Ein Hellseher sei er nicht, er habe sich nur gründlich informiert und durch einen erfahrenen Bankier beraten lassen, sagt Professor Arnulf Baring. Er hat bereits 1997, fünf Jahre vor der Einführung des Euro, in seinem Buch „Scheitert Deutschland?“ vor der Währungsunion ebenso gewarnt wie vor der Aufnahme Griechenlands in die Europäische Union. Und er sagte voraus, was jetzt tatsächlich eingetreten ist: Deutschland drohe finanzpolitisch erpresst zu werden; und weil wir Währungsdisziplin fordern, würden die anderen Länder uns für deren Probleme verantwortlich machen. Damit riskierten die Deutschen, als Wirtschaftspolizisten in Verruf zu geraten und einmal mehr zum bestgehassten Volk in Europa zu werden.
Die Währungsunion, so Baring im Gespräch mit Morgenpost Online, sei die größte Fehlentscheidung Deutschlands nach 1945. Die habe, obwohl er mit der Durchsetzung des Nato-Doppelbeschlusses und der Wiedervereinigung Großes geleistet habe, Helmut Kohl zu verantworten. Der Kanzler (Amtszeit 1982 bis 1998) habe damals empört auf seine düsteren Prognosen reagiert, erinnert sich Baring. „Als ich eine Kurzfassung in der ,Frankfurter Allgemeinen Zeitung' veröffentlich hatte, schrieb Bundeskanzler Kohl an jeden der fünf Herausgeber einen eigenen Brief des Inhalts: Sie dürften mir ihr Blatt nicht länger als Forum zur Verfügung stellen. Es sei doch unerhört, dass dieses großartige Projekt durch Schmierfinken wie mich in den Dreck gezogen würde.“
Die Währungsunion, sagt Baring, sei von Beginn an zum Scheitern verurteilt gewesen. Weil Mentalität und Leistungskraft in den Ländern der gemeinsamen Währungszone viel zu unterschiedlich seien. „Das führt zwangsläufig zu Spannungen und lässt den Laden irgendwann auseinanderfliegen.“ Der ihn beratende Bankier habe ihm damals auch vorhergesagt, dass das Ganze am Ende auf eine gigantische Erpressung hinauslaufe.
Deutschland isoliert wie 1918
Baring meint, dass eine solche auch schon am Anfang der Währungsunion gestanden habe. Nämlich die französische durch den damaligen Präsidenten Mitterrand, der Wiedervereinigung nur zuzustimmen, wenn Deutschland die D-Mark abschafft. Dazu sei Kohls idealistische Vorstellung gekommen, wenn es erst einmal eine gemeinsame Währung gebe, ließen sich alle Probleme europäisch solidarisch lösen. „Erpressung hier und Idealismus dort haben zur größten politischen Fehlentscheidung seit 1945 geführt“, bekräftigt Professor Baring.
Die Ausplünderung Deutschlands sei bereits wieder in vollem Gange, wie einst nach dem Ersten Weltkrieg: „Das ist eine neue Form der Ausplünderung, wie ich sie mir nach so vielen Jahren der Zusammenarbeit zwischen den westeuropäischen Partnern nicht habe vorstellen können.“ Die jetzige Forderungshaltung der anderen Euro-Länder komme einer Nichtakzeptanz, gar einer Isolierung Deutschlands wie nach 1918 gleich. Er könne sich nur wundern, dass weder die Bundesregierung noch die Opposition die tatsächliche Brisanz der Euro-Krise für Deutschland in ihrem vollen Ausmaß begriffen hätten. „Wir verteidigen unsere eigenen Interessen nicht.“
Auszug aus der Euro-Zone nötig
Für die breite Öffentlichkeit, also für die Wähler, sei das alles nicht mehr durchschaubar. Auch die jüngste, wenig freundliche Einstufung Deutschlands durch die Ratingagentur Moody's und deren Folgerungen könne kaum noch jemand nachvollziehen. „Das ist alles viel zu technisch“, sagt Baring. Wie er sich mittlerweile im Gefolge der Euro-Krise auch um unsere Demokratie sorgt. „Wer ist denn eigentlich beteiligt an den weitreichenden Entscheidungen? Ein halbes Dutzend Personen! Das ist doch unglaublich. Dass sich die Abgeordneten das gefallen lassen.“ Es gehe um das Budgetrecht des Parlaments, das wohl wichtigste Mitbestimmungsrecht in einer Demokratie. Werde das ausgehöhlt oder falle gar ganz weg, drohe das Ende der Demokratie. „Wenn wir Wähler über unsere Vertreter im Parlament nicht mehr mitbestimmen können, was eine Regierung darf und was nicht – dann ist die Demokratie am Ende.“
Auf die Frage, ob denn aus seiner Sicht noch etwas zu retten sei, antwortet der emeritierte FU-Professor mit der Gegenfrage: „Wie wollen Sie etwas retten, wenn auf unsere Kosten etwas saniert werden soll, was nicht zu sanieren ist? Da stockt mir der Atem.“ Einziger Ausweg für Deutschland sei der Auszug aus der Euro-Zone mit der Begründung: „So haben wir nicht gewettet. Den Ausverkauf unseres Landes nehmen wir nicht hin.“
Er glaube nicht, dass eine solche Entscheidung zwangsläufig auch das Ende des Euro bedeute. Die starken Länder der EU würden wohl in einer kleineren Zone an ihm festhalten. Und: Nein, gegen ein vereintes Europa sei er keineswegs, sagt Baring. Er empfinde auch keine Genugtuung. Aber er finde es „furchtbar, dass wir fast 70 Jahre nach Ende des Zweiten Weltkriegs wieder in dieser Lage sind“.