Nach den diesjährigen 1. Mai-Krawallen hat der Verfassungschutz seine Auswertung veröffentlicht. Die Autonomen haben weniger Zulauf.

Die autonome Szene in Berlin steht nach Auffassung des Verfassungsschutzes vor einem Scheideweg. Trotz steigender Teilnehmerzahlen bei den Demonstrationen in der Walpurgisnacht und am 1. Mai gelinge es ihnen nicht, ihr Gewaltpotenzial zu vergrößern. „Sie findet keine neuen Mitstreiter für ihren militanten Kampf gegen die freiheitlich demokratische Grundordnung“, heißt es in der 15-seitigen Auswertung des Verfassungsschutzes.

Für die künftige Entwicklung komme es darauf an, ob es den gewaltbereiten Autonomen gelinge, neue soziale Bewegungen für ihre Zwecke zu instrumentalisieren. „Bisher fehlt den Autonomen jedoch die Fähigkeit zu einem entsprechend grundsätzlichen Strategiewechsel“, heißt es in dem Bericht weiter. Als Beispiel für diese Entwicklung nennen die Verfassungsschützer den Verlauf der diesjährigen Walpurgisnacht. Zum ersten Mal hatte die Demonstration nicht in Friedrichshain, sondern in Wedding stattgefunden. Die autonome Szene habe sich dadurch erhofft, neues gewaltbereites Potenzial bei den von Gentrifizierung bedrohten Anwohnern für sich rekrutieren zu können. „Allerdings hat dies keineswegs zu einer erhöhten Militanz innerhalb des Aufzugs geführt, sondern im Ergebnis war es die friedlichste Walpurgisnacht der letzten Jahre“, schreiben die Verfassungsschützer.

Vorsichtiger Optimismus

Der Bericht wurde von der Landespolitik vorsichtig optimistisch aufgenommen. „Ich wäre da zurückhaltender“, sagte der innenpolitische Sprecher der SPD, Thomas Kleineidam. „Von einer Krise bei der autonomen Szene zu sprechen scheint mir zu vorschnell formuliert.“ Allerdings sei der befürchtete Anstieg der Gewaltvorfälle nicht eingetreten. „Der diesjährige 1. Mai ist deutlich friedlicher verlaufen als befürchtet wurde“, sagte Kleineidam.

Die Sicherheitsbehörden hatten in diesem Jahr mit einem Anstieg der Gewalt gerechnet, weil die Auseinandersetzungen nun im 25. Jahr stattfinden. Außerdem ist nach zehn Jahren mit Frank Henkel wieder ein Christdemokrat als Innensenator für die Sicherheit der Stadt zuständig. Die Behörden rechneten wegen des langen Wochenendes mit der Anreise von sogenannten Krawalltouristen.

Auch die CDU äußerte sich zurückhaltend. „Das ist noch kein Grund zur Entwarnung“, sagte der Verfassungsschutzexperte der Partei, Stephan Lenz. Nach der aktuellen Polizeistatistik steige die linksextremistische Gewalt in der Stadt an – unabhängig von der Entwicklung am 1. Mai. Verzeichneten die Behörden 2010 noch 822 Fälle linksextremistischer Gewalt, so waren es im vergangenen Jahr 1345 Fälle. „Es gibt also keinen Grund zu sagen, es gibt kein Problem“, sagte Lenz. Das sieht der Innenexperte der Grünen, Benedikt Lux, anders. „Ich begrüße, dass man radikale Forderungen jetzt friedlich äußert“, sagte Lux. Wer die eigene Meinung mit Gewalt vorbringe, schade der Sache. „Ich bin hoffnungsvoll, dass sich diese Erkenntnis in der linken Szene durchgesetzt hat“, sagte Lux. Der Anstieg linksextremer Gewalt stelle dazu keinen Widerspruch dar. „Die Zahlen sind auf dem Niveau von vor zwei Jahren, und außerdem werden die Farbbeutelwürfe gegen teure Neubauten in der Innenstadt der linken Gewalt zugeordnet“, sagte Lux.

Der Bezirksbürgermeister von Friedrichshain-Kreuzberg, Franz Schulz (Grüne), hatte in der vergangenen Woche vorgeschlagen, künftig weit weniger Polizisten zur Sicherung des 1. Mai einzusetzen: „Man sollte diesen weitgehend friedlichen Verlauf analysieren und prüfen, ob wir immer noch so viele Polizeikräfte brauchen oder ob man da Steuergeld sparen kann.“

7000 Polizisten im Einsatz

Insgesamt waren 7000 Polizisten im Einsatz. Nicht bei der Begleitung der Demonstration, sondern bei der Reserve, die für den Ernstfall vorgehalten werde, könne man möglicherweise auf Kräfte verzichten, so Schulz. Diesem Vorstoß erteilte Polizeivizepräsidentin Margarete Koppers jedoch eine Absage. Der 1. Mai sei gerade wegen der massiven Polizeipräsenz so friedlich verlaufen.

Auch Innensenator Frank Henkel (CDU) hat nach dem 1. Mai ein positives Fazit gezogen. Die Einsatzkräfte hätten mit „Besonnenheit“ und „Entschlossenheit“ gehandelt. Dadurch sei es nur zu wenigen Zwischenfällen gekommen. Nach Polizeiangaben wurden bei Zwischenfällen in der Walpurgisnacht und am 1. Mai insgesamt 124 Polizisten verletzt. Es gab darüber hinaus 123 Festnahmen. Bei den Mai-Demonstrationen 2011 hatte es 100 verletzte Polizeibeamte, andererseits 161 Festnahmen gegeben.

Die meisten Konflikte in diesem Jahr ereigneten sich am Rande der „Revolutionären 1.-Mai-Demonstration“, die von Kreuzberg nach Mitte ziehen wollte und vorzeitig beendet werden musste. Gleich zu Beginn der Demonstration hatten Vermummte Flaschen und Steine mitgenommen, eine Sparkassenfiliale an der Skalitzer Straße attackiert, ebenso einen Supermarkt von Kaiser's an der Ritterstraße. Der Aufmarsch war daraufhin aufgelöst worden. „Vereinzelte Versuche, sich neu zu formieren, scheiterten“, heißt es dazu im Bericht des Verfassungsschutzes.