Berlin. Kathrin Scheurich ist Stadtführerin der grünen Art. Sie veranstaltet Touren für Familien und Firmen, die Berlin (neu) entdecken wollen.
44 Prozent Grünflächen, 18 Prozent Wald, 440.000 Straßenbäume – Berlin ist Europas grünste Metropole. „Deshalb ist Berlin für mich die perfekte Stadt“, sagt Kathrin Scheurich, Natur- und Umweltpädagogin und Gründerin von Stadtnatur Berlin.
Mit ihren Bildungsangeboten für Erwachsene, Kinder und Familien will sie Begeisterung wecken für die Natur in der Stadt, die jeder vor seiner Haustür entdecken kann.
Ökologische Aspekte eines Wohnprojekts
Die 33-Jährige hat Innenarchitektur studiert. Für ihre Bachelorarbeit erstellte sie ihr erstes Umweltbildungsprojekt, ein Ausstellungskonzept zu den ökologischen Aspekten des Wohnprojekts Möckernkiez.
Anschließend arbeitete sie in einem Gemeinschaftsgarten am Columbiadamm mit und stellte fest: Umweltbildung, das kann sie nicht nur wie in der Bachelorarbeit konzeptionell und grafisch vermitteln, sondern auch direkt von Mensch zu Mensch.
Übers Ehrenamt in den festen Job
Über das Ehrenamt im Gemeinschaftsgarten ergab sich ein fester Job. Mehrere Jahre machte Scheurich Umweltbildung für soziale Projekte in Neukölln. Als sie nach einer Elternzeit nicht wieder auf die Stelle zurückkehren konnte, entschloss sie sich zur Selbstständigkeit.
„Ich hatte das Buch ‚Berliner Pflanzen‘ gelesen, bin damit losgezogen und habe noch viel mehr gefunden, als darin beschrieben ist“, erzählt Kathrin Scheurich.
Berliner sollen erfahren, was ihre Stadt ihnen bietet
Erste Aufträge kamen, zunächst vom WWF, dann vom Förderverein Freilandlabor Britz. Parallel gründet sie 2014 ihre eigene Firma – Stadtnatur Berlin. „Ich habe gedacht: Die meisten wissen ja gar nicht, was da für Schätze schlummern. Das muss doch den Leuten gezeigt werden.“
Und genau das macht sie jetzt: mit Stadtführungen zum Thema „Berliner Pflanzen erzählen Geschichte“ zum Beispiel. Die neueste Tour führt unter dem Titel „OstWestRomanze“ zur Bernauer Straße.
Wildkräuter wachsen auf dem Mauerstreifen
Wildkräuter werden auf dem Mauerstreifen geerntet und in Kooperation mit dem Mauerwinzer, einer Weinbar in der Wolliner Straße, zu Kräutersalz verarbeitet. Dazu gibt es Weine aus Ost und West.
Für Kindergeburtstage kann man Waldabenteuer, eine Wildkräuterwerkstatt im Britzer Garten oder eine Großstadtsafari im Tiergarten bei der 33-Jährigen buchen. Das alles bietet sie auch für Kita-Gruppen und Schulklassen an, ebenso wie Besuche bei den Bienen auf dem Tempelhofer Feld.
Kinder an die Natur heranführen
Für Erzieherinnen und Tagesmütter veranstaltet sie Fortbildungen, vermittelt Methoden, um Kinder an die Natur heranzuführen, und gibt Anregungen: Was lässt sich draußen mit Kindern unternehmen, auch wenn die noch nicht so weit laufen können, sich dafür aber gern alles in den Mund stecken? Welche Gefahren gibt es? Welche Ängste der Erwachsenen sind unbegründet?
Auch Firmen und Institutionen gehören zu Scheurichs Zielgruppen. Für sie gibt es Betriebsausflüge in die Natur, Team-Events oder einen sogenannten Social Nature Day. Dabei packen alle gemeinsam beim Naturschutz an, graben zum Beispiel unerwünschte Schösslinge aus.
Kooperation mit Naturschutzbund
Scheurichs Zusammenarbeit mit dem Bund für Umwelt und Naturschutz Deutschland (BUND), der Naturschutzjugend (NAJU), dem Gemeinschaftsgarten Allmende-Kontor oder den Berliner Forsten macht vieles möglich.
Besonderes erlebt Kathrin Scheurich oft, wenn sie Vorträge vor Seniorengruppen hält, zum Beispiel für die Volkssolidarität, in Nachbarschaftstreffs: „Immer wenn es um Natur geht, kommen bei den alten Leuten ganz viele Erinnerungen hoch – was sie als Kinder gemacht haben oder Rezeptvorschläge, zum Beispiel die Holunderblüten, die sie früher immer ausgebacken haben“, berichtet die Umweltpädagogin.
Viele Veranstaltungen am Wochenende
Trotzdem sei nicht immer alles Zuckerschlecken, räumt Scheurich ein. Viele ihrer Veranstaltungen finden am Wochenende statt – nicht besonders freundlich für ihre eigene Familie.
Der Winter ist eine Durststrecke, die durch Einkünfte im Sommer mitfinanziert werden müsse. Und manchmal erlebe sie natürlich auch schwierige Gruppen, etwa mit Berührungsängsten gegenüber der Natur. „Viele Großstadtkinder wachsen damit auf, dass erst mal alles in der Natur eklig ist und nichts angefasst werden darf.“ Das aufzubrechen, sei manchmal eine Herausforderung.
Aber auch mit anderen Erschwernissen hat sie zu tun, mit niedrigen Honorarsätzen beispielsweise oder hohen Fixkosten für Selbstständige, etwa die Krankenversicherung.
Der schönste Moment ist, wenn etwas ankommt
Trotzdem liebt sie ihre vielseitige Arbeit draußen und drinnen: „Das Schönste sind immer die Momente, wenn ich merke, dass was ankommt“, sagt Scheurich, „wenn ich die Begeisterung für Stadtnatur weitergeben kann“.
Ihr Wissen hat sie sich zu einem großen Teil selbst angeeignet. Zusätzlich machte sie vor drei Jahren eine Weiterbildung zur zertifizierten Stadtnaturführerin bei der Stiftung Naturschutz Berlin. Inzwischen unterrichtet sie dort selbst als Dozentin.
Und seit Kurzem hat sie bei der Stiftung eine halbe Stelle in ihrem Schwerpunktthema, der Umweltbildung für Grundschulklassen. Ihre Firma Stadtnatur Berlin will sie trotzdem weiterführen und hat sich Unterstützung durch freie Mitarbeiterinnen geholt.
Touristen als neue Zielgruppe
Eine neue Zielgruppe hat sie bereits im Blick: Touristen, für die es vor allem in englischer Sprache kaum Naturangebote gebe.
Würde sie nicht lieber ganz auf dem Land leben? „Nein“, sagt Kathrin Scheurich. „Ich mag die Natur in der Stadt.“ Wer würde schon erwarten, dass es in Berlin 40 Biberfamilien gibt, 1500 Stadtfüchse, 180 Brutvogel- und 17 Fledermausarten?