Andreas Baum

Wie der Piraten-Chef zu einem Dienstwagen steht

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Foto: Reto Klar

Für den Berliner Piraten-Chef geht es bald im Parlament richtig los. Im Interview mit Morgenpost Online spricht Andreas Baum über Transparenz, seinen möglichen Dienstwagen, die Suche nach Verbündeten und die Wahl des Regierenden Bürgermeisters.

Er hat seinen Job als Kundenberater einer Internetfirma jetzt doch gekündigt. Seit vergangener Woche ist Andreas Baum Vorsitzender der Piratenfraktion im Abgeordnetenhaus. Der 33-Jährige war bereits Spitzenkandidat der Piraten im Wahlkampf. Auf ihn kommt nun die Aufgabe zu, die Neu-Abgeordneten durch die ersten Erfahrungen im Parlament zu leiten, zusammenzuhalten und die Kommunikation mit den anderen Fraktionen zu pflegen.

Morgenpost Online: Herr Baum, in den wenigen Fraktionssitzungen der Piraten hat sich schon gezeigt, dass es bei Ihnen Pragmatiker und ausgeprägte Fundis gibt. Wie wollen Sie da für Zusammenhalt sorgen?

Andreas Baum: Natürlich gibt es unterschiedliche Vorstellungen davon, wie etwas zu sein hat. Das unterscheidet uns nicht von anderen Fraktionen, wir sind ja auch nur Menschen. Letzten Endes geht es darum, in der Fraktion zu einer gemeinsamen Aussage zu kommen. Bisher hat das ganz gut funktioniert, auch innerhalb des Landesverbandes. Wir haben keine konsistente, ausgeprägte Lagerbildung. Da fühlt sich keiner zugehörig zu einem Block oder einem Kreis innerhalb der Partei. Bei uns wechseln die Konstellationen sehr stark. Mal bildet sich eine Gruppe für oder gegen ein Thema, dann zerstreut sich das wieder und setzt sich neu zusammen. Ich denke, mir gelingt es ganz gut, dafür zu sorgen, dass es in einem Prozess am Ende auch eine Einigung gibt. Und gleichzeitig dazu zu stehen, dass es unterschiedliche Meinungen gibt.

Morgenpost Online: Sehen Sie sich in der Regel mehr als Pragmatiker oder als Fundi, der sehr an den Grundsätzen hängt?

Andreas Baum: Ich denke, das ist gar kein Gegensatz. Natürlich hänge ich an unseren Grundsätzen. Aber das führt dazu, dass ich ein Interesse daran habe, diese Grundsätze auch zur Wirkung zu bringen. Und das passiert nicht, wenn man nur fundamentalistisch argumentiert und sich nicht bewegt, sondern nur, wenn wir miteinander sprechen und sich etwas Neues herausbildet.

Morgenpost Online: Was sagen Sie zu den Koalitionsverhandlungen: Wie groß dürfen die Zugeständnisse Ihrer Meinung nach sein – darf eine Partei gewisse Kompromisse machen, wenn sie dafür an die Macht kommt und andere Vorhaben umsetzen kann?

Andreas Baum: Nein, ich denke nicht, dass das zum Ziel führt. Natürlich wiegt nicht jeder Kompromiss gleich schwer. Wir würden uns auf dem Weg zu einem bedingungslosen Grundeinkommen zum Beispiel sehr viel mehr bewegen als zu Fragen der Vorratsdatenspeicherung. Es darf nicht einfach ein flacher Kuhhandel dabei heraus kommen, das eine gegen das andere. Es muss ein Weg mit einem Kompromiss beschritten werden, den man weiter gehen kann.

Morgenpost Online: Es geht bei den Piraten viel um die Transparenzfrage. Wo hat Transparenz in der Politik Grenzen für Sie?

Andreas Baum: Wenn es um das persönliche Gespräch geht. Wir laufen nicht mit Mikrofonen oder Ortungsgeräten herum, sodass jeder nachvollziehen kann, mit wem wir den Tag über gesprochen haben. Transparenz sollte überall da sein, wo politisch Relevantes entschieden wird. Aber auch mit uns gibt es die Möglichkeit zum persönlichen Gespräch. Aber im Prinzip sagen wir, wenn wir im Abgeordnetenhaus sind und hier arbeiten, ist das öffentlich.

Morgenpost Online: Verhält man sich dann nicht die ganze Zeit anders, weil man beobachtet wird?

Andreas Baum: Ich denke schon, dass man sich ein bisschen anders verhält. Aber ich betrachte das eher als Gewinn. Es gibt natürlich Konflikte, die persönlich sind, aber die muss man dann auch explizit privat klären. Die Presse muss auch noch lernen, uns und unsere Art von Öffentlichkeit einzuschätzen. Wir beschimpfen uns nicht, haben aber durchaus andere Meinungen, die wir auch offen sagen ohne dass das gleich ein Streit ist.

Morgenpost Online: Bald geht die Parlamentsarbeit los. Wie definieren Sie Ihre Aufgabe in der Opposition?

Andreas Baum: Wir haben ein Wahlprogramm, für das die Leute uns auch gewählt haben. Und wir müssen organisieren, dass unser Wahlprogramm Niederschlag und Gewicht in der Politik findet. Und zwar werden wir ganz konkret fragen, wie ist das denn mit dem fahrscheinlosen Nahverkehr und so weiter. Es reicht nicht zu sagen, wir sind dafür, dann einen Antrag zu schreiben und die Abstimmung darüber zu verlieren. Es geht darum, das Ziel zu erreichen.

Morgenpost Online: Das heißt, Sie müssen sich Verbündete suchen. Wo finden Sie die?

Andreas Baum: Ich denke, bei allen Parteien. Das ist wieder die Frage nach den Schnittmengen. Die gibt es mit den einen mehr als mit den anderen. Aber trotzdem werden wir versuchen, mit allen Fraktionen ins Gespräch zu kommen zu den einzelnen Fragen. Und ich glaube, wir haben viel Erfahrung damit, Entscheidungen mehrheitsfähig zu machen. Wir sind darauf trainiert. Gerade durch Dinge wie Liquid Feedback in der Partei. Da gibt es dann eine Idee und unter Beteiligung aller lassen wir daraus eine gemeinsame Idee werden. Ich habe zwar durchaus Respekt vor dieser Aufgabe, aber keine Angst. Ich bin guten Mutes.

Morgenpost Online: Die Piraten sind die Meister des Kompromisses?

Andreas Baum: Darin, miteinander Dinge werden zu lassen, bei denen das Ziel fest steht, der Weg aber nicht. Ich habe in der Politik bisher oft beobachtet, dass es an Kleinigkeiten gehapert hat, auf die sich eine Seite versteift hat. An Formulierungen oder ähnlichem Projekte scheitern zu lassen, darauf würden wir uns eben nicht einlassen.

Morgenpost Online: Aber was, wenn eine Partei schon bei einem transparenten Aushandeln eines Kompromisses gar nicht mitmachen will?

Andreas Baum: Wir müssen sie halt davon überzeugen, dass es sinnvoll ist, Gespräche nach außen nachvollziehbar zu machen. Es geht ja nicht darum, jeden Satz, der beim Hallo-Sagen auf dem Flur fällt, zu protokollieren. Aber ohne Nachvollziehbarkeit einer Entscheidung geht es bei uns nicht. Und ich glaube auch, dass diese Botschaft bei den anderen Parteien angekommen ist. Die fragen sich auch, warum wir gewählt wurden. Und wenn sie sich in Sachen Transparenz nicht bewegen, dann haben wir bei der nächsten Wahl eben die doppelte Fraktionsstärke.

Morgenpost Online: Wie fühlen Sie sich denn von den anderen Fraktionen ernst- und wahrgenommen?

Andreas Baum: Ja, ich denke schon. Man muss sich aber noch näher kennenlernen.

Morgenpost Online: Ärgern Sie sich noch über Ihren RBB-Auftritt, bei dem Sie nicht wussten, wie viele Schulden Berlin hat?

Andreas Baum: Geärgert habe ich mich nie darüber. Ich fand das unglücklich und ich bin nicht zufrieden mit dem Auftritt. Aber ich habe das akzeptiert, das ist nichts, was mich in meinen Grundfesten erschüttert.

Morgenpost Online: Fürchten Sie nicht, dass dadurch Ihre Glaubwürdigkeit in den Augen der anderen Politiker gelitten hat?

Andreas Baum: Ich glaube schon, dass der Satz dazu geführt hat, dass sie uns erst mal nicht so ernst genommen haben. Auf der anderen Seite haben aber auch andere Leute, die sich vielleicht schon der Politik abgewandt hatten, gemerkt, dass es da noch Menschen wie du und ich gibt. Wer von den Zuschauern wusste diese Wissensfrage präzise zu beantworten?

Morgenpost Online: Wenn es zur Wahl des Regierenden Bürgermeisters kommt, können Sie sich vorstellen, Klaus Wowereit mitzuwählen?

Andreas Baum: Das ist noch nicht entschieden. Da muss man gucken, welche Optionen es gibt und mit wem er die Koalition eingeht. Viele bei uns in der Fraktion könnten sich mit Rot-Grün eher anfreunden als mit Rot-Schwarz. Was daraus aber die Schlussfolgerung für uns als Fraktion ist, müssen wir noch klären. Auch, ob wir uns dazu gemeinsam verhalten oder jeder einzeln.

Morgenpost Online: Ist es für Ihre Amtsausübung schwierig, dass Ihnen nicht nur die Fraktion, sondern die ganze Basis auf die Finger guckt?

Andreas Baum: Nein, das hilft eher. Ich finde es viel spannender, immer Rückmeldung und Anregung zu bekommen und zusammen etwas auszuarbeiten, als in kleiner Runde etwas zu machen und am Ende zu präsentieren. Und wenn es auch nur ein Rechtschreibfehler ist, der so schneller gefunden wird. Das ist ein Gewinn.

Morgenpost Online: Sie haben viel darüber diskutiert, welche Privilegien es in der Fraktion für Funktionsträger geben soll. Bekommen Sie nun einen Dienstwagen?

Andreas Baum: Ich werde keinen Dienstwagen in Anspruch nehmen, ich kann mir nicht vorstellen, wofür ich den benötigen sollte. Und die Fraktion will den auch nicht. Wir können auch keine Dienstfahrräder stattdessen bekommen. Wir müssen noch mal schauen, ob wir offiziell Verzicht auf den Wagen aussprechen oder ob es eine andere sinnvolle Alternative gibt. So ein Wagen kostet viel Geld, das man anderswo brauchen könnte. Und solche Beispiele gibt es viele, bei denen man einfach mal hinterfragen muss, ob und warum etwas sein muss.

( Christina Brüning )