In das umstrittene Flüchtlingsheim in Berlin-Hellersdorf sind am Montag die ersten Asylbewerber eingezogen. „Die Belegung wird schrittweise erfolgen“, teilte das Landesamt für Gesundheit und Soziales (LaGeSo) Berlin mit. Die Bauarbeiten in der ehemaligen Schule seien zügig vorangeschritten und der Bedarf an Plätzen sehr groß, sagte eine Sprecherin. In dem neuen Heim könnten nun auch wieder Familien gemeinsam untergebracht werden.
Wegen fehlender Expertisen waren die Bauarbeiten zwischenzeitlich unterbrochen und die Flüchtlinge vom LaGeSo auf andere Berliner Notunterkünfte aufgeteilt worden. In der langfristigen Planung soll aus der Notunterkunft für 200 Personen in Hellersdorf eine dauerhafte Gemeinschaftsunterkunft für rund 400 Personen werden.
Vor Ort herrschte am Montag eine angespannte Stimmung. Am frühen Abend standen sich vor der Schule 50 Anwohner auf der einen und 30 Pro-Notunterkunft-Demonstranten auf der Schulseite gegenüber. Die Menschen schrien einander an, ein Anwohner zeigte den Hitlergruß und wurde von acht Polizisten abgeführt.
Kurze Zeit später erteilte die Polizei den Anwohnern Platzverweise, sie wohnen nicht im gegenüberliegenden Wohnhaus, sondern nur im Viertel. Sechs direkte Nachbarn bleiben übrig, sie blieben vor der Eingangstür zu dem Haus, in dem sie wohnen, stehen. Auch die Demonstranten wurden direkt im Anschluss gegen 17.30 Uhr gebeten, den Bereich vor der Schule zu verlassen.
Die Polizei rechnet nicht damit, dass sich die Lage noch verschärfen wird. Die Lager seien jetzt getrennt, drei Polizeiautos stehen als Sichtschutz und Barriere auf der Carola-Neher-Straße zwischen den beiden Parteien. Etwa 15 Anwohner, die gegen die Notunterkunft sind, waren kurz nach 18 Uhr noch zu sehen, dazu etwa doppelt so viele Pro-Unterkunft-Demonstranten.
Grüne-Politiker vor Ort
In vielen Hauseingängen und an Fenstern standen schon am Nachmittag Anwohner, „um zu gucken“. Wachschutz-Mitarbeiter hatten vor der ehemaligen Schule Stellung bezogen.
Gegen 16.30 Uhr kamen der Grüne-Spitzenkandidat Jürgen Trittin und die Berliner Landesvorsitzende der Grünen Bettina Jarasch gemeinsam nach Hellersdorf, um sich die ehemalige Schule anzusehen. Pressevertreter durften sie dabei nicht begleiten. Vier Personenschützer hatten das Gebäude vorab inspiziert.
Unterstützer der Notunterkunft sangen, als die Politiker eintrafen: „Say it now, say it clear, refugees are welcome here“ (Übersetzung: Sag es jetzt, sag es deutlich, Flüchtlinge sind hier willkommen).
Ein erster kleiner Bus mit Flüchtlingen hatte kurz vor Trittins Ankunft an einem Hintereingang der ehemaligen Schule gehalten. Er brachte etwa zehn Personen zur Notunterkunft. Einige von ihnen fühlten sich angesichts der Proteste gar nicht wohl.
Mehr als 20.000 unterzeichnen Petition pro Notunterkunft
Unter den Anwohnern regt sich seit mehreren Wochen Widerstand gegen die Notunterkunft für Flüchtlinge. Auch die rechtsextreme NPD hatte Mitte Juli bei einer Informationsveranstaltung Stimmung gemacht. Außerdem macht unter anderem eine anonym agierende „Bürgerinitiative Marzahn-Hellersdorf“ vor allem im Internet gegen die Flüchtlingsunterkunft mobil.
Zugleich haben mehr als 21.000 Menschen (Stand 19. August, 18.20 Uhr) eine Online-Petition gegen rechte Stimmungsmache unterzeichnet und sich zu der geplanten Flüchtlingsunterkunft in Hellersdorf bekannt.
Der Flüchtlingsrat Berlin warnte indes am Nachmittag vor einer weiteren Belegung des Hauses. Angesichts der angespannten Situation sei es unverantwortlich, ohne ein umfassendes Sicherheitskonzept schutzsuchende Menschen in der Sammelunterkunft unterzubringen, sagte Georg Classen vom Flüchtlingsrat Berlin.
Der Flüchtlingsrat ruft noch bis 22 Uhr zur Solidaritätskundgebung auf dem Vorplatz des U-Bahnhofs Cottbusser Platz, Richtung Carola-Neher-Straße, auf. Man befürchte Aktionen der Neonazis und einiger rassistischer Anwohner, die die Ankunft stören wollen, heißt es im Anruf. Die Kundgebung solle Anlaufpunkt sein, damit man schnell auf solche Störaktionen reagieren kann. DJs werden Musik machen.
Bezirksamt informiert eingeladene Bürger
Für den Abend lud das Bezirksamt zu einer Informationsveranstaltung für Anwohner ein. Dazu waren persönliche Einladungen verschickt worden, nachdem eine öffentliche Info-Veranstaltung im Juli mit mehreren hundert Menschen von Vertretern der rechtsextremen NPD zur Stimmungsmache gegen das Heim genutzt worden war. Insgesamt seien vier derartige Veranstaltungen mit persönlicher Einladung geplant, hieß es.
Wegen der steigenden Flüchtlingszahlen sind in Berlin derzeit Unterkünfte für Asylbewerber knapp. Das Landesamt für Gesundheit und Soziales sucht ständig weitere Gebäude, die zu Notunterkünften umgebaut werden können. Das Bundesamt für Migration und Flüchtlinge rechnet in diesem Jahr mit mindestens 5000 neuen Asylbewerbern, die in Berlin untergebracht werden müssen.