Morgenpost Online erkärt, was auf Versicherte und Krankenkassen durch die größte Reform seit Jahrzehnten zukommt.
Kann der Gesundheitsfonds noch gestoppt werden?
Nein. Der Gesundheitsfonds und der einheitliche Beitragssatz für die mehr als 70 Millionen Mitglieder in der gesetzlichen Krankenversicherung werden trotz aller Kritik pünktlich zum 1. Januar 2009 starten. „Wir liegen voll im Zeitplan“, heißt es aus dem Bundesgesundheitsministerium. Das gilt sowohl für die technischen als auch die politischen Vorbereitungen. Politisch kann der Fonds nicht mehr aufgehalten werden. Zwar muss der Bundestag noch ein „Gesetz zur Weiterentwicklung der Organisationsstrukturen in der gesetzlichen Krankenversicherung (GKV-OrgWG) verabschieden, das einige Details der Reform regelt. Der Bundesrat muss aber nicht zustimmen.
Wer legt den Beitragssatz fest?
Letztlich die Bundesregierung. Sie muss spätestens am 1. November den neuen Beitragssatz verkünden. Zuvor gibt ein Schätzerkreis aus Fachleuten des zuständigen Bundesversicherungsamts (BVA), des Gesundheitsministeriums und der Krankenkassen eine Empfehlung ab.
Wie hoch wird der Beitragssatz sein?
Das ist die spannende Frage. Auf jeden Fall dürfte der neue einheitliche Satz aber über dem derzeitigen Durchschnittssatz der Kassen von knapp 15 Prozent liegen. Experten rechnen mit einem Beitragssatz von 15,5, manche sogar mit 15,8 oder 16 Prozent. Schuld daran sind höhere Ausgaben – zuletzt waren es rund 150 Mrd. Euro. Allein die jetzt vereinbarten höheren Honorare für Ärzte kosten 2,5 Mrd. Euro und machen damit 0,25 Punkte aus. Die Krankenhäuser sollen ebenfalls mehr Geld bekommen, zudem steigen die Arzneimittelausgaben. Auf der anderen Seite werden aber mehr Einnahmen erwartet. Die Arbeitslosigkeit geht zurück, die Tariflöhne steigen 2008 deutlich, dadurch erhöht sich die Lohnsumme. Zudem steigt der Bundeszuschuss an die gesetzliche Krankenversicherung auf vier Mrd. Euro.
Könnte der Beitragssatzanstieg noch gedämpft werden?
Die Regierung könnte den Anstieg der Beitragssätze dämpfen, indem sie mehr Steuergelder in das Gesundheitswesen pumpt. Denkbar wäre etwa ein höherer Beitrag des Bundes für die Krankenversicherung von Hartz-IV-Empfängern. Im Gespräch ist außerdem ein ermäßigter Mehrwertsteuersatz für Medikamente, durch den die Arzneimittelausgaben sinken würden. Finanzexperten halten es aber für unwahrscheinlich, dass Finanzmi?nister Peer Steinbrück zusätzliches Geld für die Kassen herausrückt. Wahrscheinlicher ist, dass die Regierung den höheren Satz in der Krankenversicherung durch eine Senkung des Beitrags zur Arbeitslosenversicherung zumindest teilweise abmildert. Im Gespräch ist eine Senkung um rund 0,3 Prozentpunkte auf 3,0 Prozent.
Wer ist der Gewinner, wer der Verlierer des Fonds?
Heute noch günstig Versicherte und ihre Arbeitgeber werden künftig mehr bezahlen müssen – nach Schätzungen trifft das bei einem künftigen Beitragssatz von 15,5 Prozent etwa 45 Millionen Versicherte. Heute schwanken die Beiträge der mehr als 200 Krankenkassen zwischen 11,8 und 16,5 Prozent. Nach Angaben des Ministeriums liegt der Beitragssatz im Schnitt heute bei 14,92 Prozent. Unter dem Schnitt liegen etwa die Technikerkrankenkasse und viele Innungs- und Betriebskrankenkassen. Viele Ersatzkassen und Allgemeine Ortskrankenkassen (AOK) liegen dagegen über dem Schnitt. Ihre Mitglieder werden die Erhöhung am wenigsten spüren.
Wie wird das Geld aus dem Fonds verteilt?
Jede Krankenkasse erhält pro Versichertem eine Pauschale. Hinzu kommen Zu- und Abschläge, die sich nach Alter, Geschlecht und Krankheiten ihrer Versicherten richten. „Morbiditätsorientierter Risikostrukturausgleich (RSA)“ nennt sich das in der Sprache der Experten. Eine Kasse mit vielen kranken und alten Mitgliedern bekommt daher mehr Geld als eine mit jungen und gesunden.
Was ist, wenn die Kasse mit dem Geld nicht auskommt?
Dann muss sie von ihren Versicherten einen Zusatzbeitrag verlangen. Er darf allerdings ein Prozent des Einkommens nicht übersteigen. Umgekehrt können Kassen mit Überschüssen Prämien an ihre Mitglieder ausschütten und so neue Versicherte hinzu gewinnen. Experten des Ministeriums rechnen jedoch nicht damit, dass rasch Zusatzbeiträge eingeführt werden. Die erste Kasse mit Zusatzbeitrag würde sich wohl rasch von ihren Versicherten verabschieden müssen, denn die Mitglieder haben das Recht zum Kassenwechsel. Auch vor Prämien dürften die Kassen zurückschrecken: Zu groß ist die Furcht, das Geld könnte nicht reichen – und damit ein Zusatzbeitrag drohen. Wahrscheinlicher ist, dass die Kassen ihren Mitgliedern mehr Wahltarife zu unterschiedlichen Beitragssätzen anbieten, um eine Beitragserhöhung zu kaschieren.
Droht ein Bürokratie-Monster?
Das Ministerium sagt: nein. Der Fonds sei vielmehr ein „nachhaltiger Beitrag zum Bürokratieabbau“. Schließlich könnten Arbeitgeber ab 2011 die Beiträge für ihre Mitarbeiter gebündelt an den Fonds überweisen. „Heute muss jedes größere Unternehmen in seiner Lohnbuchhaltung mehr als 100 Kassen mit unterschiedlichen Beitragssätzen bedienen. In Zukunft zahlt es einen einzigen Beitragssatz für alle“, sagt Gesundheitsministerin Ulla Schmidt. Und außerdem: Gerade einmal 21 Mitarbeiter seien beim Bundesversicherungsamt mit der Verwaltung des 150 Mrd. Euro schweren Fonds befasst. Auf die Kassen kommt allerdings erheblich mehr Bürokratie zu. Wenn Sie Zusatzbeiträge erheben oder Prämien auszahlen, müssen sie direkt mit den über 70 Millionen Versicherten in Kontakt treten.
Wann kommt die nächste Beitragserhöhung?
Im Wahljahr 2009 wird es kaum eine Erhöhung geben. Der einmal festgelegte Beitragssatz wird erst überprüft, wenn er nicht mehr 100, sondern 95 Prozent der Ausgaben deckt. Auch dies soll den Spardruck im System erhöhen.
Wie wirkt sich der Gesundheitsfonds auf die Kassen aus?
Sie werden ein Stück weit entmachtet. Bislang ermittelten sie selbst ihren Beitragssatz. Künftig übernimmt diese Aufgabe die Politik. Der Fonds liege wie ein „Betondeckel auf den Gesundheitsausgaben“ klagen Kassenvertreter. Genau dies ist von der Politik gewollt: Der Gesundheitsfonds soll die Kassen zu mehr Wirtschaftlichkeit zwingen. Unter diesem Druck dürfte die Zahl der Kassen tendenziell zurückgehen, sagen Experten voraus: Finanzschwache Kassen werden mit starken Partnern fusionieren müssen. Für größere Kassen spricht auch, dass diese bei Rabatt-Verhandlungen mit Ärzten oder Arzneimittelherstellern mehr Marktmacht ausspielen können.