Zahlreiche Wassergrundstücke in Überschwemmungsgebieten wie Alte Havel und Müggelspreeufer dürfen nicht mehr bebaut werden. Grund ist ein neues Gesetz, über dessen Auswirkungen kaum informiert wird.
An der Uferböschung der „Alten Havel“, eines Havelausläufers mitten in Spandau, hat eine Motorjacht festgemacht und dümpelt träge im Wasser. Im kniehohen Gras zirpen die Grillen um die Wette, die Sonne flirrt über der idyllischen Szenerie. Doch Grundstückseigentümer Reinhold Ossowskis Freude am Besitz des Grundstücks ist getrübt.
Um das Wasserhaushaltsgesetz (WHG) des Bundes umzusetzen, hat die Senatsverwaltung für Umwelt das Areal, auf dem Ossowski ein Einfamilienhaus errichten wollte, als Überschwemmungsgebiet festgesetzt. Das hat für Ossowski bittere Konsequenzen: Sein Ufergelände darf ab sofort nur noch mit Ausnahmegenehmigung bebaut werden. Und ob er diese überhaupt bekommt, ist noch völlig offen.
So wie Ossowski geht es derzeit Tausenden Berliner Besitzern von Wassergrundstücken. Ihr Eigentum verliert durch eine neue Rechtsverordnung zum Hochwasserschutzgesetz drastisch an Wert. Kaum ein Grundeigentümer jedoch scheint von dem Werteverfall seines Grund und Bodens zu wissen. Dabei gelten die Schutzvorschriften für die im Land Berlin gelegenen „vorläufig gesicherten“ Überschwemmungsgebiete bereits seit Jahresbeginn.
Die im Land Berlin gelegenen Überschwemmungsgebiete liegen entlang der Erpe, der Müggelspree mit den Gosener Gewässern, der Panke, dem Tegeler Fließ sowie der Unteren Havel mit den Tiefwerder Wiesen und Breitehorn. Für diese „vorläufig gesicherten“ Gebiete, die laut Wasserhaushaltsgesetz am Jahresende festgesetzt werden sollen, gelten besondere Schutzvorschriften. Denn gemäß Paragraf 78 des Gesetzes besteht für diese Gebiete ein Verbot von „dauerhaftem Ablegen von Gegenständen“, die den Wasserabfluss behindern und fortgeschwemmt werden können. Im Klartext heißt das: Selbst die Pflanzung einer Hecke bedarf nun der Genehmigung und kann gegebenenfalls auch verboten werden. Das entsprechende Kartenmaterial, heißt es in einer Mitteilung der Berliner Senatsverwaltung für Stadtentwicklung und Umwelt, könne bei den zuständigen Bezirksämtern sowie online eingesehen werden.
Wenig Informationen von Seiten der Senatsverwaltung
Die Gebiete sind mit einem sofortigen Baustopp belegt. Einheitliche Bemessungsgrundlage für die festzusetzenden Überschwemmungsgebiete, die am 22. Dezember dieses Jahres endgültig festgeschrieben werden, ist ein „hundertjährliches Hochwasser“, also ein Hochwasser, das statistisch gesehen einmal in hundert Jahren zu erwarten ist.
Weil kaum einer der Betroffenen mitbekommen hat, dass sein Grundstück nun als Überschwemmungsgebiet festgesetzt wurde, erschienen gerade einmal 50 Personen zum ersten und gegebenenfalls einzigen „Bürger-Informationstermin“ der Senatsverwaltung für Stadtentwicklung und Umweltschutz an der Hochschule für Technik und Wirtschaft Berlin im Juni diesen Jahres.
„Wir haben die Sache bewusst nicht publik gemacht“, gestand Matthias Rehfeld-Klein vom Fachbereich Wasserwirtschaft damals dem erstaunten Publikum, „sonst werden wir von Anfragen überrollt und kriegen die Sache nie unter Dach und Fach.“
Auswirkungen auf den Bodenrichtwert der Wassergrundstücke
Überrollt fühlen sich auch die Besitzer von Wassergrundstücken und Investoren. Denn das Land, auf dem ihre womöglich noch nicht abbezahlte Immobilie steht, ist gemäß der Überschwemmungskarten des Senats nun deutlich weniger oder überhaupt nichts mehr wert.
Während sich die Bürgerinformation im Internet mit den Methoden der Festlegung der Überschwemmungsgebiete befasst, dürfte Grundeigentümer und potenzielle Investoren vor allem die Frage beschäftigen, welche Auswirkungen die Verordnung auf den Bodenrichtwert der Wassergrundstücke hat. Rehfeld-Klein bewegt sich angesichts der erbosten Zwischenrufe bei seinem Vortrag lieber in seichten Gewässern: Über die Auswirkungen auf den Immobilienmarkt könne und wolle er „zu diesem Zeitpunkt keine Auskunft geben“.
Nach Schätzungen des Eigentümerverbandes VDGN kann die Wertminderung indes erheblich ausfallen. „Die Grundstückswerte können sich halbieren oder sogar gegen null gehen, wenn das Baurecht komplett verloren geht oder die Nutzungsbeschränkungen nicht mal mehr die Pflanzung einer Hecke erlauben“, so Holger Becker, Sprecher des Verbandes.
Da die Sanktionen bereits jetzt schon gelten, bietet der VDGN zu seinen normalen Geschäftszeiten auch für Nichtmitglieder Erstinformationen am Telefon: 030/514 88 80.
Planungen der Bezirke sind betroffen
Zu den Betroffenen gehören indes nicht nur Privatpersonen wie Reinhold Ossowski. Die Festsetzung der Gebiete betrifft auch Planungen der Bezirke. „Wir haben von der Verordnung auch erst aus dem im Januar veröffentlichten Amtsblatt erfahren“, sagte Markus Schulte, Leiter des Stadtplanungsamtes von Spandau bei einem Termin mit privaten Investoren.
Seit 2006 tüfteln Schulte, seine Stellvertreterin Doris Brandl und die Kollegin Kerstin Schröder für das Sanierungsgebiet Wilhelmstadt an der Umsetzung eines Radwanderwegs entlang des westlichen Ufers der „Alten Havel“ in Spandau. Zwar müssen bis zu dessen Bau noch etliche Grundstücke in der Götelstraße den Besitzer wechseln, damit die Stadt dort einen acht Meter breiten Uferstreifen umsetzen kann, doch wenigstens wäre der vorläufige Bebauungsplan Nummer 5-39 nun endlich rechtskräftig geworden. Doch daraus wird nun vorerst nichts.
Das Tegeler Fließ in Reinickendorf und die Panke in Pankow und Mitte gehören ebenfalls zu den Gebieten mit großräumigen Überschwemmungsgebieten. „Für uns ist das jedoch kein Problem, denn das Tegeler Fließ ist ohnehin Landschaftsschutzgebiet, dort ist kein Bauland ausgewiesen“, so der zuständige Reinickendorfer Baustadtrat Martin Lambert (CDU).
Kleingartenkolonien in Treptow-Köpenick betroffen
Nicht ganz so unproblematisch sieht es im Nachbarbezirk Pankow aus. An der Panke, die durch die Bezirke Pankow und Mitte fließt, „haben wir als Behörde zwar keine Schwierigkeiten mit den neuen Überschwemmungsgebieten“, teilte der zuständige Stadtrat Jens-Holger Kirchner (Grüne) mit. Allerdings, so seine Einschätzung, dürfte es wegen der strengen Auflagen Schwierigkeiten bei einigen Grundstücksnutzern und Grundstücksbesitzern sowie Laubenpiepern geben, „weil sie nicht mehr alles bauen und anpflanzen dürfen, was sie wollen“.
In Treptow-Köpenick sind beispielsweise „die Kleingartenanlagen Kuckucksnest und Müggelspreeufer, die wir eigentlich per Bebauungsplan dauerhaft als Wochenendgrundstücke sichern wollten, betroffen“, so die Amtsleiterin für Stadtentwicklung, Ulrike Zeidler. Daraus wird nun erst einmal nichts.
Den privaten Grundstücksbesitzern empfiehlt sie, nicht gleich zu verzweifeln, sondern Bauanträge dennoch einzureichen. In der Einzelfallprüfung könne sich nämlich durchaus noch zeigen, dass ein betroffenes Grundstück durchaus noch oberhalb der rechnerisch ermittelten Hochwasserlinie liegt und problemlos bebaut werden könne. Zudem bestehe die Möglichkeit, Ausnahmegenehmigungen zu erteilen.
Berlin hat keine bedrohlichen Hochwasserstände
Kommt es zum rechtskräftigen Abschluss der Verordnung Ende des Jahres, was angesichts der aktuellen Hochwasserschäden an der Elbe als wahrscheinlich anzusehen ist, wäre auch der Radwanderweg in Spandau ein Fall für eine Ausnahmegenehmigung. Noch geht man in Spandau jedoch von der Umsetzbarkeit des Uferwanderweges aus.
Auch Holger Becker vom VDGN hofft nun auf das „Augenmaß der Verwaltung“. Da es in Berlin keine bedrohlichen Hochwasserstände gebe, müssten sich Ausnahmegenehmigungen erwirken lassen, fordert Becker.
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