2820 der 8000 angestellten Berliner Lehrer fordern in einem Manifest bessere Arbeitsbedingungen und eine Gleichstellung mit ihren verbeamteten Kollegen. Nur so könne verhindert werden, dass qualifizierte und engagierte Lehrkräfte Berlin verlassen und unbesetzte Stellen zu Unterrichtsausfall führen, heißt es. Am Freitag wollen die Lehrer ihre Forderungen Bildungssenatorin Sandra Scheeres (SPD) übergeben. Unterstützung bekommen sie von der Lehrergewerkschaft GEW. Redakteurin Regina Köhler sprach darüber mit der Vorsitzenden der Berliner GEW, Sigrid Baumgardt.
Morgenpost Online: Frau Baumgardt, muss Berlin seine Lehrer wieder verbeamten?
Sigrid Baumgardt: Nein. Lehrer zu sein ist keine hoheitliche Aufgabe im eigentlichen Sinne, deshalb ist die Verbeamtung von Lehrern auch nicht zwingend erforderlich. Die Entscheidung darüber, ob verbeamtet wird oder nicht, obliegt dem Senat. Notwendig ist es allerdings, die Arbeitsbedingungen für angestellte Lehrer zu verbessern. Die Situation von angestellten und verbeamteten Pädagogen darf sich nicht gar zu sehr voneinander unterscheiden. Momentan wird sie als Gerechtigkeitslücke aufgenommen. Wir unterstützen deshalb die Forderung nach besseren Arbeitsbedingungen für angestellte Lehrer.
Morgenpost Online: Was müsste verbessert werden?
Sigrid Baumgardt: Zu allererst steht da die Forderung nach langfristig angeglichenem Nettolohn. Außerdem muss die Reglung bei langfristigen Erkrankungen angepasst werden. Beamte bekommen ihr Regelgehalt für die gesamte Zeit ihrer Krankheit. Für die Angestellten fordern wir deshalb, dass der Zuschlag über die 39. Woche hinaus gezahlt wird. Auch wenn sie ins Ausland gehen, um zu arbeiten, sind angestellte Lehrer benachteiligt. Sie werden zu den Bedingungen des Landes bezahlt, in dem sie arbeiten, während die Beamten mehr als ihre Besoldung bekommen.
Morgenpost Online: Die GEW unterstützt die angestellten Lehrer bereits seit längerem, was haben Sie bisher erreicht?
Sigrid Baumgardt: Wir haben 2009 durchgesetzt, dass die Berufseinsteiger sofort mit dem Gehalt der Erfahrungsstufe 5 anfangen, das sie früher erst nach zehn Jahren Berufserfahrung bekommen hätten. Das sind rund 1300 Euro brutto mehr im Monat. Tariflich abgesichert ist das allerdings nicht. Das heißt, diese Zulage könnte zu jedem neuen Schuljahr wieder gekündigt werden. Da es tarifrechtlich aber nicht möglich ist, sofort vier Erfahrungsstufen zu überspringen, können wir uns vorstellen, die sofortige Eingliederung in die Erfahrungsstufe 3 durchzusetzen und das dann auch tariflich abzusichern.
Morgenpost Online: Das wäre doch aber ein Rückschritt?
Sigrid Baumgardt: Einerseits. Andererseits könnte diese Bezahlung tariflich festgelegt werden und wäre nicht mehr kündbar. Für die Lehrer hieße das mehr Sicherheit. Über weitere Zulagen muss man dann gegebenenfalls reden.
Morgenpost Online: Der Druck ist groß, schnell Lösungen zu finden. Allein die aktuelle Einstellungsrunde zum zweiten Schulhalbjahr zeigt, dass es immer schwerer wird, die notwendige Einstellungszahl zu erreichen. Gibt es weitere Vorschläge Ihrerseits, junge Lehrkräfte in Berlin zu halten?
Sigrid Baumgardt: Wir schlagen eine andere Arbeitszeitreglung für angestellte Lehrer vor. Das beinhaltet eine Absenkung der Pflichtstundenzahl um zwei Stunden. Wer die Absenkung nicht in Anspruch nehmen will, bekommt diese zwei Stunden extra bezahlt. Frau Scheueres kennt dieses Modell bereits, geäußert hat sie sich bisher nicht dazu. Um über weitere Möglichkeiten zu diskutieren, haben wir für Ende März eine große tarifpolitische Konferenz angesetzt, bei der es um unsere Strategien gehen soll.
Morgenpost Online: In Berlin fehlen nicht nur Lehrer, sondern auch Erzieher, vor allem in den Kitas. Was ist da zu tun?
Sigrid Baumgardt: In Berlin müssen weitere 20.000 Kita-Plätze eingerichtet werden. In diesem Zusammenhang haben wir errechnet, dass bis 2015 rund 5000 Erzieher fehlen. Auch hier muss Senatorin Sandra Scheeres so schnell wie möglich aktiv werden. Die Erzieherinnen in den Kitas brauchen Vollzeitverträge. Momentan werden sie nur in Teilzeit und häufig befristet eingestellt. Außerdem müssen auch sie besser bezahlt werden.
Morgenpost Online: In den vergangenen Jahren sind junge Lehrer immer wieder in andere Bundesländer abgewandert. Dort lockte die Verbeamtung und damit eine deutlich bessere Bezahlung. Was halten Sie davon?
Sigrid Baumgardt: Es ist das gute Recht der Lehrer, zu gehen. Sie haben schließlich das Recht auf freie Ortswahl.
Morgenpost Online: Zum kommenden Schuljahr haben bereits weitere 240 angestellte Lehrer einen Antrag auf Freigabe gestellt. 50 von ihnen wurde dieser Antrag nicht bewilligt. Ist das rechtens?
Sigrid Baumgardt: Bisher hatten die Lehrer in Berlin keine Schwierigkeiten damit, wenn sie gehen wollten. Wenn nun aber die Gefahr besteht, dass Schulen keinen Ersatz finden, ist es verständlich, dass sie die Erklärung nicht unterschreiben. Die Lehrer können natürlich trotzdem kündigen. Dann besteht für sie allerdings das Risiko, dass sie ohne Stelle dastehen, wenn es woanders doch nicht klappen sollte oder dass sie eben keine Anschlussverträge kriegen.
Morgenpost Online: Noch eine Frage zur ständig wachsenden Zahl der dauer- beziehungsweise langzeiterkrankten Lehrer. Woran liegt das?
Sigrid Baumgardt: In den vergangenen Jahren hat sich der Umfang der außerunterrichtlichen Tätigkeiten der Lehrer extrem vergrößert. Gleichzeitig ist die Unterrichtsverpflichtung gestiegen. Viele Lehrer schaffen das nicht mehr. Gegenwärtig sind von den 29.000 Pädagogen rund 1400 dauerkrank, das sind immerhin fünf Prozent.
Morgenpost Online: Was meinen Sie mit außerunterrichtlichen Tätigkeiten?
Sigrid Baumgardt: Es geht um die ständig neuen Reformen, die umgesetzt werden müssen. Auch Elternarbeit, Konferenzen, Schulentwicklung gehören dazu. Lehrer müssen heute überdies viel mehr Prozesse dokumentieren und viele Vergleichstests auswerten. Wir fordern deshalb, die Unterrichtsverpflichtung aller Lehrer, besonders aber der älteren, zu senken.
Einsatz für die Bildung
Forderungen: Sigrid Baumgardt ist im April 2011 neben Doreen Siebernik und Hartmut Schurig zur Vorsitzenden der Gewerkschaft Erziehung und Wissenschaft (GEW) gewählt worden. Sie machte gleich in den ersten Tagen auf sich aufmerksam, weil sie eine Großdemonstration im Juni 2011 mitorganisierte. Die GEW fordert höhere Ausgaben für Berliner Schulen und Kitas und kritisiert den Fachlehrermangel in Berlin. Auch in der Woche vor der Wahl zum Abgeordnetenhaus im September 2011 sprach sie bei einer Großdemonstration auf dem Alexanderplatz. Zudem verantwortet Baumgardt unter anderem die Mitgliederzeitschrift „blz“ (Berliner Lehrerzeitung).