Der Mord an dem Steueranwalt Ingo W. bleibt weiterhin rätselhaft. Völlig überraschend teilte ein Justizsprecher jetzt, acht Wochen nach der Tat, mit, die Witwe des Ermordeten gelte inzwischen als Beschuldigte. Welche neuen Erkenntnisse dazu führten, dazu äußerte sich weder die Staatsanwaltschaft noch die zuständige Mordkommission. Sie nährten damit Spekulationen um mögliche neue Verdachtsmomente gegen die Witwe. Nach Informationen der Berliner Morgenpost waren es aber nicht so sehr neue Erkenntnisse, die die Witwe zur Beschuldigten werden ließen. Offenbar ist sie nach dem Ausschlussprinzip schlicht und einfach als mögliche Täterin übrig geblieben.
Acht Wochen lang haben die Ermittler alle nur erdenklichen Möglichkeiten durchgespielt, jedes mögliche Motiv überprüft. Dabei verfestigte sich offenbar immer mehr die Erkenntnis, dass der Täter mit an Sicherheit grenzender Wahrscheinlichkeit nicht von außen kommt. Nichts im Leben des Opfers deutete darauf hin, dass ein Außenstehender ein Mordmotiv gehabt haben könnte. Penibles Durchforsten von Akten aus der Anwaltskanzlei ergab, dass es keinerlei geschäftliche Vorfälle oder andere berufliche Aktivitäten gab, die Anlass für einen Mord hätten sein können. Auch im Privatleben des Opfers wurde kein Hinweis gefunden.
Nachdem ein sogenannter Alternativtäter nahezu ausgeschlossen werden konnte, blieben als mögliches Motiv nur noch die offenbar desolaten Familienverhältnisse, eine gescheiterte Ehe, eine neue Beziehung des Opfers und finanzielle Auseinandersetzungen. Und damit rückten die Ehefrau und die Söhne von Ingo W. ins Blickfeld der Ermittler. Die 16 und 18 Jahre alten Söhne waren von Anfang an verdächtig, sie wurden vorläufig festgenommen, aber schon nach kurzer Zeit wieder freigelassen. Die Beweise reichten für einen dringenden Tatverdacht und damit für einen Haftbefehl nicht aus. Als Beschuldigte gelten sie dennoch seit Beginn der Ermittlungen.
Beschuldigter darf schweigen
Und jetzt gehört auch die Mutter der Söhne dazu. Sie ist in der Vergangenheit bereits mehrfach befragt worden, galt dabei allerdings als Zeugin. „Wenn man irgendwann den Kreis der möglichen Täter auf drei Personen eingrenzt, kann man aus nachvollziehbaren Gründen nicht mehr eine dieser Personen als Zeugen führen“, sagte ein Ermittler am Dienstag. Den Status einer Person von Zeuge auf Beschuldigter zu ändern, ist auch rechtlich von wesentlicher Bedeutung. Für jeden Status gelten besondere Rechte und Pflichten. Ein Zeuge ist zur Aussage verpflichtet, kann notfalls dazu gezwungen werden. Ein Beschuldigter hingegen kann jederzeit die Aussage verweigern. Und darauf muss er vor einer Vernehmung hingewiesen werden.
„Würde ein Verdächtiger vor einer Vernehmung nicht darauf hingewiesen, dass er mittlerweile als Beschuldigter gilt, kann das dazu führen, dass seine Aussagen vor Gericht nicht verwertet werden dürfen, selbst und vor allem wenn sie den Verdacht erhärten“, erklärte der Ermittler das etwas komplizierte Verfahren. Aussagen von Verdächtigen, die gar nicht wussten, dass sie schweigen dürfen, könnten schnell ein ganzes Verfahren platzen lassen oder zur Aufhebung eines Urteils führen, sagte der Beamte.
Welchen Verdacht genau die Ermittler gegen die Witwe hegen, blieb bislang unklar.
Polizei weist Kritik zurück
Mehr Klarheit erhoffen sich die Beamten jetzt von der Auswertung der DNA-Spuren, die bei der neuerlichen Durchsuchung am Montag sichergestellt wurden. Sie sollen jetzt mit dem am gleichen Tag von der Witwe freiwillig abgegeben DNA-Proben verglichen werden. Auch dem jüngeren der beiden Söhne wurde am gleichen Tag eine DNA-Probe entnommen. Bis dahin hatte sich der 16-Jährige geweigert.
In den vergangenen Wochen war mehrfach Kritik an den bisherigen Ermittlungen geäußert worden. So gab es Vorhaltungen, die Polizei hätte sich mit bestimmten Maßnahmen wie etwa Durchsuchungen zu viel Zeit gelassen, dadurch hätte der Täter die Möglichkeit gehabt, die Tatwaffe zu entsorgen. Doch selbst dazu schweigt die Polizei – zumindest offiziell.
Inoffiziell hieß es am Dienstag, es seien während des ganzen Verfahrens alle Maßnahmen getroffen worden, die nach dem jeweiligen Kenntnisstand getroffen werden durften. Dass bei der Mutter anders als den Söhnen zunächst keine DNA-Proben genommen wurden, begründete ein Beamter am Dienstag damit, dass gegen die Frau zu Beginn der Ermittlungen noch kein Tatverdacht bestand. Gleiches gelte auch für die nicht durchgeführte Durchsuchung einer Tasche, die sie am Tattag die ganze Zeit mit sich führte. Es irritiert die zuständigen Beamten offenbar nicht, dass die Ermittlungen nicht so recht vorangehen. Ein Ermittler gab sich am Dienstag überzeugt: „Wir kriegen den Täter, ganz gleich ob früher oder später.“ Bislang deutet einiges darauf hin, dass es noch etwas dauern wird, bis der Fall gelöst ist.