Das Signal aus Berlin war eindeutig. "Wir werden am unteren Ende dessen bleiben, was nach den Regeln geht und nicht nach dem, was die Kassen gerne hätten", stellte ein hoher Regierungsvertreter in Berlin klar. Zu diesem Zeitpunkt saßen in Bonn noch die Schätzer zusammen, um die Höhe des künftigen einheitlichen Beitragssatzes für die gesetzliche Krankenversicherung zu ermitteln. Dass es keine 15,8 Prozent werden würden, wie von den Kassen gefordert, stand damit fest.
Einen Tag später ging dann der Schätzerkreis aus Experten des Bundesgesundheitsministeriums, des Bundesversicherungsamts (BVA) und des Spitzenverbandes der Krankenkassen auseinander – ohne einheitliche Empfehlung. Mit der Mehrheit seiner Fachleute aus Amt und Ministerium setzte BVA-Präsident Josef Hecken die 15,5 Prozent durch. Der Beitragssatz gewährleiste eine "hundertprozentige Ausgabendeckungsquote", so Hecken. Der von den Krankenkassen geltend gemachte Mehrbedarf sei "nicht realistisch". Die von der Mehrheit im Schätzerkreis abgegebene Empfehlung sei für die Bundesregierung eine "seriöse und verlässliche Orientierungshilfe für die Festlegung des Beitragssatzes für das Jahr 2009."
Damit sind die Weichen für den Gesundheitsfonds gestellt. An diesem Sonntag werden die Koalitionsspitzen in Berlin den Beitragssatz abnicken, am Dienstag wird das Kabinett beschließen. 46 Millionen Kassenmitglieder und ihre Arbeitgeber werden damit ab 1. Januar 2009 tiefer in die Tasche greifen müssen. Denn heute liegt der Durchschnittssatz knapp unter 15 Prozent. Doch die große Koalition kann die schlechte Nachricht mit einer guten Nachricht verknüpfen. Denn in der Arbeitslosenversicherung kann der Beitrag gesenkt werden - auch darüber soll am Sonntag beraten werden. Umstritten ist nur noch, um wie viel Prozentpunkte. Setzt sich die Union mit ihrer Forderung durch, den Arbeitslosenbeitrag von 3,3 auf 2,8 Prozent zu verringern, wäre der Beitragsanstieg in der Krankenversicherung sogar komplett kompensiert. Der großen Koalition blieben dann auch Vorwürfe erspart, sie treibe in schwieriger konjunktureller Lage die Lohnnebenkosten weiter in die Höhe, statt sie unter der 40-Prozent-Marke zu halten, wie in der Koalitionsvereinbarung einst feierlich versprochen.
Doch nun muss sich die Regierung den Vorwurf gefallen lassen, sie setze den Beitrag in der Krankversicherung aus politischem Kalkül zu niedrig an. So warnt der Deutsche Gewerkschaftsbund vor einer "politisch motivierten Unterfinanzierung des Gesundheitswesens". "Der Beitragssatz darf nicht politisch festgelegt werden, sondern muss die gesamten Ausgaben der gesetzlichen Krankenversicherung abdecken", klagt auch der Präsident des Sozialverbands Deutschland, Adolf Bauer. Ein zu niedriger Beitragssatz zwinge die Krankenkassen zu Einsparungen bei der medizinischen Versorgung und gehe damit zulasten der Patienten und Versicherten. "Jetzt ist die Bundesregierung am Zug", sagt Doris Pfeiffer, die Chefin des Spitzenverbandes der Krankenkassen. Sie müsse den Beitrag auf 15,8 Prozent festsetzen, damit alle Ausgaben finanziert werden können.
Dieser Ruf wird aber ungehört verhallen. "Sehr verwundert" sei Gesundheitsministerin Ulla Schmidt (SPD) über das Verhalten der Kassenvertreter, erklärte eine Sprecherin des Ministeriums. Die Ministerin erwarte mehr Respekt vor der Leistung der Versicherten. Die Menschen, die täglich arbeiten gingen, dürften nicht grenzenlos belastet werden. Es dürfe kein Verhalten nach dem Motto "Darf's ein bisschen mehr sein" geben.
Tatsächlich kommt auch schon bei einem Beitragssatz von 15,5 Prozent ein Kostenschub auf die Versicherten zu. Nach Berechnungen des Spitzenverbandes der gesetzlichen Krankenversicherung müssen bei einem Beitragssatz von 15,5 Prozent mehr als 92 Prozent der 51 Millionen Beitragszahler ab 2009 mehr berappen. Nur 7,5 Prozent zahlen weniger, weil sie vorher in einer besonders teuren Kasse waren. Bislang konkurrierten die Kassen vor allem über den Beitragssatz. Denn die Regeln, was sie übernehmen müssen und was nicht, sind weitgehend festgeschrieben. Kleine Betriebskrankenkassen in florierenden Unternehmen mit gut verdienenden Arbeitnehmern konnten ihren Mitgliedern niedrige Beiträge bieten. Sie gehören nun zu den Verlierern.
Der Bundesverband der 170 Betriebskrankenkassen rechnet damit, dass die BKK-Mitglieder und deren Arbeitgeber bei einem Beitragssatz von 15,5 Prozent 700 Millionen Euro mehr zahlen müssen als heute. Günstig waren auch Internetkassen, wie der Chef der Deutschen Angestellten-Krankenkasse (DAK), Herbert Rebscher, erbost mit Blick auf einen Typ von Krankenkasse meint, "die preissensible Kundschaft am PC abgreift" und sich so über gut verdienende, junge Leute mit Handy und Laptop als Mitglieder freuen können.
Marktführer war hier die Online-Krankenkasse IKK-Direkt mit einem Beitragssatz von 13,8 Prozent. Rebscher und seine DAK dagegen zählt wie auch die Barmer Ersatzkasse und viele Allgemeine Ortskrankenkassen mit Beitragssätzen über 15 Prozent zu den großen Versorgerkassen am oberen Ende der Beitragsspanne. Die teuersten Kassen Deutschlands sind mit 16,7 Prozent die AOK in Berlin, Schleswig-Holstein und Mecklenburg-Vorpommern.
Die Versorgerkassen betreiben ein großes Netz von Geschäftsstellen. "Wir sind soziale Infrastruktur", sagt Rebscher. Doch dies honorieren nur die Kranken, die Leistungen in Anspruch nehmen. Die Gesunden dagegen schauen auf den Preis - und wechseln. Den Versorgern bleiben Alte und Kranke.
Der Einheitsbeitragssatz wird die Kassenlandschaft durcheinanderwirbeln. Den günstigen Kassen wird die Geschäftsgrundlage entzogen: Sie können nicht mehr mit einem niedrigen Satz punkten. Die Kassen reagieren schon jetzt darauf. Die IKK direkt kündigte ihre Fusion mit der Techniker Krankenkasse zur größten Kasse bundesweit an. Die KKH fusioniert mit der Betriebskrankenkasse der Allianz.
Der Fonds schaltet zwar den Preiswettbewerb aus - aber nur kurzfristig. "Mittelfristig wird er die Preissensibilität der Versicherten deutlich erhöhen", ist der Gesundheitsökonom Jürgen Wasem sicher. Denn die Kassen, die mit dem Geld aus dem Gesundheitsfonds nicht auskommen, müssen direkt bei ihren Versicherten Zusatzbeiträge erheben. Umgekehrt können die Kassen, die Geld übrig haben, zusätzliche Versicherte mit Prämien locken. Doch die Experten rechnen nicht damit, dass die Kassen schon im nächsten Jahr mit Zusatzbeiträgen und Prämien ins Rennen gehen werden. "Keiner will der Erste sein", sagt Wasem. Schließlich können die Versicherten sofort die Kasse wechseln, wenn der Beitrag kommt. Schon bei einer Prämie in Höhe von zehn Euro würden 27 Prozent der Versicherten ihre Kasse verlassen.
Um den Kassenbeitrag unter allen Umständen zu vermeiden, bleibt den Kassen nur ein Mittel: Sie werden an allem sparen, was nicht gesetzlich vorgeschrieben ist. Rebscher: "Das geht auf die Knochen der Patienten." Der Qualitätswettbewerb, so Gesundheitsökonom Wasem, hat erst dann wieder eine Chance, wenn alle Kassen Zusatzprämien erheben. "Das ist eine Durststrecke, die mehrere Jahre dauern könnte."
Tabelle: 150 Krankenkassen im Beitragsvergleich