Auf Kosten des Steuerzahlers

Chef von Berliner Disko organisierte Ergo-Sex-Sause

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Jörg Eigendorf, Philipp Hedemann, Sebastian Jost, Lucas Wiegelmann

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Die Budapester Spaßbad-Orgie der Hamburg-Mannheimer wurde maßgeblich vom Geschäftsführer der Berliner Diskothek "Matrix" mitorganisiert, er will mit Prostituierten aber nichts zu tun gehabt haben. Offenbar sind solche Sex-Sausen auf Firmenkosten Alltag. Und können von der Steuer abgesetzt werden.

Die Steuerzahler in Deutschland zahlen regelmäßig für sexuelle Abenteuer von Managern und anderen Geschäftsleuten. Auch die Sexorgie der Versicherungsvertreter der Hamburg-Mannheimer in der Therme des Budapester Hotels Gellert ging zulasten des Fiskus. Der Mutterkonzern Ergo bestätigte, dass die Hamburg-Mannheimer die Kosten von 83.000 Euro vollständig steuerlich geltend gemacht und dadurch Gewinn und Steuerlast vermindert hat. „Die Rechnung ist in voller Höhe als Betriebsausgabe behandelt worden“, sagte ein Ergo-Sprecher. „Nach unseren Prüfungen war das steuerrechtlich in Ordnung. Wir prüfen jedoch weiter, ob man eine andere Beurteilung vornehmen kann und wie wir die Angelegenheit bereinigen können.“ Bei der Veranstaltung für etwa 70 Versicherungsvertreter waren mindestens 20 Prostituierte anwesend, die den Gästen für sexuelle Kontakte zur Verfügung standen.

Auch wenn Exzesse wie in Budapest die Ausnahme sind, ist es in deutschen Unternehmen durchaus üblich, Bordellbesuche über Firmenspesen abzurechnen. Das bestätigen sowohl zwei Konzernmanager als auch ein Mitarbeiter einer Eventagentur. Es gibt demnach viele Möglichkeiten, sich mit Prostituierten auf Firmenkosten zu vergnügen, ohne dass es auf der Rechnung auftaucht.

Prostituierte werden als vielsprachige Hostessen verrechnet, oder Hotels, gerade im Ausland, bieten die sexuellen Dienstleistungen inklusive an: „Schauen Sie sich die offiziellen Preise in Hotels an und das, was Sie normalerweise wirklich bezahlen“, sagt ein Steuerfahnder einer Oberfinanzdirektion, der nicht genannt werden will. „Da ist sehr viel Spielraum, die Zusatzleistungen in einem erhöhten Zimmerpreis zu verrechnen.“

Auch in den Belegen zu der Veranstaltung der Hamburg-Mannheimer findet sich kein Bezug auf die wahren Dienstleistungen. „Auf den uns vorliegenden Rechnungen gab es keinen Posten Prostitution oder gar eine Detailrechnung für 20 Prostituierte“, sagte der Konzernsprecher.

Die steuerliche Behandlung von Prostitution ist in Deutschland nicht klar geregelt. Manche Steuerexperten gehen aber davon aus, dass Bordellleistungen in jedem Fall als unangemessen gelten müssten. Wer also etwa eine Eventagentur um eine Rechnung ohne verräterische Einzelposten bittet, betrügt den Fiskus.

Auch die Spaßbad-Orgie in Budapest organisierte eine Eventagentur: EMEC aus dem bayerischen Türkheim. Einer der beiden Geschäftsführer, Robert Ackermann, bestätigte sein Engagement, will aber für die Verpflichtung der Prostituierten nicht verantwortlich sein. Ackermann betreibt auch die bekannte Berliner Diskothek „Matrix“ in Friedrichshain.

Das gemeinsame schlüpfrige Erlebnis – als die Hamburg Mannheimer vor vier Jahren ungefähr 70 ihrer erfolgreichsten Versicherungsvertreter nach Budapest einlud, schien nicht nur einer, sondern sogar der zentrale Bestandteil der Motivationsreise zu sein. Schon nachmittags hat dem Vernehmen nach das erotisch geprägte Programm begonnen: Die Vertriebler gastierten auf einem Donau-Dampfer, als neben dem Schiff eine kleine Barkasse voller barbusiger Frauen auftauchte. Ob es sich dabei bereits um Prostituierte handelte und wie intim die Kontakte zu den Vertretern hier wurden, ist nicht geklärt.

Umso anzüglicher wurde es jedenfalls nach dem anschließenden Transfer in die eigens angemietete Gellert-Therme. „Jedem muss sofort beim Reinkommen klar gewesen sein, was da gespielt wird“, berichtet ein Anwesender, der anonym bleiben will. Mehr als ein Dutzend Damen soll sich direkt am Eingang höchst spärlich bekleidet präsentiert haben, wobei die Angaben zur Zahl der anwesenden Prostituierten schwanken: Ergo spricht von 20, der Zeuge will doppelt so viele gezählt haben.

Neben zwei Live-Bands und eigens aus Deutschland angelieferten Garküchen mit einer zweistelligen Zahl von Köchen hatte der Versicherer Berichten zufolge rund ein Dutzend Betten auf dem Gelände des Bades aufgebaut. „Und die reichten bei Weitem nicht aus“, sagt ein Anwesender. Manche Vertreter hätten sich an den gepolsterten Spielwiesen angestellt, andere seien mit Prostituierten an andere Orte bis hin zu den Toiletten ausgewichen.

EMEC-Geschäftsführer Ackermann sagt: „Wir haben lediglich Flüge und Hotelzimmer gebucht und bei der Abendveranstaltung im Gellert-Bad für Deko, Catering, Musik und Lichttechnik gesorgt. Mit den Prostituierten, die im Gellert-Bad anwesend waren, hatten wir nichts zu tun.“ Ackermann gibt allerdings zu, dass er über deren Kommen informiert war. Bis heute wisse er aber nicht, wer diesen Teil der Veranstaltung organisiert habe. Ergo will sich weder zum Namen der Agentur noch zu deren Leistungen äußern.

In einem sind sich Ergo und Eventmanager Ackermann einig: Die Orgie von Budapest soll ein singuläres Ereignis gewesen sein. „Ich habe eine vergleichbare Veranstaltung davor oder danach nie erlebt“, sagt Ackermann. EMEC sei ein seriöser Anbieter: „Viele unserer Kunden sind bodenständige Mittelständler.“

Hört man sich um, kommt man allerdings schnell zu dem Schluss, dass auch vermeintlich seriöse Unternehmen erotischen Dienstleistungen nicht abgeneigt sein müssen und sich Eventmanager nicht lange bitten lassen, diese auch im Ausland zu arrangieren. Zwar scheinen Massenveranstaltungen wie in Budapest eine Ausnahme zu sein, doch in diskreterem Rahmen gibt es umso häufiger Kontakt zu Prostituierten. „Sex-Sausen auf Firmenkosten sind absoluter Alltag, in allen Branchen“, berichtet ein Manager.

Dabei bilden Anreize für freiberufliche Verkäufer, wie sie bei Finanzvertrieben gängig sind, wohl nur einen eher kleinen Teil des Spektrums. Besonders verbreitet sind erotische Ausschweifungen offenbar dort, wo großvolumige Aufträge zu vergeben sind, etwa in der Bau- oder der Schwerindustrie. „Mit dem Geschäftspartner abends noch auf Firmenkosten ins Bordell zu gehen, war vor 15 Jahren sicher noch üblicher als heute, passiert aber immer noch“, bestätigt der Eventmanager eines Dax-Konzerns. Das Kalkül: Auch bei Großaufträgen komme die Entscheidung oft aus dem Bauch heraus, sagt ein Manager: „Und wenn ein Kunde intime und aufregende Dinge gemeinsam mit mir erlebt hat, dann entsteht etwas zwischen uns.“

Bei der Abrechnung über die Firmenkasse wird hinterher reichlich gemauschelt. Exemplarisch ist der Fall einer typischen Geschäftsanbahnung zwischen dem hochrangigen Vertreter eines städtischen Verkehrsbetriebes und dem Manager einer Stahlfirma. Ersterer war für Ankauf und Instandhaltung von Schienen zuständig und entschied über Aufträge in Millionenhöhe. Letzterer lud ihn zu Werksbesuch mit Dinner ein.

„Beim Essen spürte ich, dass er irgendwie mal was erleben wollte“, erzählt der Stahlmanager. Nach dem Essen fuhr man in eine stadtbekannte Strip-Bar. Irgendwann stand der Kunde nur noch mit Socken bekleidet auf dem Tisch und schunkelte mit den Tänzerinnen. Kostenpunkt für die Stahlfirma: 13.000 Euro. Die Sache habe sich gelohnt, sagt der Manager. „Wenn ich ihn heute wiedersehe, sagt er jedes Mal: ,Du hast mir den schönsten Abend meines Lebens organisiert.'“

Für den Trip ins Strip-Lokal wählte der Manager eine besonders dreiste Art der Kaschierung. Eine Rechnung für diesen Abend gab es nie. Einer der ebenfalls eingeladenen Geschäftspartner streckte die 13.000 Euro vor und verrechnete den Betrag mit anderen Rechnungen an die Stahlfirma – diese fielen dann eben etwas höher aus.

Mitarbeit: Carsten Dierig