Am Montag (15.7.) ist die Stunde der Wahrheit. Um 17 Uhr läuft die Frist ab, bis zu der sich Verkehrsunternehmen und Fahrzeughersteller dafür bewerben können, die Berliner S-Bahn der Zukunft auf die Schienen zu bringen. Dann wird sich auch entscheiden, wie viele Bieter es beim Ringen um den Milliardenauftrag mit dem Branchenprimus Deutsche Bahn aufnehmen wollen. Über die S-Bahn-Ausschreibung und die damit verbundenen Risiken sprachen Markus Falkner und Thomas Fülling mit dem Geschäftsführer des Verkehrsverbundes Berlin-Brandenburg (VBB), Hans-Werner Franz. Der VBB organisiert den europaweit geführten Vergabewettbewerb für die Länder Berlin und Brandenburg.
Berliner Morgenpost: Herr Franz, bei der vom VBB im Auftrag der Länder Berlin und Brandenburg organisierten S-Bahn-Ausschreibung wurden zuletzt zwei Mal die Abgabetermine für die erste Runde verschoben. Ist die Berliner S-Bahn so uninteressant, dass sich keine Bewerber für den Betrieb nach 2017 finden?
Hans-Werner Franz: Nein. Die Verschiebung hatte andere Gründe. Allen möglichen Bietern musste natürlich die Möglichkeit gegeben werden, sich mit dem Verfahren zu befassen. Es gab zahlreiche Rückfragen, die mussten beantwortet und den Bewerbern Zeit gelassen werden, diese Informationen zu berücksichtigen. Deshalb gab es die Verständigung, den letzten Termin für die Abgabe noch einmal zu verschieben. Jetzt ist aber der Deckel zu. Am 15. Juli um 17 Uhr endet die Frist. Die Teilnahmeanträge der interessierten Unternehmen kommen dann in den Safe, und am nächsten Tag wird das alles geöffnet und gesichtet. Dann erst wissen wir genau, wie viele Unternehmen Interesse an diesem Auftrag haben. Nach der bisherigen Resonanz gehe ich aber davon aus, dass das Interesse sehr groß sein wird.
Die Zeit läuft aber davon. Wie sieht der weitere Terminplan aus?
Wir sichten zunächst die Unterlagen und klären bei Bedarf offene Fragen mit den Interessenten. Für die Auswertung brauchen wir mehrere Wochen, danach kriegen die Bewerber dann die Vergabeunterlagen. Anschließend verhandeln wir mit Ihnen. Wann das Verfahren abgeschlossen wird, lässt sich schwer sagen, das hängt natürlich auch von der Zahl der Bewerber ab. Nach Ende der Verhandlungen werden die endgültigen Vorgaben für die neuen S-Bahn-Fahrzeuge und das konkrete Verkehrsangebot gemacht, auf deren Basis die Bewerber ihr endgültiges Angebot abgeben. Dann erfolgt der Zuschlag, wir sind optimistisch, dass dies noch Ende 2014 sein wird.
Das heißt, bestenfalls gibt es Ende 2014 einen Auftrag an ein Unternehmen. Drei Jahre später soll aber der Betrieb mit neuen Zügen beginnen. Bei den Zeiträumen, die in Deutschland für die Entwicklung, Zulassung und Herstellung neuer Bahnfahrzeuge üblich sind, ist das doch wohl unrealistisch.
Wir versuchen natürlich die Bedingungen zu schaffen, um möglichst bald neue Züge im Einsatz zu haben. Man muss aber wissen, dass das Eisenbahn-Bundesamt als Zulassungsbehörde aufgrund der bisherigen Praxis unterstellt, dass man 44 Monate bis zur Genehmigung einplanen soll. Wir können in Berlin nicht auf Standardfahrzeuge zurückgreifen. Man muss schauen, wie die Testreihen mit den ersten Vorserien-Zügen ablaufen, bevor es in die eigentliche Serienfertigung geht. Und letztlich ist es dann ja auch eine große Menge von 200 Fahrzeugen, die gebaut werden müssen.
Wann wird denn unter günstigsten Umständen die erste neue S-Bahn im Linieneinsatz sein?
Ich würde mich scheuen, ein exaktes Datum zu nennen. Aus unterschiedlichen Gründen. Manchmal hatten die Hersteller selber technische Probleme, manchmal gab es veränderte Auflagen der Genehmigungsbehörde. Zum jetzigen Zeitpunkt ein Datum zu nennen, das geht deshalb einfach nicht. Richtig ist, das wird sehr eng. Das heißt, die Wahrscheinlichkeit, dass zum Vertragsbeginn am 15. Dezember 2017 ausreichend Fahrzeuge zur Verfügung stehen, ist gering.
Die Konsequenz ist, dass die alten S-Bahn-Baureihen, die eigentlich ab 2018 keine Betriebserlaubnis mehr haben, weiter fahren müssen.
Das ist richtig. Dort wo Revisionen (die große Hauptuntersuchung für Züge, d. Red.) nötig sind, müssen diese gemacht werden. Die Konsequenz ist auch, dass man eine Lösung für die Sicherungstechnik finden muss, die in den alten Zügen nicht mehr den dann geltenden Anforderungen entspricht. In dieser Frage müssen Absprachen mit dem Eisenbahn-Bundesamt getroffen werden, wie und über welchen Zeitraum der Weiterbetrieb der Alt-Baureihen möglich ist. Diese Gespräche laufen teilweise schon.
Es heißt, der Umbau der alten Züge auf moderne Zugsicherungssysteme sei – wenn er überhaupt technisch möglich ist – sehr teuer. Von 100 Millionen Euro war schon einmal die Rede. Eine Summe, die der S-Bahn-Mutterkonzern Deutsche Bahn dann wohl von den Ländern in Rechnung stellen wird.
Diese Zahl kann ich nicht bestätigen, die hat die S-Bahn so kommuniziert. Natürlich wird man nun kalkulieren müssen: Wie hoch sind die Kosten für den Betrieb? Was ist nötig, um die Züge noch einmal für eine Reihe von Jahren betriebsbereit zu machen? Was muss in die Fahrzeuge investiert werden? Welche Maßnahmen für eine Weiternutzung der Fahrzeuge technisch erforderlich wären und mit welchen Kosten dafür zu rechnen ist, wird derzeit zwischen den Ländern und der S-Bahn unter Einbezug externer Experten erörtert. Fakt ist, man muss was machen. Wir werden sicher nicht sagen: Die Betriebsgenehmigung läuft jetzt aus, und ab Dezember 2017 fahren einfach weniger S-Bahnen. Ich sehe keine unüberwindlichen Schwierigkeiten, für die bestehenden Probleme rechtzeitig Lösungen zu finden.
Können wir also hoffen, dass wir 2018 eine S-Bahn in vergleichbarer Qualität wie heute haben?
Ich hoffe, dass wir eine bessere Qualität haben werden. Inzwischen läuft der Verkehr – auch dank der Investitionen in die Fahrzeugflotte – ja wieder einigermaßen stabil. Wir gehen davon aus, dass eine weitere Stabilisierung noch zu Qualitätsverbesserungen führen kann.
Stichwort Qualität: Die lässt im Regionalverkehr auf der Schiene zu wünschen übrig. Die Pünktlichkeit der Züge in Berlin und Brandenburg ist unter 88 Prozent gesunken. Woran liegt es?
Wir haben nach wie vor im Schienennetz einige Probleme. Es gibt zu viele Engpassstellen. Wir haben durch die eingleisigen Abschnitte bei Störungen viel zu schnell Auswirkungen auf das gesamte Netz. Der Netzausbau läuft immer noch sehr unterschiedlich. Auf den Strecken, auf denen auch Fernverkehr stattfindet, ist der Ausbaustand deutlich besser, die Geschwindigkeitseinbrüche deshalb geringer. Auf Strecken, auf denen nur Regionalverkehr stattfindet, ist die Situation deutlich schlechter. Das ist so, obwohl bei den Trassengebühren, die die DB Netz für die Streckennutzung erhebt, der Regionalverkehr zwei Drittel zahlt. Ein weiteres Problem ist, dass auch die Leit- und Sicherungstechnik nicht stabil genug funktioniert, dass wir zu oft Störungen – auch bei der S-Bahn – haben. In der Summe muss DB Netz noch mehr tun, um einen stabilen Verkehr zu ermöglichen.
Erschwert wird die Situation gerade durch die Streckensperrungen nach dem Hochwasser in Sachsen-Anhalt und Brandenburg. Wie stark ist der Regionalverkehr davon betroffen?
Wir handeln uns regelmäßig Verspätungen ein, weil die Regios auf verspätete Fernverkehrszüge warten müssen. Eingestellt ist nach wie vor der Regionalverkehr zwischen Rathenow und Stendal, da fahren wir gegenwärtig Ersatzverkehre. Probleme gibt es aber auch in Wittenberge und Spandau. Die ODEG kann den nächtlichen Endbahnhof Stendal nicht erreichen, was durchaus ein Problem bedeutet: Dort wird planmäßig der jede Nacht dort endende Zug ver- und entsorgt. Wenn also die Toiletten im RE4 mal nicht funktioniert haben sollte, kann das eine indirekte Folge der Elbe-Flut gewesen sein.
Die Deutsche Bahn hat angekündigt, dass die Sperrungen und Umleitungen voraussichtlich bis zum Jahresende dauern werden. Müsste man dann nicht auch Konsequenzen für den Regionalverkehr ziehen und die Fahrpläne entsprechend ändern?
Das wird passieren. Wenn der Umleitungsfahrplan des Fernverkehrs endgültig feststeht, werden wir uns anschauen, an welcher Stelle Korrekturen nötig sind. Es gibt nichts Schlimmeres, als wenn man jeden Tag eine Verspätung einkalkulieren muss, man weiß bloß nicht, welche. Mein Eindruck ist, dass die DB derzeit selbst noch ausprobiert bei der Frage, wie man Fern- und Regionalverkehr stabil über die Trassen abwickeln soll.
Die Deutsche Bahn kontert ihre Kritik an den Problemen im Netz mit dem Vorwurf, die mangelnde Pünktlichkeit sei teilweise vom VBB als Besteller selbst verursacht. So sei etwa Spandau als Endbahnhof für Regionallinien völlig ungeeignet, die Belastung der Berliner Ost-West-Trasse in der Innenstadt viel zu hoch und die Fahrzeiten vielerorts zu knapp kalkuliert.
Der grundsätzliche Vorwurf, dass wir einen Fahrplan machen, der nicht fahrbar ist, fällt voll auf DB Netz zurück. Wir machen keinen Fahrplan, der so nicht vorher von DB Netz bestätigt ist. Das läuft so: Wir geben unsere Wünsche über die Verkehrsunternehmen an DB Netz, Netz rechnet den Fahrplan und sagt, das geht oder das geht nicht. Wenn es nicht geht, nehmen wir die entsprechenden Änderungen vor. So ist das Verfahren. Wenn es aber Probleme gibt, weil Weichen gestört sind oder Signale ausfallen, und DB Netz sagt dann, wir müssten größere Pufferzeiten einplanen, dann frage ich mich ernstlich, ob das das Ziel einer vernünftigen Planung sein kann. Wir würden ja die Leute ständig unnötig am Bahnhof warten lassen und die Fahrzeiten verlängern, damit man rein theoretisch auch bei Störungen den Fahrplan einhalten kann. Das ist ja ein Widersinn. Wir wollen schließlich wettbewerbsfähig gegenüber dem Auto sein und die Kunden so schnell wie möglich an ihr Ziel bringen.
Wo besteht aus Ihrer Sicht der größte Handlungsbedarf?
Die Länder prüfen derzeit noch, ob der RE6 ab Fahrplanwechsel 2014/15 dauerhaft statt nach Spandau bis nach Berlin-Gesundbrunnen fährt, von wo aus die Reisenden schneller zu manchen Zielen in der Innenstadt gelangen können. Ein weiteres Problem ist die Eingleisigkeit der Strecke zwischen Lübbenau und Cottbus sowie die Eingleisigkeit im Bahnhof Königs Wusterhausen. Vor diesen Engpässen müssen die Züge etwa des RE2 aufeinander warten. Kleinste Unpünktlichkeiten können da große Auswirkungen auf den gesamten Fahrplan haben. Wir hoffen, dass diese Abschnitte von der Bahn möglichst schnell zweigleisig ausgebaut werden. Und auch am Bahnhof Spandau muss endlich etwas passieren: Dort kreuzen sich ständig Züge des Fern- und Regionalverkehrs wegen der unsymmetrischen Anlage der Gleisverbindungen, dies ist nicht optimal.
Gerade wenn Züge nicht pünktlich fahren, wollen die Fahrgäste eine gute und schnelle Information darüber haben. Der VBB bietet Smartphone-Besitzern die Fahrinfo-Apps an. Trotz mehrfacher Ankündigung gibt es noch immer keine Echtzeitinformationen von BVG und S-Bahn. Warum eigentlich nicht?
Für den Bahn-Regionalverkehr sowie die meisten Verkehrsunternehmen in Brandenburg gibt es die Echtzeitdaten in der VBB-Fahrinfo schon seit längerem. Das läuft auch alles ziemlich stabil. Auch die Echtzeitdaten sind bei der S-Bahn sind eigentlich vorhanden. Doch bisher klappt die Datenübergabe an unseren IT-Dienstleister nicht, der die VBB-Fahrinfo betreut, noch nicht für alle Fahrten. Die S-Bahn muss da bei sich noch letzte Arbeiten ausführen. Wir hoffen, dass dies noch im laufenden Quartal erfolgreich abgeschlossen werden kann. Es gibt aber auch Erfolge in der Fahrgast-Information: In den neuen Kiss-Zügen, die die private ODEG auf den RE-Linien 2 und 4 einsetzt, werden in den Wagen seit Kurzem alle Anschlüsse an den Bahnhöfen angezeigt, soweit vorhanden in Echtzeit. Vertraglich ist das auch für die Regionalzüge der Deutschen Bahn vorgesehen, die beispielsweise auf der wichtigen Regionalexpress-Linie 1 fahren. DB Regio ist da ganz klar noch in der Pflicht.