Stadtplanung

Berlin gilt als Paradies für Stadt- und Raumplaner

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Petra Lang
Demet Yasar ist Stadtplanerin in Berlin und betreut das Geschäftsstraßenmanagement der Weddinger Müllerstraße.

Demet Yasar ist Stadtplanerin in Berlin und betreut das Geschäftsstraßenmanagement der Weddinger Müllerstraße.

Foto: Sven Lambert

Die Arbeit geht in der Hauptstadt nicht aus. Laut Experten haben Absolventen im Bereich Stadtplanung gute Aussichten auf einen Job.

Berlin.  Berlin brummt. Die Hauptstadt ist Anziehungspunkt für Kreative und Gründer. In zehn Jahren werden voraussichtlich mehr als vier Millionen Menschen in der Stadt leben. Dementsprechend wird es enger und voller, der Verkehr immer dichter. Die Veränderungen gefallen nicht jedem.

Andere jedoch sehen die Entwicklung positiv – beispielsweise die Stadtplaner, deren Arbeit als Gestalter der Wege und Flächen in der Hauptstadt derzeit ungemein gefragt ist. „Berlin ist das Paradies für Stadtplaner. Überall passiert etwas“, bringt es Ursula Flecken (52) auf den Punkt.

„Stadtplaner sind Generalisten“

Die promovierte Architektin gründete im Jahr 2011 mit 15 Kollegen die Planergemeinschaft Kohlbrenner, eine Genossenschaft, die sich aus Menschen mit den verschiedensten Berufen zusammensetzt. So sind nicht nur Stadt- und Regionalplaner, Landschaftsplaner, Immobilienmanager, Architekten, Geografen, Wissenschafts- und Technikhistoriker vertreten, sondern auch Kunstwissenschaftler, Soziologen und Politologen gehören zum Team.

Denn die bauliche Entwicklung einer Stadt ist eine Aufgabe, die man umfassend betrachten muss. „Stadtplaner sind Generalisten“, sagt Ursula Flecken.

Soziale Aspekt bei der Arbeit wichtig

„In der Genossenschaft hat das gemeinschaftliche und integrierte Denken und Handeln großen Wert“, erklärt die Architektin, die Vorstandsvorsitzende der Planergemeinschaft ist. „Die Kollegen und Kolleginnen sind im ständigen Austausch miteinander – ein großes Plus für unsere Arbeit“, sagt Flecken. Überhaupt habe der soziale Aspekt nicht nur bei der Arbeit mit den Kollegen, sondern auch bei der planerischen Arbeit großes Gewicht.

So werde beispielsweise bei der Entwicklung oder Sanierung eines Quartiers die Sicht der Bewohner berücksichtigt, erklärt Ursula Flecken. Dies geschehe vor allem durch Versammlungen, sogenannten Bürgerwerkstätten, in denen die Teilnehmer Forderungen, Wünsche und Ergänzungsvorschläge äußern können. Wenn möglich, fließen die Ideen der Bürger dann in die Planung mit ein.

Flecken wehrt sich gegen Vorwurf der Gentrifizierung

„Dennoch wird uns Stadtplanern manchmal vorgeworfen, wir würden die Gentrifizierung vorantreiben“, sagt Ursula Flecken. Doch sie hält dieser Ansicht entgegen: „Tatsächlich soll die Aufwertung eines Gebietes jedoch auch zu einer sozialen Entwicklung beitragen.“

Ein Beispiel dafür ist die Arbeit von Demet Yasar. Die Studentin (28) der Stadt- und Regionalplanung an der Technischen Universität (TU) Berlin ist für die Planergemeinschaft tätig und betreut das Geschäftsstraßenmanagement der Weddinger Müllerstraße, ein Auftrag des Bezirksamts. Yasar hat schon ein Bachelorstudium in Humangeografie absolviert. In diesem Fach beschäftigen sich die Studenten mit der Frage, wie Gesellschaft und Wirtschaft in räumlicher Hinsicht organisiert sind – und welche Auswirkungen der Raum darauf hat, wie Menschen zusammenleben und wie sich die Wirtschaft entwickelt.

Management von Geschäftsstraßen

Yasar ist über ein Projekt zur Planergemeinschaft gekommen. Sie zählt, obwohl sie noch an ihrer Masterarbeit schreibt, bereits zum festen Mitarbeiterstamm. „Während eines Praktikums habe ich gemerkt, dass das Arbeiten in Projekten für mich das Richtige ist. Außerdem bin ich ein Teamplayer und sehr kommunikativ“, sagt Demet Yasar über sich.

Stärken, die sie beim Geschäftsstraßenmanagement gut einsetzen kann. Denn dabei geht es darum, die Gewerbetreibenden der Müllerstraße an einen Tisch zu holen und sie für gemeinsame Aktionen zu begeistern.

Müllerstraße in Wedding verödet

Demet Yasars Themen im Management einer Geschäftsstraße sind: Sicherheit und Sauberkeit, Feste und Veranstaltungen, die allgemeine Gestaltung der Müllerstraße sowie Mix und Menge der ansässigen Geschäfte. „Das Ziel ist, einen Image-Wandel zu vollziehen“, erklärt die Stadtplanerin. Große Einkaufszentren würden die Käufer abziehen. Auch die Müllerstraße habe darunter zu leiden. Sie veröde, sagt Demet Yasar. „Und man hat den Eindruck, die einst quirlige Geschäftsstraße besteht nur noch aus 08/15-Geschäften, Backshops und Spielcasinos.“

Mit ihrer Arbeit will die Stadtplanerin dem etwas entgegensetzen. Ein konkretes Beispiel für die Vernetzung der Geschäftsinhaber ist das Händlerfrühstück. Bei diesen regelmäßigen Treffen werden gemeinsame Aktionen geplant. „Meine Türkischkenntnisse sind dabei von Vorteil“, sagt Demet Yasar.

Enge Zusammenarbeit mit Bezirken

Nicht nur bei der Vitalisierung der Müllerstraße müssen Stadtplaner eng mit dem Bezirk und politischen Entscheidern zusammenarbeiten. Das erlebt auch die Landschaftsplanerin Birgit Beyer (57). Bei ihrer Arbeit in einem Berliner Grünflächenamt stellt gerade die Nähe zur Politik den besonderen Reiz für sie dar.

Als Leiterin Projektentwicklung Bürgerbeteiligung arbeitet sie stets in „direkter Rücksprache mit dem Stadtrat“, wie sie erzählt. Auch die Tatsache, dass man genau überlegen müsse, wie etwa Fördermittel des Bundes und der Europäischen Union für die Stadtplanung am sinnvollsten verwendet würden, sei eine Herausforderung.

Auch Lärm durch zu viele Touristen ist ihr Thema

Auf Bezirksebene sei es günstig, wenn das Stadtplanungs- und das Grünflächenamt dieselbe politische Führung hätten. Denn zwischen beiden Bereichen gebe es in der täglichen Arbeit sehr viele Berührungspunkte – auch bei Projekten wie beispielsweise der Entwicklung von Parkanlagen. Die Landschaftsplanerin spürt frischen Wind in Berlin. „Auf bezirklicher Ebene herrschte von 1992 bis 2012 völliger Stillstand. Es gab keine neuen Stellen“, sagt Beyer.

Doch es existierten so viele Herausforderungen, wie etwa der Bau neuer Schulen, die Bewältigung des Müllproblems durch den starken Tourismus, der zunehmende Lärm in der Stadt, der Klimawandel oder das Problem der zahlreichen Dealer in Parks. Mit all diesen Themen beschäftigen sich auch Stadt- und Landschaftsplaner.

Stadtplaner haben in Berlin gute Berufschancen

Außerdem gelte es, die Verdrängung alter Bewohner, die Gentrifizierung, weitgehend zu verhindern, sagt Birgit Beyer. „Die Menschen sollen sich weiter in ihrem Kiez wohlfühlen“, ist ihr Anspruch. Und für all diese Aufgaben brauche man fachkundige Menschen. Künftigen Stadtplanern räumt sie daher gute Berufschancen ein – auch im Bezirksamt.

Auch Demet Yasar profitiert von den guten Berufschancen im Bereich Stadtplanung. „Eigentlich wollte ich erst mal zu Ende studieren und mich dann nach einem Job umsehen“, erzählt sie. „Dass ich über einen Sommer-Job in der Planergemeinschaft eine Festanstellung bekomme, hätte ich mir vorher nicht träumen lassen.“

„Ich wünsche mir eine soziale Stadt“

Ihre Masterarbeit, die sie neben ihrer Arbeit im Büro schreibt, befasst sich mit der Nutzung öffentlicher Plätze. Ihre Vorstellungen für Berlin? „Ich wünsche mir eine soziale Stadt. Eine Stadt, in der Umweltgerechtigkeit herrscht.“

Ursula Flecken resümiert: „Es ist auch in Zukunft viel zu tun in Berlin.“ Besonders der Wohnungsnot zu begegnen sei eine große Aufgabe. „Dafür müssen wir gute Flächen finden“, sagt die Vorsitzende der Planergemeinschaft. „Eine besondere Herausforderung ist dabei, die Anwohner in die Planung zu integrieren und mit ihnen zu kommunizieren.“ Die guten Berufschancen für Stadtplaner lassen sich auch an der Mitarbeiterzahl der Genossenschaft ablesen. Sie ist in fünf Jahren auf inzwischen 30 Kollegen angewachsen.

Kompromisse sollen allen Beteiligten nützen

Die Mitarbeiter müssen für eine erfolgreiche Planung viele verschiedene Aspekte berücksichtigen, sagt Flecken. Dabei zahle sich die breit aufgestellte Mitarbeiterschaft der Planergemeinschaft aus. In ihrer täglichen Arbeit berücksichtigen Ursula Flecken und ihre Kollegen Vorgaben des Denkmalschutzes, geografische Bedingungen der betroffenen Fläche, die sozialen Aspekte des Areals und natürlich auch die wirtschaftlichen Folgen, die ein Eingriff nach sich ziehen würde.

Die Ansprüche an die Kommunikationsfähigkeit von Stadtplanern sind dementsprechend hoch. Eine Schwierigkeit sei, für alle Beteiligten zufriedenstellende Kompromisse auszuhandeln, sagt Ursula Flecken. Aber das mache auch den besonderen Reiz ihrer Arbeit aus. Und noch etwas anderes findet die erfahrene Stadtplanerin wunderbar: „Durch die Stadt zu fahren und zu denken: Ach, guck mal. Hier waren wir beteiligt, und da und dort auch.“