 860 Millionen Euro nötig. Für den Landeshaushalt wären solche Investitionen keine direkte Belastung, weil ein landeseigenes Unternehmen, etwa das Stadtwerk, das Geld als Kredit aufnehmen und dann langfristig aus den Erlösen seines Geschäfts abbezahlen könnte. Voraussetzung sei aber, dass der Betrieb „ordentlich gemanagt“ werde, räumte der Sozialdemokrat ein.
Grundstock für das eigene Stadtwerk
Der Gasversorger Gasag ist schon länger diskret unterwegs und lotet aus, ob es eine Bereitschaft der Landespolitiker gebe, die Mehrheit an dem Unternehmen zu erwerben. Das Argument: Berlin hätte mit dem Know-how der Gasag-Techniker, die auch in den bisher von Vattenfall dominierten Strommarkt drängen, den Grundstock für das eigene Stadtwerk gelegt.
Während der SPD-Politiker Karsten bei der Runde der Deutschen Umwelthilfe die Anwesenden mit dem Ausblick auf die ganz große Rekommunalisierung überraschte, kam seine Partei bei der eigentlichen Diskussion um die Stadtwerke-Pläne nicht gut weg. Vergangene Woche hatten SPD und CDU im Abgeordnetenhaus beschlossen, ein Stadtwerk als Tochter der Wasserbetriebe zu gründen.
Weil dieser Organisation aber nur auf Druck der CDU nur erlaubt sein soll, „ausschließlich“ selbst produzierten Öko-Strom zu verkaufen, sei das eigentlich gar kein Stadtwerk, so der einhellige Tenor der Expertenrunde. „Damit habe ich dem Stadtwerk Fesseln angelegt“, sagte Graichen. Das werde „keine große Unternehmung werden“.
Der Volksentscheid strebt als Stadtwerk nicht nur einen Stromhändler an, sondern einen Energiedienstleister, der sich auch um die energetische Sanierung von Gebäuden kümmere. Hier erkennt auch die IHK ein Einsatzgebiet für ein Stadtwerk. „Wärme muss unser Fokus beim Stadtwerk sein“, sagte der BUND-Geschäftsführer Andreas Jarfe.
Reges Briefwahlinteresse am Volksentscheid
Für den Volksentscheid zum Rückkauf des Berliner Stromnetzes an diesem Sonntag gibt es ein reges Briefwahlinteresse. Bis zum Wochenbeginn hatten gut 213.000 Stimmberechtigte die Briefwahlunterlagen bestellt, wie eine Sprecherin der Landeswahlleiterin am Dienstag sagte. Das waren 8,6 Prozent der Stimmberechtigten und damit deutlich mehr als beim letztlich erfolgreichen Volksentscheid zur Offenlegung der Wasser-Verträge im Jahr 2011. Damals hatten etwa 6,3 Prozent der Stimmberechtigten Briefwahl beantragt.
Der Volksentscheid wäre erfolgreich, wenn die Mehrheit der Teilnehmer und zugleich mindestens ein Viertel der Stimmberechtigten für den Gesetzentwurf des Energietisches stimmt. Nötig sind derzeit etwa 600.000 Stimmen.