Konzert in Berlin

Knorkator feiern spätpubertäre Marathon-Revue in Berlin

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Peter E. Müller

Foto: picture alliance / Jazzarchiv / picture alliance / Jazzarchiv/Jazz Archiv Hamburg

In der Zitadelle Spandau zerlegt die subversive Band nach Herzenslust alles, was ihr in die Quere kommt. Der Applaus ist frenetisch.

Wenn die so hochmusikalische wie feixend subversive Combo Knorkator zum Open-Air-Konzert mit Freundinnen lädt, darf man einiges erwarten. Von einer möglichen Rock-Oper wurde im Vorfeld orakelt, von einer Art Burlesque-Musical gar.

Was haben die drei Weisen aus dem Osten, nämlich Köpenick, wohl für ihr Gastspiel im Westen, nämlich Spandau, ausgeheckt? Die Antwort liefert das virtuose Dreigestirn am Sonnabend vor mehr als 7500 Besuchern in der prallvollen Zitadelle: gut vier Stunden Knorkator-Musik in Variationen, mal mit Damenkapelle, mal mit Klassik-Ensemble, mal in echt.

Knorkator sind die große Ausnahme im gängigen Rockgeschäft. Die Mitte der 90er-Jahre gegründete Band, die mit vorsätzlich vulgären Texten und einer frappanten Mixtur aus Mozart, Orff und Schwermetall provozierte und faszinierte, die auf offener Bühne Kloschüsseln leerte und Klaviere zerstückelte, polarisierte mit schwermetallenen Absurditäten und spätpubertären Schweinereien.

Einen kurzfristigen Irrweg Richtung Schlager-Grand-Prix konnten sie gerade noch zu Recht biegen. Sie taten mit Sinn für grotesken Klamauk immer wieder Dinge, die man nicht tut, die aber dennoch Spaß machen.

Eine saitenkreischende Rock-’n’-Roll-Show

Zum Auftakt ihrer Marathon-Revue stellen sie sich brav auf der Bühne vor. Alf Ator, der Komponist und Keyboarder; Buzz Dee, der kettenrauchende Schweiger an der Gitarre; Stumpen, der hyperaktive Sänger, der in höchsten Kastratenfalsett verfallen kann. Er gibt, noch im schnieken Anzug, den abendlichen Conférencier. Stellt Bassmann Rajko Gohlke und Schlagzeuger Nicolaj Gogow vor. Ein großes Fest wolle man feiern und sich gegenseitig Wünsche erfüllen. Dann treten sie erst einmal wieder ab und überlassen die Bühne Gitarrist Buzz Dee und seinem eigenen Quartett für eine krachende, saitenkreischende Rock-‘n‘-Roll-Show zur Einstimmung.

Knorkator haben sozusagen ihr eigenes Vorprogramm kreiert. Einen kochenden Kessel Buntes mit immer neuen Gästen, immer neuen Klangfarben. „Mein Wunsch sind Bläserinnen“, kalauert Stumpen und holt unter Mithilfe des Publikums, das auf Aufforderung lautstark „Da-men-ka-pel-le“ skandiert, eine achtköpfige Damenkapelle ins Rampenlicht. Sie spielt charmant Knorkator-Stücke wie „Ich hasse Musik“ oder „Der ultimative Mann“ mal als hitzige Rumba, mal als schwüle Tangoversion.

Ein klassisches Septett widmet sich im Anschluss Knorkator-Werken, die Alf Ator für das Ensemble arrangiert hat. Schließlich habe er ja früher, so Stumpen Mitleid heischend, in Schwerin Klassik studieren müssen. Es wird sehr leise. Das stille „Komm wieder her“ wird vom Fluglärm der in Tegel startenden Maschinen begleitet. Eine Sopranistin namens Gisela singt unter Jubel „Die Absolution“.

„Geh aus dem Weg, du Arschgesicht”

Was in großen Shows natürlich immer funktioniert, sind Kinder. Und Knorkator sind nicht nur ein versauter Haufen von Erzmusikanten, sondern inzwischen auch gestandene Väter. So darf Stumpen-Tochter Agnetha „Rolling In The Deep“, den Adele-Hit, singen. Das macht sie richtig gut. Alf Ators 11-jähriger Sohn Tim Tom hat es sogar auf das aktuelle Knorkator-Album „Es werde Nicht“ geschafft. Mit dem Stück „Arschgesicht“, das Ator eigentlich für des Sohnes eigene Kapelle getextet, dann aber doch lieber mit Knorkator aufgenommen hat. Tim Tom tobt über die Bühne wie ein kleiner Iggy Pop. Zeilen wie „Geh aus dem Weg, du Arschgesicht, eh Mann, du stinkst nach Klo, gib lieber auf, das schaffst du nicht, und nun zurück in den Zoo“ eignen sich allerdings nicht unbedingt für jeden Kindergeburtstag.

Nach gut zwei Stunden des musikalischen Wunschprogramms geht es schließlich zur Sache. Das Publikum lechzt nach dem puren Stoff. Es sind Metal-Fans da in schwarzer Montur, Grufties in langen Ledermänteln, bunt tätowierte Rockabillies, gestandene Rock’n’Roller. Manche haben sich schrill kostümiert, kommen im lilafarbenen Ganzkörperflokati, im schwarzweiß karierten hautengen Dress oder gar im knappen Borat-Badeanzug daher. Vor der Bühne geht es so bunt zu wie auf der Bühne.

Drei Sängerinnen sind im Dauereinsatz, Jen Majura steigt später als zweite Gitarristin ein und Stumpen erscheint im quietschblauen Lackoverall, aus dem er sich aber schon beim zweiten Stück herausschält, um im knappen Body seine flächigen Tattoos zur Schau zu stellen. „Du bist schuld“ brettert brachial in die wogende Menge. Eine Coverversion von Ace of Base‘ „All That She Wants“ sorgt für Partystimmung, Boney M.s „Ma Baker“ kommt als rifflastiges Kraftpaket daher. Es gibt alte Brüller wie „Ich lass mich klonen“ oder „Der alte Mann“ und Neues wie „Du nich“.

Gewaltige aufblasbare Luftballons

Der Sound ist für Zitadellenverhältnisse mächtig laut und an den meisten Stellen auch von scharfer Brillanz. Und es gibt natürlich spektakuläre Aktionen. Zu einem Song, der sich besser im Konzert grölen als in einer Tageszeitung schreiben lässt (fängt mit F an), werden die als Tiger Lilly und Möhrchen angekündigten Sängerinnen in gewaltige aufblasbare Ballons gesteckt. Sie rollen darin waghalsig über die Hände der Masse bis zum Mixer und zurück. Später geht wieder ein Fernseher zu Bruch und für „Kurz und Klein“ werden drei ausgewachsene Heimorgeln auf die Bühne geschleppt, um sie gemeinschaftlich mit dem Vorschlaghammer in Stücke zu zerhauen.

Knorkator zerlegen nicht nur gerne Musikinstrumente, sie nehmen auch mit anarchischer Lust die Riten und Rituale des Musikgeschäfts auseinander. Sie sind auf erfrischende Weise unangepasst. Ihnen ist keine Autorität heilig. Doch mitunter ist es ihnen mit bei allem Unernst durchaus ernst. Neben dem düsteren Zugaben-Klassiker „Wir werden alle sterben“ samt Feuerspei-Einlage gibt es mit dem neuen Song „Warum“ eines der wohl poetischsten Lieder, die Knorkator je geschaffen hat. „Denn diese grandiose Melodie / verlangt nach Schmerz, Sehnsucht und Poesie“, heißt es da, „auf dass sie große Worte trägt / damit das Lied dein Herz bewegt.“

Welch ein Glück, dass Knorkator nach ihrer zwei lange Jahre währenden Auflösung wieder zusammen gefunden haben. „Danke für euer Dasein“ ruft Stumpen in die erschöpfte Menge. Der Applaus ist frenetisch.