Ein Jahr nach dem antisemitischen Überfall auf ihn zieht der Berliner Rabbiner Daniel Alter eine bittere Bilanz. In Teilen von Wedding und Neukölln könnten sich erkennbare Juden nicht mehr aufhalten.

Antisemitismus ist nach Ansicht des vor einem Jahr zusammengeschlagenen Rabbiners Daniel Alter in Berlin offener und aggressiver geworden. In der Bundeshauptstadt gebe es bereits No-Go-Areas für öffentlich erkennbare Juden. Das seien zum Beispiel Teile von Wedding und Neukölln mit einem hohen Anteil von arabischen und türkischen Migranten, sagte der Antisemitismusbeauftragte der Jüdischen Gemeinde zu Berlin am Mittwoch.

In der türkisch-arabischen Community gingen Beobachter von einem doppelt so hohen Anteil an Judenfeindlichkeit aus wie in der deutschen Mehrheitsgesellschaft. Zudem kämen aus dem islamistischen Umfeld „sehr starke Einflüsse gerade auch auf die entwurzelten jungen Leute, so dass da für uns eine problematische und teilweise auch sehr gefährliche Lage entstanden ist“, sagte der Rabbiner: „Was mir im August vergangenen Jahres passiert ist, ist daher kein Zufall, sondern ein Ausdruck all dieser Entwicklungen.“

Henkel: Polizei sieht kein No-Go-Areas

Nach Angaben von Berlins Innensenator Frank Henkel (CDU) gibt es aus polizeilicher Sicht keine No-Go-Areas. „Aber in dieser Frage spielt das persönliche Sicherheitsempfinden eine erhebliche Rolle. Wenn Juden sagen, dass sie in bestimmten Gegenden große Angst haben, dann lässt sich das nicht durch Statistiken wegwischen“, sagte Henkel der Berliner Morgenpost. Er habe großen Respekt davor, dass sich Rabbiner Alter nach seinen negativen persönlichen Erfahrungen dennoch so stark für Dialog und Verständnis zwischen den Religionen einsetzt, fügte Henkel hinzu.

Alter war am 28. August 2012 im bürgerlichen Berliner Stadtteil Friedenau vor den Augen seiner kleinen Tochter am helllichten Tag von mutmaßlich arabischstämmigen Jugendlichen krankenhausreif geschlagen worden. Der brutale antisemitische Überfall löste international Entsetzen aus. Von den Tätern fehlt noch immer jede Spur.

20 Prozent der Deutschend sind latent antisemitisch

„Der notwendige Kampf gegen Antisemitismus in dem Teil der Gesellschaft mit Migrationshintergrund sollte uns aber nicht von dem rechtsradikalen und aus der Mitte der deutschen Gesellschaft stammenden Antisemitismus ablenken“, unterstrich der Rabbiner. Auch dort sei Judenfeindlichkeit in größerem Umfang existent, als es die offiziellen Statistiken aufzeigen. Demnach sind 20 Prozent der Deutschen latent antisemitisch, weitere 15 Prozent treten offen judenfeindlich auf.

Der antijüdische Hass, der in Mails und Zuschriften zum Ausdruck gebracht werde, werde immer weniger verschleiert. „Antisemitismus zieht sich wirklich durch die gesamte deutsche Gesellschaft, sowohl durch gebildete, intellektuelle Kreise als auch durch den Rand der Gesellschaft“, sagte der Rabbiner.