Sarrazin bei Beckmann

"Jetzt bin ich erst mal dabei, die Auflage zu steigern"

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Uwe Felgenhauer

Nachdem Thilo Sarrazin sein höchst umstrittenes Buch offiziell vorgestellt hatte, stellte er sich im TV bei "Beckmann" seinen Kritikern.

Der Montag war eindeutig Thilo Sarrazins Tag. Am Vormittag präsentierte der ehemalige Berliner Finanzsenator und jetzige Bundesbank-Vorstand in der Bundespressekonferenz sein Buch ”Deutschland schafft sich ab“, das bereits durch diverse Vorab-Auszüge und Interviews in auflagenstarken Blättern für reichlich Wirbel gesorgt hatte. Der PR-Coup war vollends geglückt. Sarrazin freute sich: "Jetzt bin ich erst mal dabei, die Auflage zu steigern."

Ohne das Werk über den Zustand Deutschlands, den der Autor als ”Verfall“ beschreibt, und über die Integrationsprobleme vor allem muslimischer Zuwanderer gelesen zu haben, hatten sich schon viele eine Meinung gebildet.

Die fiel meist negativ bis vernichtend aus. Da passte es, dass noch in die Buch-Präsentation die Meldung vom neuerlichen Parteiordnungsverfahren des SPD-Präsidiums und des Parteivorstands gegen Sarrazin hineinplatzte.

Der Vorstand der Deutschen Bundesbank distanzierte sich am Nachmittag von den ”diskriminierenden Aussagen“ des Autors. Nach einer Anhörung Sarrazins will er zeitnah über weitere Schritte entscheiden. Am frühen Abend waren dann auch die ersten Rezensionen des mehr als 400 Seiten starken Buchs im Internet abrufbar, und auch die TV-Nachrichten inklusive Kommentare widmeten sich dem Thema ausführlich.

Keine Frage, dass sich Reinhold Beckmann nach seiner Rückkehr aus der zwölfwöchigen Sommerpause den Aufreger nicht entgehen ließ.

Im Studio stellte sich Sarrazin seinen Kritikern, zu denen neben dem stellvertretenden SPD-Vorsitzenden Olaf Scholz, der Fraktionsvorsitzenden von Bündnis 90/Die Grünen, Renate Künast, und dem Wissenschaftsjournalisten und TV-Moderator Ranga Yogeshwar auch die niedersächsische Sozial- und Integrationsministerin Aygül Özkan (CDU), eine türkischstämmige Muslimin, zählte.

Noch bevor sie ihre Kritik loswerden konnten, wollte der Fettnäpfchen-Spezialist erst einmal klarstellen, dass er mit seinen Thesen im Volk reichlich Rückhalt genießt: ”Nach meiner Buchvorstellung gab’s eine Umfrage bei N 24. 95 Prozent fanden, dass ich mit meinen Aussagen nicht zu weit gegangen bin. Dass passt zu dem, was ich von Zeitungen höre über Leserbriefe.“

Auch Beckmanns im Laufe der Sendung eingetroffene E-Mail-Post ging in diese Richtung. Hier äußerten sich laut Moderator 70 Prozent pro Sarrazin. Was über die Ansichten der schweigenden Mehrheit natürlich nichts aussagt.

Im Studio jedenfalls ging es munter durcheinander. Man schnitt sich gern gegenseitig das Wort ab, was aber auch daran lag, dass Sarrazin alles andere als druckreif sprach. Umständlich seine Formulierungen, unverständlich und konfus oft seine Berechnungen, mit denen er seine Thesen zu untermauern versuchte.

”Wenn der liebe Gott gewollt hätte, dass sich die Welt allein über die Addition von Zahlen erklärt, dann hätte er am ersten Tag die Zahlen geschaffen“, entfuhr es da plötzlich Renate Künast.

Beckmann indes konfrontierte die Gäste immer wieder mit Zitaten aus dem neuen Buch. Etwa: ”Demografisch stellt die enorme Fruchtbarkeit der muslimischen Migranten eine Bedrohung für das kulturelle und zivilisatorische Gleichgewicht im alternden Europa dar.“

Zu dieser besonders kruden These wollte Ministerin Özkan, von Sarrazin konsequent mit ”Frau Özzak“ angesprochen, eigentlich gar nichts sagen. Allein: ”Wir können uns in Deutschland freuen, wenn Frauen – egal ob es jetzt eine Türkin ist, eine Muslimin, eine Christin – überhaupt Kinder bekommen.“

Zurückrudern kam für den etwas sarrazinoiden Bundesbank-Vorstand natürlich nicht in Frage. Er hält das, was er geschrieben hat, für ”wissenschaftlich solide“. Immerhin gestand er ein, dass sein Buch ”Positionen, Elemente, Folgerungen, Zusammenhänge“ habe, ”die mich auch bewegt haben. Ob ich die jetzt auch aufschreiben soll. Aber das war ein Prozess von zwei Jahren. Am Ende hab ich das so aufgeschrieben, ohne dass ich meine, die absolute Wahrheit zu verkünden.“

Dass es sich dabei aber überhaupt um Wahrheiten handelt, bezweifelte Ranga Yogeshwar doch sehr: ”200 Jahre nach Darwin. Ich hätte mir eigentlich gewünscht, dass Ihr Buch irgendwie moderner ist.“

Eine ganz andere Wahrheit präsentierten der später zur Runde gestoßene Sozialpädagoge und Streetworker Thomas Sonnenburg, bekannt durch die RTL-Doku-Soap ”Die Ausreißer – Der Weg zurück“, und die aus Berlin zugeschaltete Politologin und Sozialwissenschaftlerin Naika Foroutan, die Daten des Bundesamtes für Statistik und des Amtes für Migration und Flüchtlinge auswertet.

”Ich denke, dieses Buch wird eine große Wut erzeugen bei den jungen Leuten, weil es auf eine Art und Weise in eine Kerbe haut, die wir an der Basis längst überwunden haben“, meinte Sonnenburg, während Foroutan Erfolge in Rahmen der Sprachstandserhebung vermeldete. Die deutsche Sprache würde sich besonders bei jungen Migranten „immer weiter verfestigen“.

Olaf Scholz schließlich war es vorbehalten, das eingeleitete Parteiordnungsverfahren – mit dem Ziel, Thilo Sarrazin aus der SPD auszuschließen – zu begründen: Der Ex-Finanzsenator von Berlin mache etwas, was mit dem Grundverständnis der SPD nicht vereinbar sei. ”Er diskutiert über Abstammung, über Herkunft als Problem. Und nicht als Aufgabe, wie man Menschen eine bessere Zukunft verschaffen kann.“

Bis zu einem möglichen Ausschluss ist es aber noch ein langer Weg, ein erster Versuch scheiterte seinerzeit am Parteigericht. So lange kann sich Sarrazin noch weiter um Kopf und Kragen reden. Zunächst am Mittwoch bei Frank Plasbergs Talk ”Hart aber fair“.