Barbara geht seit Montag zur Schule. In ihrem neuen Klassenraum sitzt das zierliche Mädchen mit den pechschwarzen Haaren ganz vorn, weil sie kleiner ist als die anderen. Außerdem spricht sie kein Deutsch. Sie muss ihre Klassenlehrerin deshalb besonders gut sehen können, um an deren Gesichtsausdruck oder an ihren Gesten ablesen zu können, wovon die Rede ist.
Zusammen mit Barbara sitzen noch fünf andere Roma-Kinder in der Klasse 1a der Hermann-Sander-Grundschule in Nordneukölln. Sie sind mit ihren Familien erst vor Kurzem aus Rumänien oder Bulgarien nach Berlin gekommen. Die deutsche Sprache müssen sie alle erst noch lernen. Klassenlehrerin Martiny Herzberg sagt, dass die Kinder sich sehr bemühen. „Nach den ersten drei Stunden sind die meisten allerdings am Ende mit ihren Kräften.“
Auch für die Pädagogin ist es nicht einfach, zumal die Eltern der Roma-Kinder ebenfalls kein Deutsch verstehen. „Ich behelfe mich mit einem Computerprogramm und versuche, einfache Sätze ins Bulgarische oder Rumänische zu übersetzen“, sagt sie. Das koste viel Zeit.
Kleine Lerngruppen helfen
Die Hermann-Sander-Schule ist kein Einzelfall. Immer mehr Roma-Kinder kommen in die Berliner Schulen. Viele von ihnen werden zunächst in sogenannten Willkommensklassen unterrichtet, um erste Grundkenntnisse der deutschen Sprache zu erlernen, bevor sie in die Regelklassen integriert werden.
Im vergangenen Schuljahr lernten insgesamt 1698 Kinder aus Bulgarien oder Rumänien in Berlin, die meisten davon wurden in Schulen in Mitte und Neukölln aufgenommen. Aber auch in Reinickendorf oder Charlottenburg-Wilmersdorf siedeln sich immer mehr Roma-Familien an. Das geht aus der Antwort der Bildungsverwaltung auf eine Kleine Anfrage des SPD-Abgeordneten Joschka Langenbrinck hervor.
Demnach gab es im Mai zum Ende des letzten Schuljahres 183 sogenannter Willkommensklassen mit jeweils zwölf Schülern. Zum Vergleich: Im Jahr 2011 waren es gerade 61 solcher Lerngruppen zum Spracherwerb.
Lehrer fühlen sich überfordert
Damals hatten die betroffenen Schulen Unterstützung vom Senat gefordert, um den Zuzug der Roma zu bewältigen. Die Lehrer fühlten sich mit den Kindern, die teilweise nicht einmal in ihrer eigenen Sprache alphabetisiert wurden, überfordert. Die Senatsverwaltung stellte daraufhin Personal für die Willkommensklassen und Kultur- und Sprachmittler zur Verfügung, um auch Kontakt zu den Eltern herzustellen.
Allerdings stieg die Zahl der Sprachmittler nicht im gleichen Maße wie die Zahl der Romakinder. Im Jahr 2013 waren gerade 20 dieser Experten für Sprache und Kultur der Roma tätig. Damit kommen fast zehn Klassen auf einen Sprach- und Kulturmittler.
Laut Haushaltsplan für 2014/15 rechnet der Senat zwar mit einem steigenden Bedarf. Für die Integration der Roma sind in diesem Zeitraum etwa drei Millionen Euro eingeplant. Doch schon jetzt reicht die Unterstützung für die Schulen nicht aus. Neuköllns Bildungsstadträtin Franziska Giffey (SPD) sagt, dass der Zuzug von Roma-Familien anhalten wird. Für die Schulen sei das eine große Herausforderung.
Bildung billiger als spätere Sozialleistungen
Joschka Langenbrinck fordert nun, deutlich mehr Geld für die Roma-Familien in den Doppelhaushalt einzustellen als bisher vorgesehen. „Die Roma sind europäische Armutsflüchtlinge. Sie kommen, um zu bleiben, und es werden noch mehr ihr Glück bei uns suchen. Wir müssen deshalb dringend und ernsthaft die Weichen für ihre Integration stellen, damit sich die integrationspolitischen Fehler der Vergangenheit nicht wiederholen.“
Integration koste Geld. Aber die Vorsorge durch Bildung sei günstiger als die Nachsorge durch Sozialleistungen. „Bildung ist und bleibt der Schlüssel für den sozialen Aufstieg“, so Langenbrinck.
Die Schulleiterin der Hermann-Sander-Grundschule, Rita Templiner, wäre jedenfalls froh, wenn eine Sprachmittlerin ihren Kollegen zur Seite stehen würde. „Uns wäre schon geholfen, wenn das wenigstens an zwei Tagen in der Woche der Fall wäre“, sagt sie.
Viele Familien wohnen unter freiem Himmel
Auch in Reinickendorf kommen immer mehr Roma-Familien an. Bildungsstadträtin Kathrin Schultze-Berndt (CDU) sagt, dass Anfang dieses Schuljahres bereits 20 Willkommensklassen für Kinder ohne Deutschkenntnisse eingerichtet werden mussten – je zehn im Grund- und Oberschulbereich. In diesen Klassen seien auch viele Roma-Kinder.
Neuköllns Bildungsstadträtin Giffey verweist allerdings noch auf ein anderes Problem. „Die Wohnungssituation vieler Roma-Familien ist verheerend, ebenso die Gesundheitsvorsorge.“ Viele Familien würden in Abrisshäusern oder Lauben wohnen oder sogar unter freiem Himmel. Im Winter werde das zu großen Schwierigkeiten führen. Der Senat habe zwar einen Aktionsplan für die Integration der Roma verabschiedet. „Genügend Mittel für dessen Umsetzung gibt es aber nicht.“