Angst vor Gentrifizierung

Berliner demonstrieren gegen steigende Mieten

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Berlins "Wutmieter" sind am Sonnabend auf die Straße gegangen, um gegen steigende Mieten in der Hauptstadt zu protestieren. Rund 1000 Menschen versammelten sich dazu auf dem Hermannplatz in Neukölln und setzen sich in Richtung Oranienplatz in Kreuzberg in Bewegung.

Magnus Märtin durchlebt derzeit eine unruhige Zeit. Der 37-Jährige und seine Familie aus dem Berliner Stadtteil Kreuzberg sollen nach dem Willen ihres Vermieters die Koffer packen. "Er will uns rausklagen", sagt der Familienvater. In sechs Monaten wird sich ein Gericht mit der Räumungsklage befassen. "Es sieht aber gut für uns aus." Offenbar rechtfertigten die Argumente des Vermieters keinen Rauswurf. Trotzdem gehen er und seine Frau Viola am Samstag auf die Straße. Mit tausenden Berlinern demonstrieren sie gegen steigende Mietpreise.

Das Plakat von Magnus Märtin sticht aus der Menschenmasse heraus. "Miethaie raus" steht darauf. Seit zehn Jahren wohnt er in der Mariannenstraße. "Fünfmal haben in dieser Zeit die Eigentümer gewechselt", erzählt der Berliner. Nun solle er ausziehen. "Diese Ungewissheit zehrt an den Nerven", sagt eine Nachbarin. Die Mieter der Mariannenstraße 31-32 hätten sich aber zusammengeschlossen. "Gemeinsam sind wir stark", zeigt sich die 50-Jährige kämpferisch. Regelmäßig tauschen sich die Familien über ihre Rechte als Mieter aus.

Nachfrage lässt Mieten steigen

"Hopp, hopp, hopp - Mieterhöhungen stopp", grölt eine Gruppe Jugendlicher. Auf Plakaten ist Berlins Regierender Bürgermeister Klaus Wowereit (SPD) zu sehen. Unter seinem Konterfei ist zu lesen: "In acht Jahren 150.000 Wohnungen privatisiert". Nicht weit davon hat sich eine 32-jährige Alleinerziehende in den Protestzug eingereiht. Nach der Geburt ihres Kindes habe sie gemerkt, "wie teuer Wohnen in Kreuzberg geworden ist", erzählt sie. Vom Arbeitslosengeld II habe sie damals gelebt und zeitweise nicht gewusst, wie sie die Miete bestreiten solle. "Jetzt habe ich glücklicherweise wieder Arbeit."

Die hohe Nachfrage nach Wohnungen in der Hauptstadt lässt die Mieten steigen. Nach Angaben von Wirtschaftssenator Harald Wolf (Linke) sind die Preise in den vergangenen Jahren im Schnitt um acht Prozent in die Höhe geschnellt, im Zentrum Berlins sogar teilweise um bis zu 30 Prozent.

Fred Cramer kann bei diesen Zahlen nur mit dem Kopf schütteln. Innerhalb von drei Jahren musste der 25-Jährige 100 Euro mehr für seine Wohnung in Neukölln zahlen. 460 Euro waren es, bevor er vor wenigen Monaten umgezogen ist. Wie ihm geht es aktuell 17.000 Haushalten in Wohnungen landeseigener Unternehmen, an die sogenannte Mieterhöhungsverlangen verschickt worden sind. Nach Angaben des Verbands Berlin-Brandenburgischer Wohnunternehmen (BBU) betrifft dies sechs Prozent des städtischen Bestands. Die Unternehmen hätten sich dabei «an die strengen Vorgaben des Senats gehalten», versicherte BBU-Sprecher David Eberhart auf Anfrage.

Mieten Thema im Wahlkampf

Die Mieten bestimmen mittlerweile den Wahlkampf - zwei Wochen vor der Wahl zum neuen Abgeordnetenhaus. Die Wahlkämpfer hatten die Organisatoren des Protestzugs allerdings auf die Liste unerwünschter Gäste gesetzt. Der Kreuzberger Grünen-Bundestagsabgeordnete Hans-Christian Ströbele zeigt sich davon unbeeindruckt. Er schiebt sein Fahrrad und erzählt, wie das Problem steigender Mieten und die Verdrängung Ärmerer in die Randviertel Berlins gelöst werden kann. Allein der Bundestag könne durch Gesetzesänderungen den Kommunen und damit nicht zuletzt den Bezirken mehr Handlungsspielräume einräumen, um beispielsweise Mieterhöhungen zu deckeln. Doch bei seinen Kollegen im Bundestag stoße er auf Unverständnis.

Bei herrlichem Sommerwetter wird weiter lautstark gegen hohe Mieten protestiert. Der Zug vom Herrmannplatz in Neukölln hat den Oranienplatz in Kreuzberg zum Ziel. Die Polizei spricht von 2.500 Teilnehmern. Die Angaben der Veranstalter - verschiedene Mieter- und Stadtteil-Initiativen - reichen von 5.000 bis 10.000 Protestlern. Laut Polizei ist es bis zum späten Nachmittag friedlich geblieben.

( dapd/nbo )