Mehrere junge Unionsabgeordnete haben den Spitzen der Unionsparteien und der FDP eine Hinhaltetaktik bei der anstehenden Reform der Pflegeversicherung vorgeworfen. Gleichzeitig beklagen die Arbeitgeber in der Pflegebranche einen eklatanten Fachkräftemangel.
Eine vom „Bundesverband privater Anbieter sozialer Dienste“ vorgestellte Studie kommt außerdem zu dem Ergebnis, dass die Pflege alter Menschen nicht nur steigende Kosten verursacht, sondern ein wachsender Wirtschaftszweig ist, der gleichzeitig positiv auf Beschäftigung und Staatseinnahmen wirkt.
Die 22 Bundestagsabgeordneten verlangen in ihrem Aufruf eine Reform der Pflegeversicherung, weil die Pflege alter Menschen die zentrale „gesellschaftspolitische Zukunftsfrage“ sei. Sie werde mehr Geld kosten, als die Pflegekassen heute zur Verfügung haben. Deshalb sei eine zügige Einführung eines Kapitalstocks nötig.
Aus ihm sollten die Pflegekosten teilweise bezahlt werden, heißt es in einem Papier, das unter anderem vom CDU-Gesundheitspolitiker Jens Spahn und dem Parlamentarischen Geschäftsführer der CSU-Landesgruppe, Stefan Müller, unterschrieben wurde. Die Kapitalrücklage müsse „vor einem zweckentfremdenden Zugriff geschützt“ sein, und ihre Finanzierung dürfe „niemanden überfordern“. Pflege werde teurer, heißt es weiter. Details zur Finanzierung enthält der Appell aber nicht.
Uneinigkeit in der Pflegereform
Schon seit Monaten können CDU, CSU und FDP sich nicht einigen, ob und wie sie eine Pflegereform angehen. FDP-Fraktionschef Rainer Brüderle und der CSU-Vorsitzende Horst Seehofer schlossen einen höheren Beitrag zur Pflegeversicherung bereits aus. Spahn und der stellvertretende Unions-Fraktionschef Johannes Singhammer (CSU) dagegen halten höhere Beiträge für unausweichlich. Gesundheitsminister Daniel Bahr (FDP) hat sich noch nicht festgelegt.
In der Union heißt es, der Appell richte sich vor allem an Seehofer und Brüderle. Die Pflegeexpertin der FDP, Christine Aschenberg-Dugnus, sieht dagegen allein die Union in der Pflicht: „Der Appell richtet sich vor allem an die eigenen Leute“, sagte sie. Die FDP sei sich einig, dass sie einen Kapitalstock für die Pflegekassen wolle. „Die Pflegereform kommt“, sagte Aschenberg-Dugnus. Im Sommer würden Eckpunkte feststehen. Eine Sprecherin der Unions-Bundestagsfraktion sagte, die Reform solle zum 1. Juli nächsten Jahres in Kraft treten.
Der Präsident des Verbands der Anbieter sozialer Dienste, Bernd Meurer, sagte, er habe „wenig Verständnis“ dafür, wenn eine Pflegereform nicht komme. Er wünsche sich, dass dabei auch das Problem des mangelnden Nachwuchses berücksichtigt werde. Laut Meurer könnten 30.000 Stellen in der Pflegebranche sofort besetzt werden. Es fehlten aber qualifizierte Bewerber.
Keine Fachkräfte aus dem Ausland anwerben
Er berichtete davon, dass vereinzelt mit „Kopfprämien“ von bis zu 3000 Euro versucht werde, Pflegepersonal abzuwerben. Damit werde der Mangel aber nicht behoben, sondern nur verschoben. Meurer forderte, die Bundesregierung solle die Möglichkeiten erleichtern, die benötigten Fachkräfte im Ausland anzuwerben, als Beispiel nannte er Spanien, wo viele junge Leute arbeitslos seien.
Unions-Fraktionsvize Singhammer lehnt eine Anwerbung von Pflegekräften im Ausland dagegen ab: „Das Problem kann nur in Deutschland gelöst werden.“ Das Fachkräftepotenzial in den europäischen Nachbarländern sei ebenfalls gering. „Darauf zu hoffen, ist eine Illusion“, sagte Singhammer vor allem mit Blick auf osteuropäische Staaten. Die Fachkräfte, die es dort gebe, würden in diesen Ländern genauso benötigt und könnten nicht einfach abgeworben werden.
Darüber hinaus seien für die Pflege alter Menschen besondere Qualifikationen nötig, zu denen gute Kenntnisse der deutschen Sprache gehörten. Daran mangele es ausländischen Fachkräften oft. Singhammer forderte vor allem eine bessere Bezahlung der Pflegekräfte, um den Mangel zu beseitigen. Daraus ergebe sich, dass die Ausgaben für die Pflegeversicherung in Zukunft steigen würden. Nach Darstellung von BPA-Präsident Meurer scheitert eine bessere Bezahlung aber in der Regel an den Pflegekassen und den Sozialämtern als Kostenträger. Sie würden auf niedrige Kosten dringen
Dominik Enste, Sozialexperte beim arbeitgebernahen Institut der deutschen Wirtschaft in Köln sagte, die fast eine Million Beschäftigten in der Pflege würden 33 Milliarden Euro Umsatz generieren und mindestens 17 Milliarden Euro Steuern und Abgaben an den Staat zahlen. „Die Wertschöpfung der Pflege wird weiter steigen“, so Enste. Die Bezahlung müsse flexibler werden.