1. Mai in Berlin

So feierten Tausende friedlich beim Myfest in Kreuzberg

| Lesedauer: 6 Minuten
Uta Keseling und Regina Köhler

Kreuzberger Anwohner und Bürgerinitiativen feiern zum 15. Mal ein Fest am 1. Mai. Mehr als 35.000 Besucher füllen die Straßen.

War da mal was? War der 1. Mai nicht mal ein politischer Feiertag? Mit dieser Frage scheint sich niemand aufzuhalten, der am Montag in Kreuzberg zum Myfest unterwegs ist. Die Menschen wollen Spaß, sie wollen essen und trinken und möglichst laute Musik hören. Der Kiez rund um den Mariannenplatz gleicht bereits gegen 15 Uhr einer riesigen Partymeile – mit dabei sind viele Touristen. Vor allem Spanisch und Englisch sind zu hören.

In diesem Gewimmel wirkt eine rote Fahne fast schon etwas seltsam, auch wenn sie geradezu fröhlich im Wind weht mitten auf der Wiese im Görlitzer Park. Stanislav und Mark aus Tempelhof halten sie umschichtig fest. Beide sitzen etwas erschöpft im Gras. Sie waren schon vormittags zur Demonstration auf dem Alexanderplatz und wollen später noch mitmachen, wenn die Linken losmarschieren. Beide sind 23 Jahre alt. Stanislav studiert, Mark macht eine Ausbildung. Menschen ihres Alters hätten es nicht so leicht, sagen sie. Viele würden neben dem Studium oder der Ausbildung arbeiten müssen, um über die Runden zu kommen und zum Beispiel die Miete zahlen zu können. Günstige Wohnungen gebe es immer weniger. „Die Leute sind müde und haben keine Zeit zum Demonstrieren“, sagt Mark. Ein friedliches Myfest sei schließlich auch politisch, finden beide.

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Privatleute verkaufen Selbstgemachtes zum Essen

Müde wirkt auf dem Myfest kaum jemand. Man will dabei sein, gesehen werden. Viele haben sich wie für eine Party zurechtgemacht. Gegen Mittag sind aber auch noch viele Familien rund um die Oranienstraße zu sehen. Nicht wenige kommen aus anderen Bezirken angereist wie die Müllers aus Lichtenrade. „Wir freuen uns auf die vielen Stände, an denen es leckeres Essen gibt“, sagt Martina Müller. Ihre beiden Töchter, acht und zehn Jahre alt, staunen über die Straßenkünstler, die mit Bällen jonglieren und sogar Feuer spucken.

Die Veranstalter des Myfestes, das in diesem Jahr zum 15. Mal gefeiert wird, melden gegen 16.30 Uhr etwa 25.000 Besucher. Bislang sei alles friedlich geblieben, heißt es. Genau das ist Sinn des Konzepts dieses ganztägigen Straßenfestes. Es wird von Händlern, Anwohnern und Bürgerinitiativen organisiert, die sich einen friedlichen 1. Mai ohne Gewalt wünschen, anders als in den späten 80er- und 90er-Jahren, als es am 1. Mai immer wieder Krawalle und Ausschreitungen gab. Acht Bühnen sind in diesem Jahr zwischen Oranienplatz, Görlitzer Bahnhof, Kottbusser Tor und Mariannenplatz aufgebaut. An vielen Ecken treten Straßenkünstler auf. Auch kleine private Vorstellungen kann man erleben, etwa ein Klarinettenkonzert, das ein Mann auf seinem Balkon im Haus Manteuffel/Ecke Naunystrasse gibt. Unten haben sich viele Zuschauer versammelt und klatschen begeistert Beifall.

Vor der Oranienstraße 24 hat Hava ihren Stand aufgebaut. Die 44 Jahre alte Türkin hat jede Menge Torten und Kuchen gebacken, die sie nun an die Besucher des Myfestes verkauft. Mehrere Familienmitglieder helfen ihr dabei. Auch Familie Osmanli ist mit einem Stand an der Oranienstraße vertreten. Tochter Aydin sagt, dass sie alles selbst gemacht haben, was sie hier verkaufen: Es gibt Börek mit Spinat- und Käsefüllung, Köfte mit Brot und Salat. „Uns macht es Spaß, dabei zu sein“, sagt Aydin. Die 32-Jährige ist Arzthelferin und lebt in Schöneberg, das Myfest ist für sie seit Jahren ein Muss.

Kreuzberger Familienglück und touristischem Partyleben

Für Rosa (18) und Sophia (21), Studentinnen aus Friedrichshain, ist es hingegen ihr erster 1. Mai, sie wollen bis abends bleiben und hoffen, dass es friedlich bleibt. Auch Joana und Justin, beide 21 Jahre alt, sind zum ersten Mal dabei. Sie studieren an der Freien Universität und wollen den Tag nutzen, um mit Freunden zu feiern. „Meine Schwester hat mir gesagt, dass ich mich nicht schwarz anziehen soll, damit ich nicht für einen Autonomen gehalten werde“, sagt Justin. Er hat sich daran gehalten und trägt ein kariertes Hemd, dazu eine helle Hose.

Neben den Spätis und Bäckern, die den ganzen Nachmittag geöffnet sind, hat natürlich auch der „Gemischtwarenladen mit Revolutionsbedarf“ an der Manteuffelstraße offen, der kürzlich nur knapp vor der Räumung bewahrt wurde. Auch viele Clubs rund um die Oranienstraße richten sich auf eine lange Nacht ein. Genügend feierfreudiges Volk ist schließlich unterwegs. Die Admiralbrücke markiert die Grenze zwischen Kreuzberger Familienglück und touristischem Partyleben. Auf der Brücke hält man sich am Wegebier fest und macht Selfies, ein junger Mann sagt auf Englisch zu seinen Gästen: „Wartet es ab, bald wird es hier extrem voll sein.“

Parteien und Initiativen stellen sich vor

Auf dem hinteren Teil des Mariannenplatzes geht es schließlich doch noch etwas politisch zu. Dort stehen Parteien und Initiativen mit Ständen, das Interesse hält sich allerdings in Grenzen. Vor dem Eingang zum Görlitzer Park an der Skalitzer Straße haben auch die Grünen einen Stand aufgebaut. Es gibt Flyer, in denen es um eine bessere Verkehrspolitik geht und grüne Luftballons für die Kinder.

Am späten Nachmittag ist das Straßenfest teilweise überfüllt. Einige Zugänge seien geschlossen worden, twittert die Polizei. Polizeisprecher Winfrid Wenzel zeigt sich zufrieden mit dem bisherigen Verlauf des Tages und spricht von einem ruhigen, feierfreudigen 1. Mai. „Für uns ist der Tag bislang einfach schön“, sagt der Polizeisprecher den Journalisten.