Jahrelang war nur die Rede davon, doch mit der Euro-Krise ist die duale Ausbildung made in Germany tatsächlich zum Exportschlager geworden. Siemens schult an der Nonnendammallee 30 junge Europäer.

Es gibt „Normen“ und es geht „strukturiert“ zu. Das ist Filip ziemlich schnell aufgefallen. Also dass, was man im Ausland gern über Deutschland denkt, bis hinein in die Überdrehungen des Klischees. Aber Normen und Struktur sind unter anderem der Grund, warum Filip, 20-jähriger Slowake, Chloe, 22-jährige Engländerin und Sergei, 23-jähriger Este, mehr als drei Jahre in Berlin sein werden. Eben weil es ganz anders läuft als in ihrer Heimat. „Denn wenn Du in der Slowakei auf eine Berufsschule gehst, denken alle, Du bist nicht so klug“, sagt Filip.

Seit acht Monaten sind die drei in Berlin. Drei von 30 jungen Europäern, die bei Siemens im Ausbildungszentrum an der Nonnendammallee drei Jahre und sechs Monate eine Ausbildung zum Mechatroniker und Elektriker durchlaufen. Am Anfang mit einem Deutschkurs, am Ende, wenn alles gut geht, mit einer Abschlussprüfung bei der Industrie- und Handelskammer (IHK). Ganz so, wie sich das gehört hierzulande.

Anfragen aus aller Welt

Chloe, Filip, Sergei und die 27 anderen Azubis sollen dann, so will es Siemens, wieder in ihre Heimatländer zurück: mit dem IHK-Zeugnis als Botschafter für die duale Berufsausbildung, Apostel einer deutschen Erfindung. Aber die 30 „Europeans@Siemens“, wie sie der Konzern etwas ranschmeißerisch nennt, sind längst Botschafter. Häufig gefilmt und fotografiert. Die Kanzlerin war schon da. Minister aus aller Welt samt Entourage gucken fast jede Woche vorbei. Nachdem die deutschen Kammern und Verbände jahrelang in Reden den „Exportschlager“ duale Berufsausbildung beschworen haben, scheint nun wirklich die Zeit bereit.

„Da – schon wieder eine Anfrage.“ Lars Wissmann, redefreudiger und ruheloser Chef der Berliner Siemens-Lehrlinge, tippt auf seinem Blackberry rum. Jemand aus Afrika will das Ausbildungszentrum besuchen. Wissmann ist mittlerweile ein Profi. Er kennt die Wünsche von Presse und Fernsehen, die immer eine Frau für das Bild haben wollen. Er sorgt dafür, dass nicht immer dieselben Europa-Azubis vor der Kamera stehen. „Die sollen ja auch was lernen.“ Aber natürlich haben sie bei Siemens nichts dagegen, als Vorbild in Szene gesetzt zu werden.

Das deutsche Diktum der Sparpolitik mag in Europa nur eingeschränkt begeistern. Doch Art und Weise, wie Betriebe hierzulande ihren Nachwuchs ausbilden, wie sie Theorie und Praxis miteinander verschränken, interessiert in vielen Ländern brennend. Denn es wächst eine Generation jugendlicher Arbeitsmarktverlierer heran. Eine triste Zahlenreihe, die Frust und politische Sprengkraft bürgt: Griechenland 58 Prozent, Spanien 56 Prozent, Italien 38 Prozent, Frankreich 26 Prozent und Schweden 24,5 Prozent. Der EU-Durchschnitt der Jugendarbeitslosigkeit liegt bei 23,5. Es ist also der statistische Normalfall, dass jeder vierte Europäer unter 26 arbeitslos ist. In Deutschland hingegen sind gerade einmal 7,7 Prozent der Jugendlichen ohne Job. Da liegt es nahe, von den Deutschen etwas lernen zu wollen.

Chloe aus England, die auf dem College war, will Mechatronikerin werden. „Viele Leute bei uns haben einen College-Abschluss und einen Master, aber nur wenige praktische Erfahrung“, sagt sie. Sergei, angehender Elektriker aus Estland, hat auch schon vier Jahre lang Automatisierung studiert, dabei vor allem aber Theorie gelernt. Der Slowake Filip hat Abitur gemacht, in seiner Heimat eine Berufsschule besucht. „Das ist aber nicht so gut, hier ist es strukturiert und es gibt Normen.“

Die 30 Plätze, die Siemens jetzt Jahr für Jahr anbieten will, sind heiß begehrt. Mehr als 6000 Bewerbungen gingen ein. Siemens lockt mit der deutschen Ausbildungsvergütung, stellt Zimmer, zahlt den Deutschkurs und betreibt ziemlich viel Aufwand, um die künftigen Botschafter des dualen Systems vorzubereiten.

Vielseitig einsetzbar

Lars Wissmann will ihnen vor allem „Handlungsorientierung“ beibringen, ein Wort, das er gern mag. Mit diesem sehr sperrigen, sehr deutschen Begriff meint Wissmann: „Wer bei uns lernt, der kann nicht nur nach Plan etwas verdrahten. Der weiß auch was er machen muss, wenn eine Maschine nicht funktioniert.“

In Deutschland weiß jeder, der es wissen muss, was von einem Mechatroniker, Elektriker, Zerspaner oder Industriemechaniker zu erwarten ist. Oder was ein Bäcker oder Optiker, jenseits spezifischer Anforderungen eines Betriebes, drauf haben muss. „Wer bei uns gelernt hat, kann auch problemlos bei Bosch oder Daimler lernen und umgekehrt“, sagt Wissmann.

In Deutschland ist das normal, in Österreich kennt man auch noch ein vergleichbares System. Aber in anderen Ländern, wo die deutschen Export-Champions auch Millionen Menschen beschäftigen, läuft es mit der Ausbildung ganz anders. Dort werden die Leute für ihre Aufgaben angelernt. Macht dann ein Werk zu, werden Arbeitslose auf den Markt gespült, deren sehr spezielle Qualifikation dann nicht mehr gefragt ist. „Die Krise hat es ans Tageslicht gebracht“, sagt Wissmann. Auch in Deutschland brachen im Jahr 2009/2010 Aufträge weg. Aber ein Industriekonzern wie Siemens kann einen Mechatroniker auch in einem anderen Betriebsteil einsetzen, wenn in der angestammten Abteilung Auftragsflaute herrscht. Dank der Berufsausbildung verfügt ein Facharbeiter über genormtes Spektrum an Tätigkeiten.

Krisenstaaten reformieren nach deutschem Vorbild

So ähnlich soll es nun auch jenseits der deutschen Grenzen werden. Die Anstöße dafür laufen auf zwei Ebenen: Politik und Unternehmen. Gerade die Krisenstaaten wollen ihre Berufsausbildung nach deutschem Vorbild reformieren. Ende vergangenen Jahres unterzeichnete die damalige Bildungsministerin Anette Schavan (CDU) mit ihren Kollegen aus Spanien, Portugal, Griechenland, Lettland, der Slowakei und Italien ein Memorandum. Darin gelobt man einander enge Zusammenarbeit. Das Bundesinstitut für Berufsbildung (BIBB), das ständig über die Ausbildung nachsinnt, forscht und Studien erstellt, schließt immer mehr internationale Kooperationen, auch im fernen Mexiko und Kolumbien.

Der zweite Anstoß geht von den deutschen Firmen selbst aus. Sie beginnen damit in ihren ausländischen Werken, nach deutschem Vorbild eine Ausbildung anzubieten. Siemens macht das auch in seinem Turbinenwerk in Charlotte in den USA, die Tochter Osram in Russland. VW zum Beispiel fängt jetzt bei seiner spanischen Tochter Seat damit an, wie überhaupt viele der großen und kleineren deutschen Unternehmen. Die Auslandshandelskammern (AHK) sind da längst emsig dabei. Was durchaus Probleme bereitet.

Hierzulande hat die duale Ausbildung seit langem ihren angestammten Platz zwischen den Schulformen und den akademischen Bildungsstätten. Anderswo wirkt es mitunter wie ein Fremdkörper. In Ungarn etwa, erzählt Wissmann, will Siemens auch eine umfassende Berufsausbildung für junge Menschen anbieten. Da das Unternehmen auch Bewerbungen von 17-Jährigen entgegen nimmt, sprach die örtliche Politik von Kinderarbeit. Ein wenig Überzeugungsarbeit braucht der Exportschlager noch.

Wettbewerb: Die Handwerkskammer und die Industrie- und Handelskammer Berlin suchen den besten Ausbildungsbetrieb in der Hauptstadt. Bis Dienstag, 30. April, können Unternehmen vorgeschlagen werden oder sich selbst bewerben. Die Sieger werden am 6. Juni im Rahmen der Ausbildungsmesse „Tage der Berufsausbildung“ geehrt.

Infos und Bewerbungen unter www.tage-der-berufsausbildung.de.

Entdecken Sie Top-Adressen in Ihrer Umgebung: Ausbildung in Berlin