Am lautesten wird auf der Wahlparty der Sozialdemokraten gejubelt, als die Bildschirme das miserable Ergebnis der FDP anzeigen. Applaus und fröhliche Pfiffe ertönen immer wieder, sobald die Anhänger der SPD in der Kulturbrauerei im Prenzlauer Berg den kleinen gelben Balken erblicken. Hingegen zögerlich und geradezu bescheiden spenden sie Beifall, sobald über das eigene Resultat – samt der Verluste gegenüber der Wahl vor fünf Jahren – berichtet wird.
Obgleich Berlins SPD weiterhin stärkste Partei ist, den Senat abermals anführen und den Regierenden Bürgermeister stellen wird – die Enttäuschung über diesen glanzlosen Sieg steht den Sozialdemokraten ins Gesicht geschrieben.
Emotional reagieren die rund 1000 Gäste der SPD-Party noch einmal, während in der Liveübertragung der ARD mögliche Koalitionsoptionen durchgespielt werden. Die rot-rote Koalition, die Wowereit zehn Jahre lang anführte, ist passé. Es bleibt wohl die Möglichkeit, mit den Grünen zu regieren und mit der CDU. Während die – wesentlich komfortablere – Mehrheit der Sitze von SPD und CDU im Abgeordnetenhaus angezeigt wird, ertönen Pfiffe, Buh- und Pfuirufe.
So sehr Wowereit ankündigt, mit den Christdemokraten Sondierungsgespräche zu führen, so sehr er sich in den Wochen zuvor primär an den Grünen abgearbeitet hat, so klar wünscht sich seine Basis einen rot-grünen Senat.
Klaus Wowereit kommt an diesem Wahlabend später als geplant. Erst um 18.30 Uhr kündigt sich sein Erscheinen an; eine Kamera verfolgt den Bürgermeister vom Eintreffen an der Kulturbrauerei bis in deren überfülltes Kesselhaus, untermalt mit Techno-Rhythmen. Es ist ein bizarrer Auftritt, den Wowereit sich da leistet gemeinsam mit seinem Lebensgefährten Jörn Kubicki und dem SPD-Landesvorsitzenden Michael Müller. Minutenlang lässt er sich beklatschen, während die Techno-Rhythmen weiter hämmern.
Kurz verbeugt sich Wowereit vor der Menge, dann mimt er ein Techno-Tänzchen und wirft dem Publikum Küsschen zu. Es wirkt, als sei Wowereit von seinem mittelmäßigen Ergebnis geradezu berauscht. Der immer etwas zu blasse Landeschef Müller behauptet, die SPD habe ihre drei Wahlziele erreicht.
Anschließend überreicht er seinem langjährigen politischen Freund, Verbündeten und Förderer Wowereit einen riesigen „Wowi“-Bären, ein eher ungewöhnliches Geschenk für einen Ministerpräsidenten. Wowereit, der dieses Stofftier in Miniaturformat im Wahlkampf immer wieder verschenkt hat, hebt den Bären in die Höhe. Auf dessen rotem T-Shirt ist zu lesen: „Mutti vom Janzen.“ Dit is’ Berlin.
Auch Wowereit definiert seine Freude an jenem Abend primär über das schlechte Abschneiden der politischen Konkurrenz. „Es ist so schön bei Euch!“ ruft er seinen Anhängern zur Begrüßung zu. Er habe im Fernsehen die Wahlpartys der anderen Parteien verfolgt: „Unsere ist die schönste und die beste.“
Es folgen die üblichen Floskeln – Dank an alle Helfer und so weiter. Nicht vergisst er die „Beraterinnen und Berater“, nennt er es doch „eines der übelsten Gerüchte“, wenn behauptet wird, er sei beratungsresistent.
Dass Wowereit aber stets ein wenig anders, populärer und geschickter agiert als viele andere Politiker, offenbart er wenig später. „Fast alle“ Wahlziele habe die SPD erreicht, korrigiert er die apparatschikhafte Ansprache seines Ausputzers Müller, um festzustellen, er sei „ein bisschen traurig“. Er habe schließlich auf ein Ergebnis von „30 plus“ gehofft. Solch offene Worte sprechen Politiker normalerweise nicht aus, zumal wenn sie in wenigen Wochen mit einer Bestätigung im Amt rechnen können.
Kanzlerkandidat der SPD?
Nun wird Wowereit mit diesem bescheidenen Ergebnis wohl von Parteifreunden weniger oft als Kanzlerkandidat der SPD vorgeschlagen, als es das Willy-Brandt-Haus befürchtet hatte. Doch ganz mag Wowereit auf Ausflüge in die Bundespolitik nicht verzichten. „Die Konservativen sind erneut geschwächt worden“, ruft er aus und geißelt die Haltung der FDP in der Euro-Frage.
„Die Bundesregierung muss zurücktreten und abtreten“ donnert Wowereit unter dem Jubel seiner Anhänger in den Saal. Hätte Wowereit soeben 34 oder 35 Prozent der Stimmen erzielt, dann hätten wohl seine Anhänger erklären können, „der Klaus“ sei auch für höhere Ämter geeignet.
Wowereit sei für höheres geeignet
In der SPD wurde seit Monaten mit einer Kandidaten-Debatte um Wowereit gerechnet, sofern er denn sein Ergebnis der letzten Wahl (30,8 Prozent) einigermaßen hätte halten können. Dass ausgerechnet SPD-Generalsekretärin Andrea Nahles jene Diskussion lostrat, und dies Wochen vor der Wahl, erstaunte dann doch viele Sozialdemokraten.
„Für Höheres geeignet“ sei Wowereit, sagte Nahles der „Berliner Morgenpost“. Und der soll geschäumt haben, heißt es. Der oberste Grundsatz seines Wahlkampfs lautete schließlich: Nur über Berlin reden, niemals über andere Aufgaben. Fortan musste sich Wowereit fragen lassen, ob er sich als Kanzlerkandidat geeignet sähe. Natürlich dementierte er.
Wie tief der Graben ist zwischen Wowereit und der sozialdemokratischen Troika, bestehend aus Sigmar Gabriel, Frank-Walter Steinmeier und dem möglichen Kanzlerkandidaten Peer Steinbrück, offenbart sich auch an diesem Abend. Die SPD-Spitze (zu der Steinbrück wenigstens offiziell noch nicht zählt) ist in der Kulturbrauerei zugegen, und es ist bezeichnend, in welcher Reihenfolge Wowereit seine Leute begrüßt: Zunächst NRW-Ministerpräsidentin Hannelore Kraft, Hamburgs Bürgermeister Olaf Scholz, Nahles und erst dann Gabriel. Steinmeier erwähnt er nicht.
Doch Gabriel lässt seine Distanz ebenso erkennen. So wie schon vor fünf Jahren der damalige SPD-Vorsitzende Kurt Beck auf einen Wahlsieg Wowereits setzte und doch hoffte, dieser möge nicht allzu viele Prozentpunkte absahnen, so dachte auch Gabriel.
Breitseite gegen Wowereit vor dessen Fans
Als dieser um 18.47 Uhr in der Kulturbrauerei das Wort ergreift, attackiert er zunächst die grüne Spitzenkandidatin Renate Künast, um sogleich mit Blick auf das SPD-Ergebnis festzustellen: „Wir hatten uns gewünscht, dass es noch ein bisschen mehr wird.
Es handelt sich um eine ziemliche Breitseite gegen Wowereit vor dessen Fans und laufenden Kameras. Es sei eben „kein einfaches und leichtes Ergebnis“, ergänzt Gabriel noch. Dann wendet er sich dem Ausgang der bisherigen Landtagswahlen dieses Jahres zu: Sechsmal stelle die SPD danach den Regierungschef, acht Mal sei sie an der Regierung beteiligt. Je länger Gabriel redet, und er redet lange, desto genervter blickt Wowereit. Zwischenzeitlich spielt er mit dem „Wowi“-Bären.
Der Habitus Wowereits, der suggeriert, Politik sei für ihn nicht alles und der sich allzu gern als Popstar stilisiert, ist Gabriel und den anderen in der SPD-Spitze fremd. Wowereit geht es umgekehrt ähnlich. Er hatte in seinem ganz auf sich zugeschnittenen Wahlkampf auf Großveranstaltungen mit Gabriel, Steinmeier und erst recht Steinbrück verzichtet.
Allein am Freitagnachmittag vor der Wahl, als es sich nicht recht vermeiden ließ, trat er auf dem Potsdamer Platz Seite an Seite mit Gabriel auf.
Wie wird Wowereit agieren?
Wie aber wird Wowereit nun agieren? Gut möglich, dass er schon bald nach den Koalitionsverhandlungen, also sobald die Macht verteilt ist, in einen mehrjährigen Winterschlaf verfällt. So hatte er es auch in der vergangenen Legislaturperiode gehalten, bis er von seiner Konkurrentin Künast wach geküsst wurde.
Womöglich verlässt er beizeiten, noch vor der nächsten Berlin-Wahl, die politische Bühne. Oder aber er versucht es, sich zum Frontmann des personell völlig ausgezehrten linken Flügels innerhalb der Sozialdemokratie zu stilisieren.
Als Resonanzboden ist ihm die gesäßgeografische politische Verortung als „Linker“ in der SPD, deren stellvertretender Bundesvorsitzender er seit zwei Jahren ist, wichtig. Was aber genau das linke Profil Wowereits ausmacht, ist nicht ersichtlich. Bisher beruhte dieses Image wohl vor allem auf der Tatsache, dass er mit einer Partei namens Die Linke regierte. Doch dieser rot-rote Senat wurde abgewählt.