Abgeordnetenhaus Berlin

Sechs von 15 Piraten kandidieren für Vorsitz

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Christina Brüning

Foto: Reto Klar

Es hat gedauert, aber jetzt haben die Berliner Piraten einen Fraktionschef, einen parlamentarischen Geschäftsführer und eine Satzung. Die entscheidende Sitzung dazu zeigt: Die Beratungen und die Abstimmungen sind auch bei der Piratenpartei nicht ganz so unorthodox, sondern bürokratisch zäh.

Für ihre zweite Fraktionssitzung sind die Piraten in einen größeren Raum des Abgeordnetenhauses umgezogen, des Presseandrangs wegen. In Raum 304 sind sechs Reihen mit je acht Stühlen auf die 15 Plätze ausgerichtet, auf denen die Fraktionsmitglieder in spe – vor Neukonstituierung des Abgeordnetenhauses sind sie offiziell noch keine Fraktion – selbst Platz nehmen. Der öffentliche Streit in ihrer ersten Sitzung darüber, wie transparent die Piratenpolitik eigentlich sein soll, hat auch am Dienstag wieder zahlreiche Medienvertreter angelockt. Sie wollen live dabei sein, bei dieser „kleinen Revolution“ im Abgeordnetenhaus, wie in den Tagen seit der Wahl oft geschrieben wurde. Fraktionssitzungen finden sonst hinter verschlossenen Türen statt.

Unpünktlich um kurz nach 15 Uhr beginnt die Sitzung. Schnell wird klar: Wilde Debatten stehen nicht mehr auf der Tagesordnung, dafür diverse bürokratische Aufgaben. Nicht die Piraten entern das Abgeordnetenhaus, das Hohe Haus und seine Regeln entern die Piraten.

Wichtigster Punkt auf der Tagesordnung der Partei: Sich selbst eine Satzung zu geben – quasi die Hausaufgabe des Präsidiums an die Piratenpartei. „Damit wir weiter hier im Abgeordnetenhaus arbeiten können“, sagt Christopher Lauer. Lauer hat am Text der Satzung mitgearbeitet und will sie nun diskutieren. Doch zum Entwurf an sich gibt es in dieser Runde nur eine Wortmeldung. Als größeres Problem erweist sich die verflixte Juristerei. „Welchen Rechtsstatus haben wir denn jetzt?“, fragen die künftigen Abgeordneten. Darf eine „Fraktion in Gründung“ sich schon rechtssicher eine Satzung geben? Braucht es dafür eine Zweidrittel-Mehrheit? Kann man nach der Verabschiedung noch etwas ändern?

„Wir haben hier jetzt einen neuen Forschungszweig der Juristerei gefunden“, sagt Alexander Morlang schließlich. Am Ende entscheiden sie, sich nun unter Vorbehalt eine Satzung zu geben und noch einmal den wissenschaftlichen Dienst des Abgeordnetenhauses um Hilfe zu bitten. Gerwald Claus-Brunner, der Mann mit der charakteristischen Latzhose, will die ganze Satzung vor der Abstimmung aber noch einmal vorgelesen haben. „Das macht man auch bei Gesetzen so.“ Lauer tut ihm den Gefallen, Paragraf für Paragraf, Absatz für Absatz. Lauer, den Fernsehdeutschland bereits aus der letzten Sendung von Anne Will kennt, liest schnell. Er leiert, er verliest sich. Ihm zu folgen, dürfte kaum einem der Abgeordneten gelungen sein. Ein Blick in den Internet-Nachrichtendienst Twitter bestätigt den Eindruck. „ Hallo aufwachen! “ schreibt dort Fabio Reinhardt an seinen Fraktionskollegen Heiko Herberg. „ Habemus Satzung “ twittern sie kurz darauf nach der Annahme des Regelwerks.

Es folgt die Annahme der Wahl- und Geschäftsordnung, danach beginnt die – auch bei Piraten – geheime Wahl des Personals. Die Posten des Parlamentarischen Geschäftsführers sowie Fraktionsvorsitz samt Stellvertreter sind zu besetzen. Die Wahl von Martin Delius zum Geschäftsführer läuft reibungslos. Der 27 Jahre alte Softwareentwickler scheint in der Fraktion für das Amt unumstritten zu sein. Heikler ist die Position des Fraktionschefs. In der vergangenen Woche war der spontane Vorstoß von Christopher Lauer und Andreas Baum, sich zur Doppelspitze wählen zu lassen, von den Piraten zurück gewiesen worden. Zu plötzlich, zu intransparent, lautete der Vorwurf.

Lauer hat auch am Dienstag die Hand als erster oben, als es um die Kandidatur geht. Der 27-Jährige sieht vermutlich von allen Fraktionsmitgliedern am konventionellsten aus. Dreitagebart, schwarze Randbrille, Hemd und Jackett. Könnte auch in der SPD sein. Lauer ergreift oft die Initiative, macht Lösungsvorschläge und beendet so Diskussionen. Einigen seiner Kollegen ist er schon zu dominant. „Ich weiß, dass ich ein anstrengender Mensch bin“, sagt er bei der Begründung seiner Kandidatur. Aber der Fraktionschef sei vor allem nach außen eine herausgehobene Stellung. „Ich spiele Theater seit der fünften Klasse, ich traue mir das zu“, sagt Lauer. Die anderen könnten ihn ja wieder auf den Teppich zurückholen.

Es gibt aber fünf weitere Kandidaturen. Etwa von Fabio Reinhardt, ein sonst ruhiger Pirat, Typ „netter junger Mann“, der sich explizit dafür einsetzen will, dass der Fraktionschef eben kein herausgehobener Abgeordneter ist, und der sich auf die Grundwerte der Piraten beruft. Reinhardt und Lauer – zwischen diesen beiden Extremen spielt sich diese Partei ab.

Im ersten Wahlgang scheitert Lauer knapp. Im zweiten kann sich Andreas Baum durchsetzen. Er ist bereits Gesicht der Partei, er war ihr Spitzenkandidat. Die Meldung kommt natürlich über Twitter, bei Baums Fraktionskollegen Gerwald Claus-Brunner liest sich das so: " habemus papam ". Und dann gibt es Glückwünsche .

Zu Baums Stellvertreter wurden Heiko Herberg, Fabio Reinhardt und Susanne Graf gewählt. Parlamentarischer Geschäftsführer ist Martin Delius, Pressesprecher Ben de Biel.

>>> Das Protokoll der Fraktionssitzung im Netz