Der ehemalige Berliner Finanzsenator und Bundesbanker Thilo Sarrazin wird nicht aus der SPD ausgeschlossen. Alle vier Antragsteller zogen ihre Anträge auf Ausschluss zurück, gab die Vorsitzende der Schiedskommission des Berliner Kreisverbandes Charlottenburg-Wilmersdorf, Sybille Uken, am Donnerstag nach fünfstündiger Beratung bekannt. Man habe sich gütlich auf Basis einer Erklärung von Sarrazin geeinigt. In der Erklärung (hier im Wortlaut) betont der SPD-Politiker, es habe ihm ferngelegen, "insbesondere Migranten zu diskriminieren".
Einen Antrag auf das Parteiordnungsverfahren hatten neben dem Kreisverband Charlottenburg-Wilmersdorf auch die Landes- und die Bundespartei gestellt. Außerdem lag noch der Antrag des SPD-Ortsverbandes Frankfurt Innenstadt vor. Auch die hessischen Sozialdemokraten wollten Sarrazin aus der Partei werfen. Vor Beginn der Sitzung hatte deren Vertreter Oliver Strank noch erklärt: „Wir sind der Überzeugung, dass Sarrazin ausgeschlossen werden muss. Und wir sind überzeugt, dass wir die besseren Argumente haben.“
Die SPD wirft Sarrazin wegen provokanter Thesen zur Integration parteischädigendes Verhalten vor. Hintergrund ist sein Buch „Deutschland schafft sich ab“. Die SPD-Spitze hatte ihm gravierende Verstöße gegen Grundsätze der Sozialdemokratie vorgeworfen. Der Zwist hatte sich an Sarrazins Thesen zur Integrationspolitik und seinen Vererbungstheorien entzündet. Der 66-Jährige hatte erklärt, Muslime seien generell schlechter gebildet, und Intelligenz sei größtenteils erblich bedingt. Bildungsprogramme auch für die deutsche Unterschicht verfehlten größtenteils ihren Zweck und seien fehlinvestiertes Geld. Sarrazin, der seit 1973 der SPD angehört, hatte vor der Anhörung Berufung vor der Landesschiedskommission angekündigt.
Es sei eine „konstruktive, respektvolle, ernsthafte und intensive Diskussion“ mit allen Beteiligten geführt worden, betonte Uken. „Wir haben uns verständigt, uns als SPD nicht auseinanderdividieren zu lassen“, sagte die Vorsitzende.
In einem drei Punkte umfassenden Papier erklärt Sarrazin, er habe „zu keiner Zeit die Absicht gehabt, mit meinen Thesen sozialdemokratische Grundsätze zu verletzen“. Er habe in seinem Buch nicht die Auffassung vertreten, dass sozialdarwinistische Theorien in die politische Praxis umgesetzt werden sollen. Alle Menschen seien gleich viel wert. Er habe auch keine „selektive Bevölkerungspolitik“ verlangt, betonte Sarrazin in dem Schreiben. Auf keinen Fall habe er die Vorstellungen vertreten, lediglich Frauen mit akademischen Berufen und einer bestimmten Nationalität oder Religion eine Prämie für die Geburt von Kindern zu gewähren.
Des Weiteren schreibt Sarrazin in der Erklärung wörtlich: „Mir lag es fern, in meinem Buch Gruppen, insbesondere Migranten, zu diskriminieren.“ Er werde künftig bei öffentlichen Veranstaltungen darauf achten, durch Diskussionsbeiträge nicht sein Bekenntnis zu den sozialdemokratischen Grundsätzen in Frage zu stellen oder in Frage stellen zu lassen. Mit der Erklärung ging Sarrazin detailliert auf die einzelnen Vorwürfe der Antragsteller ein.
SPD-Generalsekretärin Andrea Nahles, die den Ausschlussantrag begründet hatte, lehnte danach jegliche Stellungnahme ab. Auch Sarrazin verzichtete auf jeden Kommentar. Nach Informationen von Morgenpost Online sollen alle Beteiligten bis Dienstag nach Ostern Stillschweigen vereinbart haben.
Die Anhörung hatte am Gründonnerstag gegen 15 Uhr unter Ausschluss der Öffentlichkeit im Rathaus Wilmersdorf begonnen und bis kurz nach 20 Uhr gedauert. Die Rolle der Chefanklägerin hatte SPD-Generalsekretärin Andrea Nahles übernommen. Sie sagte vor Beginn der Verhandlung: „Wir werden heute ein faires Verfahren haben. Es gibt ausreichend Zeit um die Argumente auszutauschen. Wir hoffen, überzeugen zu können, aber es liegt alles in der Hand der Kommission.“
Thilo Sarrazin gab vor Beginn des Verfahrens auf Anraten seines Anwalts, wie er sagte, keine Stellungnahme ab. „Es ist traurig für Sie, dass sie bei so schönem Wetter hier sein müssen“, sagte er nur zu den zahlreich erschienenen Journalisten. Auf die Frage, was er sich nun erwarte, erklärte Sarrazin launig: „Gutes Wetter.“
Es ist bereits das zweite Parteiausschlussverfahren, das Sarrazin nun überstanden hat. Ein erstes Parteiausschlussverfahren gegen Sarrazin war im März 2010 gescheitert. Damals hatten ein Kreis- und ein Ortsverband wegen „abfälliger Äußerungen“ Sarrazins über Zuwanderer den Antrag gestellt. Die Landesschiedskommission sah später jedoch keinen Verstoß gegen die Parteiordnung.