Demonstrationen von Gegnern und Anhängern des neuen Flüchtlingsheims in Berlin-Hellersdorf sind am Donnerstag zunächst friedlich verlaufen. Eine Kundgebung der islamfeindlichen Bürgerbewegung pro Deutschland mit nach Angaben der Polizei zehn Teilnehmern in der Nähe des Alexanderplatzes wurde von rund 100 lautstarken Gegendemonstranten gestört. Rund 400 Polizisten waren im Einsatz. Die Situation vor dem Flüchtlingsheim hatte sich am Donnerstagmorgen schon deutlich beruhigt.
Befürworter des Heims wollen auch am Donnerstag ihre Mahnwache fortsetzen. Für den weiteren Tagesverlauf sind drei weitere Kundgebungen rechter Gruppen geplant.
Auch in der Nacht zu Donnerstag hatte es keine Zwischenfälle gegeben, sagte eine Polizeisprecherin am Morgen.
Am Mittwoch hatte es vereinzelte Proteste rechtsgerichteter Demonstranten gegen die Sammelunterkunft für Bürgerkriegsopfer aus Syrien und Afghanistan in dem Berliner Stadtteil gegeben. Mit einem Großaufgebot hielt die Polizei Gegner und Befürworter des Heimes auch an anderen Orten der Stadt auseinander.
Anwohner über Leben der Flüchtlinge informieren
Trotz der angespannten Lage am Flüchtlingsheim sollen in den kommenden Tagen weitere Menschen einziehen. Die Belegung werde nicht gestoppt, sagte die Sprecherin des Landesamts für Gesundheit und Soziales, Silvia Kostner, am Donnerstag. Flüchtlinge, die wegen der ausländerfeindlichen Stimmung dort nicht wohnen wollten, könnten in der Erstaufnahmestelle bleiben oder in eines der anderen 29 Heime ziehen. „Es wird keiner gezwungen, nach Hellersdorf zu ziehen.“
In den kommenden Wochen soll die Zahl der Flüchtlinge in Hellersdorf behutsam gesteigert werden, damit sich die Anwohner an die neuen Nachbarn gewöhnen und sie kennenlernen können. „Es muss jetzt erstmal möglich sein, sich zu begegnen“, betonte die in Marzahn-Hellersdorf direkt gewählte Bundestagsabgeordnete Petra Pau (Linke) im Deutschlandfunk. Viele Anwohner wüssten nicht, welchen Restriktionen Flüchtlinge unterworfen seien und dass sie beispielsweise überhaupt nicht arbeiten dürften.
In Berlin leben zur Zeit rund 6500 Flüchtlinge in Sammelunterkünften. In den kommenden Monaten soll Platz für weitere 1000 Menschen gefunden werden. Ein neues Heim soll im Dezember für rund 220 Flüchtlinge im Stadtteil Pankow öffnen.
Friedrich besorgt über Ansehen Deutschlands
Seit Wochenbeginn hatten rechtsradikale Gruppen die Situation in Hellersdorf mehrfach für ihre Zwecke aus. Innenminister Hans-Peter Friedrich sorgt sich deshalb um den Ruf Deutschlands. „Deutschland ist eines der beliebtesten Länder der Welt“, sagte der CSU-Politiker der „Rheinischen Post“. „Wir dürfen nicht zulassen, dass dieses positive Bild zerstört wird. Neonazis schaden unserem Vaterland.“ Der Bund sei gefordert, Asylverfahren zu beschleunigen, „damit die Menschen schnell Klarheit über ihre Zukunft bekommen“. Die Länder müssten für geordnete Verhältnisse in den Unterkünften sorgen. Sie dürften die Kommunen nicht alleinlassen, sagte Friedrich weiter.
Der Grünen-Bundestagsabgeordnete Volker Beck konterte, Friedrich habe die rassistischen Proteste mit seiner „Panikmache gegen Roma und Asylbewerber“ selbst hervorgerufen. Nicht das Deutschland-Bild, sondern der Rassismus solle der Bundesregierung Sorgen machen. Auch die sechs Direktkandidaten für die Bundestagswahl in Hellersdorf stellten sich hinter die Flüchtlinge.
Die Flüchtlingsorganisation Pro Asyl warnte vor einer rassistisch aufgeladenen Debatte auf dem Rücken von Schutzsuchenden. Wichtig sei es, den Flüchtlingen die ausgrenzende und stigmatisierende Unterbringung in Sammelunterkünften zu ersparen und ihnen Wohnungen zur Verfügung zu stellen.
Unterdessen berichtete der evangelische Pfarrer Hartmut Wittig in Berlin-Hellersdorf im Kölner Domradio, dass seine Gemeinde in einem konfessionsübergreifenden Netzwerk nach Lösungen suche. „Wir versuchen jetzt ein nachbarschaftliches Kennenlernen in Gruppen zu organisieren“, sagte Wittig und fügte hinzu: „Das Laute und das Schlimme ist ja einfach erreicht mit Plakaten und Lärm. Aber Verständnis zu erlangen und ein gegenseitiges Kennenlernen dauert sehr lange.“
Berliner zeigen Zivilcourage gegen Rechtsextreme
Innensenator Frank Henkel (CDU) äußerte sich zufrieden darüber, dass Berlin im Kampf gegen Rechtsextreme Zivilcourage zeige sowie Solidarität mit Flüchtlingen und Verfolgten bekunde. Man dürfe sich das Klima in der Stadt „nicht versauen lassen durch ein paar Rechtsextreme“.
Henkel sprach Mittwochabend in einer Sendung des RBB-Fernsehen über die Probleme mit dem neuen Flüchtlingsheim. Politiker verschiedener Parteien, Bürger und Organisationen hätten klar Flagge für ein tolerantes Berlin gezeigt. Henkel bekräftigte, er sei gegen grundsätzliche Verbote von Kundgebungen in der Nähe von Flüchtlingsheimen und gegen eine Bannmeile. Diese Forderung war am Mittwoch laut geworden.
Der Innensenator sagte, er verstehe auch die Sorgen von Bürgern, die in der Nähe solcher Heime lebten. Es müsse mit allen Betroffenen rechtzeitig kommuniziert werden. Hier räumte Henkel eventuelle Versäumnisse ein.
Direktkandidaten aus Hellersdorf stellen sich hinter Flüchtlinge
Angesichts der Anfeindungen gegenüber den Flüchtlingen haben sich die Direktkandidaten von sechs Parteien aus dem Bezirk Marzahn-Hellersdorf hinter die Asylsuchenden gestellt: „Schwer traumatisierte Menschen aus Bürgerkriegsländern verdienen den Schutz, die Hilfe und den Beistand unserer Gesellschaft“, heißt es in einem Aufruf der Kandidaten vom Mittwochabend. „Wir verwahren uns gegen die empörenden Versuche von Rechtsextremisten, ausländerfeindliche Stimmung zu schüren und Wahlkampf auf dem Rücken der verstörten und traumatisierten Flüchtlinge zu machen.“
Die Initiative tragen Monika Grütters (CDU), Petra Pau (Die Linke), Iris Spranger (SPD), Stefan Ziller (Grüne), Tom Wesener (FDP) und Björn Glienke (Piraten). Sie hätten Verständnis für die Sorgen vieler Anwohner vor Veränderungen, die das neue Flüchtlingsheim mit sich bringen könne, erklären die Kandidaten. Sie seien sich aber sicher, „dass gerade auch der Kontakt der Flüchtlinge mit den Anwohnern zur Entspannung beitragen kann“. Als „überzeugte Demokraten“ stellen sich die sechs Kandidaten „gegen Rassismus und menschenverachtende Äußerungen“.