Die Wahlen zum Berliner Abgeordnetenhaus bestätigen eindrucksvoll die Erfahrungen der vergangenen Jahren: Die Zahl der treuen Stammwähler wird gerade für die etablierten Parteien immer kleiner. Dagegen entscheiden immer mehr Wahlberechtigte kurzfristig, ob sie überhaupt zur Wahl gehen, und dann relativ spontan, wem sie ihre Stimme geben. Erst durch diese Tendenz wird es auch möglich, dass eine Partei wie die Piraten innerhalb von nur wenigen Wochen einen fast kometenhaften Aufstieg in der Wählergunst erlebt.
Nach einer Analyse des Meinungsforschungsinstituts Infratest Dimap, das die Wählerwanderungsbewegungen bei der Wahl zum Abgeordnetenhaus untersuchte, konnten die Piraten allein 21.000 Berliner aus dem Lager der Nichtwähler für sich mobilisieren. Die Internet-Partei dürfte damit erheblich Anteil daran haben, dass die Wahlbeteiligung in Berlin nicht noch weiter gesunken, sondern erstmals seit Jahren wieder leicht auf mehr als 60 Prozent gestiegen ist.
Erneut stärkste Kraft in Berlin ist die SPD. Doch in absoluten Zahlen verlor die Partei mehrere tausend Stimmen. Allein 15.000 Berliner, die 2006 noch ihre Stimme der SPD gegeben hatten, stimmten nun für die Grünen. Weitere 13.000 SPD-Wähler waren offenbar so unzufrieden mit der Regierungsarbeit, dass sie zur Protestpartei, den Piraten, wechselten. Und immerhin 11.000 SPD-Wähler wanderten zur oppositionellen CDU ab. Nennenswerte Zugewinne konnte die SPD dagegen lediglich im Lager der FDP-Wähler erzielen. 8000 Berliner, die vor fünf Jahren noch ihre Zweitstimme den Liberalen gegeben hatten, machten nun ihr Kreuz bei der SPD. Dagegen konnte die SPD aus der Schwäche der Linkspartei kaum Nutzen ziehen, lediglich 1000 Linken-Wähler gaben nun den Sozialdemokraten ihre Stimme. Immerhin 5000 Stimmen konnte die Sozialdemokraten im großen Lager derjenigen mobilisieren, die 2006 nicht zur Wahl gegangen waren.
CDU profitiert von schwacher FDP
Die Berliner CDU konnte gegenüber 2006 leicht Stimmen dazugewinnen. Die Christdemokraten profitierten laut Infratest Dimap dabei erheblich von der Schwäche ihres Koalitionspartners auf Bundesebene, den Liberalen. Rund 30000 einstige FDP-Wähler gaben der CDU ihre Stimme. Allerdings verlor die CDU auch Wähler. So wechselten 4000 zu den Piraten und 3000 frühere CDU-Wähler gingen gar nicht erst zur Wahl.
Lange Zeit sah es so aus, also ob die Grünen die SPD im Kampf um den Wahlsieg herausfordern könnten. Am Ende konnten die Grünen zwar erhebliche Stimmgewinne erzielen, doch sie sind nur drittstärkste Kraft in der Stadt. Dass sie nicht besser abschnitten, verdanken sie maßgeblich dem guten Resultat der Piratenpartei. Laut Infratest Dimap wanderten 16.000 Grünen-Wähler zu den Piraten ab. Dass sie unterm Strich dennoch ihr bestes Wahlergebnis in der Berliner Geschichte erzielten, verdanken sie vor allem ihren Zugewinnen im Lager der SPD-Wähler, von denen nun 15.000 ihre Stimme den Grünen gaben. Zudem konnten die Grünen 9000 Nichtwähler mobilisieren und 7000 frühere Wähler kleinerer, nicht im Abgeordnetenhaus vertretener Parteien für sich gewinnen.
Deutlich unter den selbst gesteckten Wahlzielen blieb die Linke. Wie die SPD und die Grünen verloren sie Wähler an die Piraten. Rund 12.000 Linken-Wähler machten am Sonntag ihr Kreuz bei der neuen Protestpartei. Jeweils 2000 einstige Wähler verliert die Linke an die CDU und die Grünen, dagegen gaben 3000 frühere Nichtwähler nun der Linken ihre Stimme.
Ein Desaster war die Wahl zum Abgeordnetenhaus für die FDP. Die Liberalen verloren an alle anderen Parteien, 30.000 allein an die CDU, 8000 an die SPD und weitere 6000 an die Piraten. 16.000 frühere FDP-Wähler gingen gar nicht erst zur Wahl, ein Beleg dafür, dass die Partei weite Teile ihre Stammwählerschaft nicht mobilisieren konnte.
Die erstmals in einem Landesparlament vertretenen Piraten konnten nicht nur 21.000 Nichtwähler mobilisieren. In gleicher Größenordnung überzeugten sie Wähler anderer kleineren Parteien, diesmal ihnen die Stimme zu geben. Außerdem machten 16.000 frühere Wähler der Grünen, 13.000 von der SPD und 12.000 von den Linken dieses Mal ihr Kreuz bei den Piraten. Vergleichsweise gering fiel im Vergleich dazu die Zuwanderung aus der Wählerschaft der CDU (4000) und der FDP (6000) aus.
Von den im Abgeordnetenhaus bislang vertretenen Parteien verlor neben der FDP (16.000) nur noch die CDU rund 3000 frühere Sympathisanten ins Lager der Nichtwähler.