Berlin. Juristendeutsch klingt wenig poetisch. „Übereignungsanspruch“ heißt es da, „rechtsvernichtende Einwendung“ oder „Gattungssache“.
„Es ist eine ganz neue Sprache, die es im Studium zunächst zu lernen gilt“, sagt Dr. Andreas Fijal, Leiter des Studien- und Prüfungsbüros und Prodekan für Lehre am Fachbereich Rechtswissenschaft der Freien Universität (FU) Berlin.
„Dazu kommt die eigene Methodik juristischen Arbeitens. Und eine enorme Fülle an Stoff“, so Fijal weiter. Auch die Größe des Fachbereichs – etwa 2300 Studierende – und die von den Anforderungen in der staatlichen Pflichtfachprüfung geprägte Atmosphäre machten das Studium zu einer Herausforderung.
Jura statt Politikwissenschaft
Für Isabel Fauth war es trotzdem die richtige Entscheidung, zum Jurastudium mit dem Ziel Staatsexamen zu wechseln. „Ich hatte angefangen, Französisch, Politikwissenschaft und öffentliches Recht zu studieren“, erzählt die 25-jährige FU-Studentin.
Französisch und Politikwissenschaft seien ihr aber „zu schwammig, zu abstrakt“ gewesen. „Das Einzige, wo ich mir gesagt habe, das bringt mir was, war Recht, tatsächlich Verwaltungsrecht“, so Fauth. „Ich hab endlich ein bisschen verstanden, wie die Verwaltung hier funktioniert.“
Internationales Recht in Sydney gelernt
Nach dem vierten Semester ging sie für ein Jahr nach Australien, studierte ihren Schwerpunkt Internationales Recht in Sydney. Vor Kurzem hat sie damit begonnen, sich auf ihr Examen im April 2019 vorzubereiten, offiziell die „erste juristische Prüfung“.
Dafür bietet die FU ein kostenloses Repetitorium, also die Wiederholung des relevanten Stoffs an: zehn Monate pauken, wöchentlich eine fünfstündige Probeklausur schreiben. Unabdingbar sei dieses Klausurentraining, „weil es auch auf Zeitmanagement ankommt“, sagt Andreas Fijal.
Repetitorien kosten mehrere Tausend Euro
Viele Jurastudierende besuchen kommerzielle Repetitorien. Je nach Gruppengröße, Inhalten und Dauer fallen dafür bis zu mehrere Tausend Euro an.
Die Prüfung zu schaffen, ist trotzdem nicht selbstverständlich – sieben fünfstündige Klausuren, ein Aktenvortrag und eine mündliche Prüfung sind zu bestreiten.
Die Noten sind meist ernüchternd. Schon die Hälfte der 18 möglichen Punkte zu erreichen, und damit das begehrte Prädikatsexamen „vollbefriedigend“, ist schwierig. Einen besseren Abschluss schaffen nicht einmal vier Prozent eines Absolventenjahrgangs.
Lange Wartezeit aufs Referendariat
Abgeschlossen ist die Ausbildung zum Volljuristen damit noch nicht. Zunächst folgt das Referendariat, der Vorbereitungsdienst. Je nach Examensnote müssen Absolventen 8 bis 21 Monate Wartezeit sinnvoll überbrücken, zum Beispiel als wissenschaftlicher Mitarbeiter einer Kanzlei. Auch einen juristischen Masterabschluss (LL.M.) zu machen, ist beliebt.
Im Referendariat bekommen Juristen eine Unterhaltsbeihilfe von gut 1200 Euro brutto. Der Vorbereitungsdienst dauert zwei Jahre und führt zuerst zu vier sogenannten Pflichtstationen: je drei bis vier Monate bei einem Zivilgericht, bei der Staatsanwaltschaft und in der Verwaltung, neun Monate in einer Anwaltskanzlei.
Masterstudium an der Uni Amsterdam
Alisha Andert hat nach dem Jurastudium an der Universität Potsdam ihren LL.M. in Europäischem Privatrecht an der Universität Amsterdam gemacht und Anfang 2017 mit dem Referendariat begonnen.
Begeistert erzählt sie von der praktischen Arbeit und der großen Eigenverantwortung bei der Staatsanwaltschaft: „Wenn man dann zum ersten Mal mit so einem schwarzen Umhang, einer Robe, bei einer Verhandlung die Staatsanwaltschaft vertritt und ein richtiges Plädoyer halten muss, man Angeklagte vor sich sitzen hat, echte Personen mit echten Schicksalen – das ist schon spannend.“
Verwaltungs- und Wahlstationen
Der Petitionsausschuss des Bundestages war ihre Verwaltungsstation. Inzwischen ist sie Referendarin bei Berwin Leighton Paisner, einer Großkanzlei am Potsdamer Platz.
Parallel bereitet sie sich auf das zweite schriftliche Staatsexamen im September vor. Ein knappes halbes Jahr später folgt die mündliche Prüfung. Dazwischen liegt ihre letzte Referendariatsphase, die sogenannte Wahlstation, die man sich aussuchen kann.
Weg ins Richteramt nur mit zweitem Staatsexamen
Nur dem, der all dies be- und überstanden hat, stehen alle juristischen Berufe offen: Richteramt, Staatsanwaltschaft, Rechtsanwalt.
Auch wer Notar werden möchte, braucht die Staatsprüfungen. Daneben gibt es Stellen in Unternehmen, Verbänden und Organisationen oder in der Verwaltung, die nicht zwingend Volljuristen erfordern.
Isabel Fauth kann sich vorstellen, später in eine Behörde zu gehen: „Verteidigungsministerium fände ich toll, als Beraterin, wenn es zum Beispiel um Auslandseinsätze geht oder humanitäres Völkerrecht.“
Ziel: Innovationen anschieben
Alisha Andert hat in ihrer bisherigen Ausbildung einen großen Bedarf an Innovationen festgestellt. „Ich habe so viele Punkte gesehen, die optimiert werden müssten, nicht nur in der Ausbildung, auch in der juristischen Arbeit“, erzählt die 27-Jährige. „Ich würde mir wünschen, dass ich einen Ort finde, wo ich arbeiten kann und einiges davon verbessern könnte.“
Ansätze dazu gebe es zum Beispiel mit dem Bereich Legal Tech. Dabei geht es um die Verwendung von Softwarelösungen oder Online-Plattformen, um juristische Arbeitsprozesse zu unterstützen oder zu automatisieren, aber auch um den Zugang zum Recht zu erleichtern.
In der Wahlstation ging es um Fluggastrechte
Andert hat sich bei ihrer Wahlstation für Flightright entschieden. Die Firma betreibt ein Online-Portal, das sich um die Durchsetzung von Fluggastrechten bei Verspätungen oder Flugausfällen kümmert. Dort will sie sich dem Legal Tech widmen.
Anspruchsvoll beim Jurastudium: Wer keinen Freiversuch („Freischuss“) hat – und den gibt es nur, wenn man besonders schnell studiert hat –, muss die Prüfungen spätestens im zweiten Anlauf schaffen.
Wer beim Examen endgültig durchfällt, steht ohne Abschluss da, trotz etlicher Jahre Ausbildung.
Bachelorprogramme mit diversen Schwerpunkten
Wer gar nicht Volljurist werden möchte, kann in Bachelorprogrammen der Fachhochschulen Rechtswissenschaft mit verschiedenen Schwerpunkten studieren.
So wie Franziska Stahn, die sich nach ihrer Ausbildung zur Justizfachangestellten in diesem Bereich weiterentwickeln wollte und dann an der Hochschule für Wirtschaft und Recht (HWR) ihren Bachelor in Recht (Ius) gemacht hat.
„Ein Jurastudium war für mich zu absolut. Ich wollte erst mal schauen, ob das das Richtige für mich ist“, sagt die 28-Jährige.
Masterstudium in Unternehmensrecht
Begeistert von Fach und Hochschule hängte sie gleich noch das Masterstudium Unternehmensrecht im internationalen Kontext an: „Es gefällt mir, aber ich möchte eher in eine Richtung gehen, die nicht auf ein Examen hinausläuft, sondern eben in die freie Wirtschaft“, so Stahn.
Seit September vergangenen Jahres arbeitet sie als Juniorberaterin bei der Wirtschaftsprüfungsgesellschaft KPMG.
Tätigkeit in Rechtsabteilungen von Unternehmen
Die HWR bietet mehrere rechtswissenschaftliche Bachelor- und Masterstudiengänge an. Zum Beispiel bildet sie im Fachbereich Wirtschaft für Tätigkeiten in Rechtsabteilungen von Unternehmen oder Banken aus, für die Arbeit im Forderungsinkasso, als Steuerberater, Wirtschaftsprüfer oder Assistenz der Geschäftsführung.
„Die Absolventen haben etwas, was die Studierenden von der Uni nicht haben, nämlich gute betriebswirtschaftliche Kenntnisse“, erklärt HWR-Vizepräsidentin Prof. Dr. Susanne Meyer. „Die können Bilanzen lesen, haben eine Vorstellung von strategischem Management.“
Bachelorabsolventen schneller im Job
Während Volljuristen für die Ausbildung oft acht Jahre und mehr brauchen, ist man mit sechs bis sieben Semestern Bachelor- und drei bis vier Semestern Masterstudium deutlich schneller im Beruf.
„Unsere Absolventen beginnen zwar mit niedrigeren Einstiegsgehältern, aber in der Zeit, in der der Jurist wartet und Referendariat macht, entwickeln sie sich ja schon“, sagt Meyer. „Das ist auch der Vorteil für das Unternehmen, weil es sie gezielt in den für sich wichtigen Belangen schulen kann.“
Hoher Praxisbezug an der Fachhochschule
Auch Friederike Lux hat diesen Weg gewählt, an der HWR Recht im Unternehmen studiert, sich intensiv mit Immobilien- und Insolvenzrecht beschäftigt. „Angesprochen hat mich der hohe Praxisbezug.
Als weiteren Vorteil des Bachelorstudiums würde ich die überschaubare Größe des Studiengangs ansehen.“ Nach dem anschließenden Masterprogramm in Unternehmensrecht war sie bei einer Insolvenzverwalterkanzlei tätig und arbeitet jetzt in der Rechtsabteilung einer Bank.
Spaß am Umgang mit Sprache
Doch egal, welchen Weg sie gewählt haben, einig sind sich alle: Für ein rechtswissenschaftliches Studium muss es einem Spaß machen, mit Sprache zu arbeiten, und man sollte ein breites Allgemeinwissen mitbringen.
Außerdem wichtig: Abstraktionsvermögen und die Fähigkeit zu strukturiertem Denken. Und für den Marathon zum zweiten Staatsexamen? Vor allem Durchhaltevermögen.