Berlin. Im Januar wird der neue Factory Campus in Kreuzberg eröffnet. Er ist viel mehr als nur ein Treffpunkt für Start-ups und Investoren.
Jeder Erfolg gründet auf einer Idee. Udo Schloemer hatte davon gleich mehrere. Seine erste Firma verkaufte er 2006 mehrheitlich an die Lehman Brothers, heute sitzt er in einem neumodischen Sessel, der aussieht wie ein aufgeschnittenes Ei – ein sogenanntes Space Egg –, und lacht. Dazu hat er allen Grund, denn das Gebäude, in dem er sich befindet, ist 14.000 Quadratmeter groß und es gehört ihm – gemeinsam mit einer Investorengruppe. Der Geschäftsmann ist Gründer und Inhaber der Factory Berlin, die Anfang 2018 ihren neuen Campus am Görlitzer Park eröffnet. Dieser ist viel mehr als nur ein Treffpunkt für Start-ups, Konzerne und Investoren – oder die „Community“, wie es Schloemer nennt. Es ist ein Statement: Seht her, was möglich ist!
Nie soll es sich in der Factory nach Arbeit anfühlen, sagt Schloemer. Und das tut es auch nicht. Wer das Gebäude betritt, hat das Gefühl, in eine Parallelwelt einzutauchen. Ein riesiges Holzgebilde wölbt sich unter der Decke des Eingangsbereiches, leitet die Besucher weiter in ein Café, in dessen Mitte vier Bäume in die Höhe ragen. Am Ende des Raumes, in dem jeder Stuhl mit dem Stil des nächsten bricht, ist eine Wand voller wild wachsender Pflanzen. Hier gibt es keinen schwarzen Kaffee, sondern „Americano“. Arbeitsplatz und Wohlfühloase, es ist ein Ort der Gegensätze, der Kreativität, im besten Fall.
Über sechs Etagen erstreckt sich die neue Heimat von 10.000 kreativen Köpfen, genauer gesagt neuen Factory-Mitgliedern, die sich hier austauschen und gemeinsam mit der Industrie neue Geschäftsmodelle entwickeln sollen. An nichts soll es ihnen dabei fehlen, 50 Euro zahlen sie monatlich, um Teil der „Community“ zu sein und die Räumlichkeiten nutzen zu dürfen. Mit einem klassischen Bürogebäude hat der Factory Campus nichts gemein.
Feste Arbeitsplätze gibt es nicht mehr
Überall riecht es ein wenig anders, mal nach Farbe, mal nach Chemikalien und Plastik. Jedes Stockwerk verfügt über eine große Gemeinschaftsküche und etliche Arbeitsplätze: manchmal in verglasten Kabinen, manchmal in einem offenen Großraumbüro, abgeschirmt von einem quietschgelben, durchsichtigen Industrievorhang. Es gibt ein Restaurant inklusive Bar, einen Veranstaltungsraum für 400 Personen, eine Bibliothek mit 2000 handselektierten Büchern, eine Bürohalle mit festen Computern für Programmierer, ein Bällebad, Tischtennisplatten, einen 3-D-Drucker und ein Kino. Sogar eine Hochschule und eine Schule haben dort ihren Sitz.
Feste Arbeitsplätze wie noch am alten Standort gibt es keine mehr. Genauso wenig wie Schlüssel, alle Türen lassen sich per App öffnen. Das Kellergeschoss wurde zu einem Fahrradparkhaus mit 350 Stellplätzen umgebaut, und als wäre das alles noch nicht genug, wird derzeit ein Flügel des u-förmigen Gebäudes, in dem vorher die Agfa ihre Fabrik hatte, um ein weiteres Dachgeschoss erweitert. Die Factory, sie baut sich ihr eigenes Denkmal. Von außen wie von innen.
Aber nicht jeder Bewerber kommt auch in den Genuss dieser Arbeitswelt. Denn die Factory sucht sich die Leute aus, die ihrer Meinung nach wirtschaftliches Potenzial haben. Oder einfach eine grandiose Idee. So wie einst die Gründer der Factory, zu denen außer Schloemer noch Simon Schaefer gehört. Dieser hatte die Markenrechte für Deutschland 2015 an Schloemer abgetreten und sich dem europäischen Markt gewidmet. Dort will Schaefer das Konzept der Factory etablieren, ein erster Campus ist in Lissabon geplant und soll Anfang 2019 fertig sein. Den Platz von Schaefer in Berlin nahmen Jeremias Wolf, Philipp Merlin Scharff, Lukas Kampfmann und Niclas Rohrwacher ein. Kampfmann und Rohrwacher sind jedoch vor der Eröffnung des neuen Campus bereits wieder ausgestiegen. Angeblich eine Trennung im Guten, um sich einem neuen Projekt zu widmen. Sie seien weiterhin Gesellschafter und Freunde, sagt Schloemer, wenngleich sein nächster Satz Spielraum für Spekulationen lässt: „Wir mussten professioneller hinter den Kulissen werden, und das haben wir jetzt geschafft.“
Coworking mit Weltkonzernen wie Google oder der Telekom
Grund dafür war vor allem der rasante Anstieg der Mitgliederzahlen. Monatlich seien teilweise bis zu 300 dazugekommen, was dazu führte, dass sich zwar immer mehr große Konzerne wie die Deutsche Bank, Google oder die Telekom für eine Zusammenarbeit interessierten, der erste Standort in Mitte jedoch zu klein wurde. Rund 1000 Mitglieder beheimatete die Factory dort auf knapp 2000 Quadratmetern. Nahezu mickrig im Vergleich zu den 14.000 Quadratmetern am neuen Standort.
Schloemer ist besessen von Ästhetik. Sein Vorbild: Steve Jobs. Während des Rundganges verrückt er etwa eine Tischtennisplatte um ein paar Zentimeter, weil sie nicht in einer Linie mit der dahinter stand. Er könne nicht anders, sagt er. Über jedes Design, jede Verkleidung und jede Wand sei beraten worden, erzählt er. Die Mischung aus unfertiger Industriebaracke und moderner Wohlfühloase ist gewollt, soll aber nicht so wirken. Daher könnte es einerseits verwundern, dass die Factory die gestalterische Verantwortung mit „99chairs“ einem jungen Berliner Start-up übergeben hat. Andererseits ist es nur konsequent. Denn Schloemer sieht im neuen Factory Campus vor allem eines: die Grundsteinlegung für ein europäisches Silicon Valley in Berlin. „Ohne Arroganz hätte die Factory das Potenzial dafür“, so der 47-Jährige. Ein Potenzial, das ihm einen zweistelligen Millionenbetrag wert war.
Er sei nun mal „ein Träumer“, sagt der Geschäftsführer. Man könnte auch sagen, er ist ein mutiger Perfektionist, ein Visionär. Er will nicht akzeptieren, dass die Zukunft so wird, wie es jetzt schon ist. Die Factory sei der Ort, an dem er vor 20 Jahren gern gearbeitet hätte, sagt er. Also hat er ihn sich geschaffen. Möglich ist alles.