Nicht jeder Archäologe findet eine Festanstellung in seinem Fach. Die meisten Absolventen sind trotzdem begeistert von ihrem Studium.
„Aus dem, was wir noch vorfinden, lassen wir vergangene Kulturen aufleben.“ So beschreibt Helen Gries ihren Beruf. Die 32-Jährige ist promovierte Archäologin. Sowohl in ihrer Magister- als auch ihrer Doktorarbeit hat sie sich mit dem Assur-Tempel beschäftigt. Er war das größte und wichtigste Heiligtum im assyrischen Reich.
Im Jahr 614 vor Christus wurde der gesamte Tempelkomplex geplündert und zerstört – ein typisches Problem für Archäologen. Doch darin liege auch die Faszination ihres Berufs, sagt die Kuratorin mit Schwerpunkt Mesopotamien (heute Irak), die am Vorderasiatischen Museum Berlin arbeitet.
Die ersten großen Grabungen rund um den Assur-Tempel fanden Anfang des 20. Jahrhunderts statt. Gefunden wurden vor allem Architekturreste, Edelsteine und Metalle, Gebrauchskeramik und beschriftete Tontafeln. Sie lassen Rückschlüsse auf die damalige Lebensweise zu. „Es gab tägliche Speise- und Trinkopfer“, erzählt Helen Gries. „Und mit Weihgaben wie Perlen oder beschrifteten Statuen, bat man um ein langes Leben oder das Wohlergehen der Familie.“
Teams werden vielfältig zusammengesetzt
Gries selbst hat nie im Irak gegraben. Grabungserfahrung sammelte die Archäologin am Tell Halaf in Nordost-Syrien, einem der bedeutendsten antiken Siedlungshügel Vorderasiens. Die wissenschaftlichen Teams vor Ort sind in der Regel interdisziplinär, oft international zusammengesetzt. Archäologen wie Gries arbeiten dort beispielsweise mit Geophysikern zusammen, die das Areal per Hubschrauber oder Drohne erkunden. „Oder mit Restauratoren, die fragile Artefakte bergen“, erläutert Gries.
Ihr Werkzeug richtet sich nach dem Stand der Grabungen: „Wenn verschiedene Lehmschichten durchbrochen werden müssen, etwa weil Wände kollabiert sind, arbeiten wir mit Spitzhacke und Schaufel. Wenn es ans Freilegen eines Grabes geht, kommen Pinsel und Skalpell zum Einsatz“, sagt Gries.
Ständig vor Ort zu sein ist für Archäologen nicht notwendig. „Es gibt in den heimischen Magazinen noch so viel Material, das vor langer Zeit ausgegraben wurde, aber noch nicht vollständig erforscht ist“, sagt die Expertin. „Da wartet noch viel Arbeit auf uns.“
Gemeinschaftsprojekt der beiden großen Unis
Auch forscht nicht jeder Archäologe an Artefakten und Objekten. Frederik Berger etwa verbringt seine Zeit in Archiven und Bibliotheken. Der 35-Jährige ist seit Februar wissenschaftlicher Mitarbeiter im Sonderforschungsbereich Transformation der Antike. Das ist ein Projekt von Humboldt- und Freier Uni sowie dem Max-Planck-Institut für Wissenschaftsgeschichte und der Antikensammlung der Staatlichen Museen zu Berlin.
Berger erforscht, wie Museen entstanden sind, und wie sie sich entwickelt haben. „Aktuell gehe ich der Frage nach: Wer war wann in welcher Form am Aufbau preußischer Sammlungen beteiligt, und wie wurden sie dem Publikum zugänglich gemacht?“, erklärt er. Dazu studiert er Akten und Verwaltungsquellen aus dem 19. Jahrhundert.
In sein Studium der Klassischen Archäologie war Berger allerdings mit einer anderen Vorstellung gestartet. „Viel im Feld und mit dem Spaten in der Hand zu arbeiten“, war damals die Idee des Abiturienten. Erst im Laufe seines Studiums habe ihn die Begeisterung für die Erforschung von literarischen Quellen gepackt, erzählt er.
Bei vielen herrscht noch ein veraltetes Bild vor
In der Öffentlichkeit sei nach wie vor die Grabungsarchäologie präsent, sagt er. „Doch die Archäologie gibt es gar nicht“, sagt er mit Betonung auf dem „die“. Vielmehr umfasse sie einen breiten Fächerkanon, der auf unterschiedliche Weise die kulturelle Entwicklung der Menschheit erforscht.
Entsprechend vielfältig sind die Studienmöglichkeiten. Die Humboldt-Universität (HU) bietet außer Klassischer Archäologie auch „Archäologie und Kulturgeschichte Nordostafrikas“ an. Und der Bachelorstudiengang Altertumswissenschaften an der Freien Universität (FU) ist in fünf Bereiche gegliedert: Ägyptologie, Altorientalistik, Klassische, Prähistorische und Vorderasiatische Archäologie.
Egal für welche Spezialisierung sich die Studenten entscheiden: „Sie sollten auf ein breit gefasstes, anspruchsvolles Studium eingestellt sein“, sagt Johanna Fabricius, Professorin am Institut für Klassische Archäologie der FU. „Der Monobachelorstudiengang Altertumswissenschaften umreißt erhebliche Zeiträume“, erklärt sie. Die reichen von der Altsteinzeit vor etwa 2,5 Millionen Jahren bis in die frühchristliche Zeit, also den Beginn unserer Zeitrechnung – und das auch noch in unterschiedlichen Kulturräumen.
Hieroglyphen und Keilschrift lesen lernen
Vom Faustkeil bis zum architektonischen Denkmal – jede Art kultureller Zeugnisse ist für Archäologen interessant. Studierende im Fach Ägyptologie lernen beispielsweise die Zeichen der Hieroglyphenschrift zu verstehen, die Altorientalisten setzen sich mit der Keilschrift aus-einander. Und im Fach Prähistorische Archäologie stellen die Studenten Entwicklungsreihen auf.
Professorin Fabricius rät dringend, sich im Selbststudium auch noch Nachbarwissenschaften wie Geschichte, Religion oder Sprachen zu erschließen. „Wichtige Fachartikel sind in ihrer jeweiligen Landessprache verfasst, und die Studierenden müssen im Laufe des Studiums eine gewisse Lesefertigkeit entwickeln“, sagt sie. „Und sei es, sich mit dem Wörterbuch in der Hand durch einen Text zu arbeiten.“
Während Archäologen stets die Vergangenheit im Blick haben, ist ihr Handwerkszeug oft hochmodern. Gearbeitet wird beispielsweise mit Geoinformationssystemen (GIS), mit denen sich Landschaften rekonstruieren lassen. „Daneben wird Modellierung in 3-D ein zunehmend wichtiger Bereich oder auch die Arbeit mit Drohnen, die Grabungsflächen von oben analysieren“, sagt Johanna Fabricius.
Berlin gilt als idealer Platz für Archäologen
Berlin ist für Archäologen der ideale Ort, ist die Professorin überzeugt. „Zum einen haben wir hier Topoi, das Exzellenzcluster der FU und der HU sowie vier außeruniversitärer Berliner Forschungseinrichtungen zur Erforschung der Antike“, zählt sie auf. „Zum anderen gibt es nirgendwo sonst in Deutschland eine größere Dichte von Instituten und Museen.“
Absolventen bieten sich vielfältige Einsatzmöglichkeiten. Allerdings werde für viele Positionen an Universitäten oder in Museen ein Masterabschluss und eine Promotion erwartet. Doch „wer nicht für die Forschung geboren ist, dem stehen auch mit dem Bachelor vielfältige Berufswege offen“, sagt Fabricius. „Etwa im Kulturmanagement oder in der Öffentlichkeitsarbeit.“
Start-up macht archäologische Illustrationen
Und in der Selbstständigkeit: Viktoria Fink hat an der FU Ägyptologie studiert und 2011 ihren Bachelorabschluss gemacht. Zusammen mit den Archäologen Anja Karlsen, Robert Stetefeld und Cornelia Golze hat die 29-Jährige das Start-up „Archäologische Illustrationen“ auf den Weg gebracht. Die Geschäftsidee entstand schon während ihres Studiums in einem Zeichenkurs: „Wir wollten archäologische Objekte in allen Facetten wiedergeben, um Grabungen aufzuarbeiten und der Öffentlichkeit zu präsentieren“, erzählt Fink.
Heute arbeitet das Team mit jeder Art bildlicher Darstellung: digital, fotografisch, in 3-D, als Zeichnung oder sogenanntes Lebensbild. Das sei eine Zeichnung, mit der versucht werde, die damalige Lebenswelt zu rekonstruieren und einen anschaulichen Eindruck davon zu vermitteln, erklärt Fink.
Zurzeit ist sie mit der Rekonstruktionszeichnung einer Siedlung aus dem 2. Jahrhundert unserer Zeitrechnung im niedersächsischen Marwedel beschäftigt. „Wir versuchen auf Basis der archäologischen Funde darzustellen, wie sich die vorwiegend aus Langhäusern bestehende Siedlung in die Landschaft eingebettet hat“, erzählt Viktoria Fink. Damit wollen sie zeigen, „wie Mensch und Tier damals wahrscheinlich gelebt haben“.