Verloren im Floskeldschungel: Viele Personalchefs stellen den Wert von Arbeitszeugnissen zunehmend in Frage. Sie ziehen Referenzen und Empfehlungsschreiben vor, weil sie aussagekräftiger sind.

Wer bei einem Arbeitgeber ausscheidet, hat in Deutschland einen gesetzlichen Anspruch auf ein qualifiziertes Zeugnis. „Nach deutscher Rechtsprechung muss das Zeugnis wohlwollend formuliert sein – genau das ist aber das eigentliche Problem“, sagt Doris Mailänder, Geschäftsführerin der Hamburger Personalberatung Treuenfels. „Wenn nur noch positiv formuliert wird, die tatsächliche Beurteilung sich hinter standardisierten Floskeln verbirgt und das Zeugnis vor dem Arbeitsgericht verhandelt werden kann, ist es im Grunde wertlos.“

Der Wert solcher Arbeitszeugnisse werde von Personalverantwortlichen zunehmend in Frage gestellt. „Das Arbeitszeugnis ist ein Auslaufmodell, das als Beurteilungsinstrument bei der Personalauswahl völlig unzureichend ist“, sagt Mailänder. Dagegen habe die Bedeutung von Referenzgesprächen und Empfehlungsschreiben deutlich zugenommen. „Zeugnisse lenken den Blick auf mögliche Schwächen, während Referenzen die Stärken des potenziellen Kandidaten hervorheben“, so die Personalberaterin.

Gespräche mit ehemaligen Vorgesetzten oder Geschäftspartnern seien heute nicht nur bei Top-Führungspositionen üblich. Arbeitgeber würden auch von ihrem Unternehmen erwarten, das bei der Auswahl von Fachkräften diese Möglichkeit genutzt werde, um potenzielle Kandidaten besser beurteilen zu können. Mailänder nennt den Grund: „Führungsqualitäten und strategische Stärken bei Top-Managern, Teamfähigkeit und Loyalität bei Fachkräften sind wichtige Punkte, die durch Referenzgespräche geklärt werden können.“

Referenzschreiben hinzufügen

Um die eigene Bewerbung aufzuwerten, empfiehlt Mailänder, von vornherein ehemalige Vorgesetzte, Auftraggeber oder Geschäftspartner als Referenzgeber zu nennen oder den Bewerbungsunterlagen bis zu drei Referenzschreiben beizufügen. „Damit lässt sich sowohl in den Personalabteilungen von Unternehmen als auch bei Personalberatern richtig punkten“, so Mailänder. „Wer auch auf Nachfrage keine Referenzen angeben kann, braucht auf jeden Fall eine gute Begründung – da hilft auch ein makelloses Zeugnis nicht.“

Dagegen hält der Kölner Karrierecoach Bernd Slaghuis ein Arbeitszeugnis noch immer für unverzichtbar. „Für die Bewerbung hat das Zeugnis eine große Bedeutung. Es ist quasi der Beleg für die Angaben im Lebenslauf“, sagt er. Denn die Beschreibung der Aufgaben und des Verantwortungsbereichs sei in einem Zeugnis viel detaillierter als im Lebenslauf. Aber jenseits des Bewerbungsschreibens relativiere sich die Bedeutung eines Arbeitszeugnisses, so der Karriereberater. Denn auch Slaghuis hält es im Grunde für unzuverlässig: „Zeugnisse sind ja fast schon standardisiert.“ Und im persönlichen Gespräch komme es darauf sowieso nicht mehr an.

30.000 Gerichtsverfahren rund ums Zeugnis

Slaghuis sieht noch eine andere Entwicklung, die die Bedeutung von Arbeitszeugnissen schmälert: Die zunehmende Zahl von Bewerbungen per Internet. Häufig werde dabei nicht explizit verlangt, dass eingescannte Zeugniskopien angehängt werden.

An einer Stelle ist das Zeugnis aber garantiert noch relevant – vor dem Arbeitsgericht. Rund 30.000 Verfahren werden jährlich vor deutschen Landesarbeitsgerichten rund um das Zeugnis ausgefochten, sagt Mailänder. Häufig gehe es dabei um die Leistungs- und Verhaltensbeurteilung. „Arbeitgeber bewegen sich in einem rechtlichen Spannungsfeld, weil sie einerseits gehalten sind, das Zeugnis wohlwollend zu formulieren, sie andererseits aber auch dort zur Wahrheit verpflichtet sind“, sagt Alexander Lentz, Arbeitsrechtspartner bei der Anwaltssozietät TaylorWessing in Hamburg. Wenn es wegen unterschiedlicher Auffassungen über die Aussagen des Zeugnisses zur gerichtlichen Auseinandersetzung kommt, hat der Arbeitnehmer die Pflicht, zu beweisen, dass er Anspruch auf eine gute oder sehr gute Bewertung hat. Die Beweisführung sei aber meistens schwierig, wenn es keine entsprechenden Zwischenbeurteilungen gebe, so Lentz. Wenn es in einem Vergleich dann doch dazu komme, dass der Arbeitnehmer das Zeugnis nachbessere, liege das daran, dass die Firma einen Prozesses vermeiden wolle.

Gut ist nicht gleich gut

„Der Inhalt eines Zeugnisses ist häufig der Gegenstand bei Kündigungsschutzverfahren“, bestätigt Martin Dreßler, Richter am Landesarbeitsgericht Berlin. Oft gehe es dabei um den möglichen Widerspruch zwischen wohlwollender und wahrhaftiger Beurteilung. Einfacher werde es natürlich nicht, dass bestimmte Formulierungen in Arbeitszeugnissen eine andere Bedeutung als die offensichtliche habe. Dreßler nennt ein Beispiel: „Wenn einem Mitarbeiter ein hervorragendes Verhältnis zu Kollegen und Vorgesetzten bescheinigt wird, ist das in Wirklichkeit ein totaler Verriss, weil die Vorgesetzten nicht zuerst erwähnt wurden“, sagt Dreßler. So ist die scheinbar positive Aussage ein Hinweis darauf, dass der Betroffene ein Aufrührer ist.

Auch was nicht im Zeugnis erwähnt wird, könne vernichtend wirken. Wenn einer Verkäuferin die Ehrlichkeit im Zeugnis nicht bescheinigt werde, könne der Rest noch so gut klingen, aber jeder Eingeweihte wisse, dass sie gestohlen habe, nennt Dreßler ein weiteres Beispiel. „Allen ist bewusst, dass diese Formulierungen knifflig sind“, sagt der Jurist. Aber mit diesem Wissen würden die Zeugnisse auch vor Gericht bewertet. Für den Arbeitsrichter gibt es denn auch kein Alternative zum Zeugnis: „Es stimmt schon, dass ein Zeugnis allein nicht ausreicht bei der Bewerbung, aber ohne brauchen sie sich gar nicht erst zu bewerben.“