Privatisierung

Bahn-Börsengang verschoben – oder aufgehoben

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Nikolaus Doll

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Offiziell heißt es, der Börsengang der Deutschen Bahn wird wegen der Finanzkrise nur verschoben. Aber der Börsengang, an dem Hartmut Mehdorn seit 1999 gearbeitet hat, ist nun unwahrscheinlicher denn je geworden. Viele glauben, dass das ehrgeizige Projekt gar nicht mehr zu schaffen ist.

Bahnfinanzvorstand Diethelm Sack saß da wie so oft in größeren Tischrunden: Leicht vorgebeugt, die Schultern ein wenig hochgezogen, den Kopf vorgestreckt. Wie einer, der zu allem entschlossen ist. Wie ein Bulle. „So lange an der Frankfurter Börse gehandelt wird, ziehen wir den Börsengang der Bahn durch“, sagte er. Das war im Frühsommer. Und selbst vor kurzem scherzte der Mann der Zahlen im Bahnkonzern noch: „Wenn Sie bei uns Menschen mit tiefen Augenringen und einem Lächeln im Gesicht sehen, dann sind das unsere Mitarbeitern, die den Börsengang organisieren.“

Das Lächeln dürfte erloschen sein. Noch vergangene Woche waren die Bahnmanager optimistisch, dass der über Jahre geplante und heftig umstrittene Verkauf von knapp einem Verteil des Personen- und Güterverkehrs sowie der Logistik trotz Turbulenzen an den Börsen wie geplant Ende Oktober über die Bühne geht. Aber die drei ersten Tage dieser Woche, an denen der Dax um mehr als 800 Punkte nachgegeben hat und das Dauerfeuer von Politikern aller Parteien haben Konzernchef Hartmut Mehdorn mürbe gemacht: „Wir verschieben das Ganze. Es bringt nichts, jetzt mit dem Kopf durch die Wand zu wollen.“

Das große Ziel, der Bahnbörsengang, an dem Mehdorn seit seinem Antritt 1999 gearbeitet hat, ist unwahrscheinlicher denn je geworden. Zwar halten sich alle Beteiligten, die beim Verkauf des letzten großen Staatskonzerns die Fäden ziehen alle Optionen offen und offiziell die Fahne für einen Börsengang hoch. Bundeskanzlerin Angela Merkel (CDU) und Finanzminister Peer Steinbrück (SPD) haben dem Bahnchef in den vergangenen Tagen erneut zugesagt, „die Teilprivatisierung kommt“. Selbst die Verkehrsexperten im Bundestag, die selten mit Mehdorn einer Meinung sind, stehen zum Bahnchef: „Mit der Verschiebung gibt der Bund dem Bahnbörsengang eine zweite Chance“, sagt der verkehrspolitische Sprecher der SPD, Uwe Beckmeyer. Und der Vorsitzende des Verkehrsausschusses, Klaus Lippold (CDU) warnt: „Wir dürfen diese Privatisierung nicht zerreden.“

Nun will man also Ende November einen neuen Anlauf nehmen. „Bis Mitte Dezember ist noch Zeit, dann sind die Bücher geschlossen und alle Ski fahren“, sagt ein Bahnmanager. Und wenn das nicht klappt, will man es im Februar erneut versuchen. Einen Zeitplan nennt Mehdorn nicht mehr, und das ist klug. Denn damit nimmt der Bahnchef potenziellen Anlegern das gute Gefühl, dass der Börsengang unbedingt sein muss, fast egal zu welchem Preis. Entsprechend niedrig würde der ausfallen. Haben sich die Märkte wieder beruhigt, können für die 24,9 Prozent der Bahntochter DB Mobility Logistics (DB ML) immer noch die erhofften 4,5 Milliarden Euro erzielen.

Doch hinter verschlossenen Türen machen sich Ermüdung und Pessimismus breit: „Das wird nichts mehr. Jetzt nicht und 2009 erst recht nicht, denn dann würde der Börsengang zum Wahlkampfthema werden“, heißt es aus dem Präsidium des Bahnaufsichtsrats, der Donnerstagnachmittag zu einer Konferenz zusammenschaltete.

Und nichts fürchten die Treiber der Privatisierung mehr, als dass der Börsengang unter die Räder des Wahlkampfs gerät. Welche Partei will sich in Zeiten größter Börsenturbulenzen oder kurz danach schon öffentlich dafür einsetzen, dass ausgerechnet der Staatskonzern Bahn, der gemeinsam mit dem Schieneninfrastruktur jährlich Milliarden an Steuermitteln erhält, in die Hände von Investoren gelangt? Zumal sich in einer am Donnerstag veröffentlichten Emnid-Umfrage 78 Prozent der Bevölkerung für eine Bahn in öffentlicher Hand ausgesprochen haben.

Dennoch: „Aufgeschoben ist nicht aufgehoben. Für einen Bahnbörsengang findet sich immer eine Mehrheit“, meint der FDP-Verkehrsexperte und Mehdorn-Kritiker Horst Friedrich leichthin. Aber auch Friedrich weiß: „Wie lange diese Krise dauert und wann ein besserer Zeitpunkt für diesen Börsengang ist, weiß niemand.

Nun stecken sie also in der Klemme, der Bahnchef und jene Politiker, die den Börsengang wollen. Denn das System Schiene ist teuer – unendlich teuer. Sieben Milliarden Euro gibt der Bund jährlich an die Länder, die damit die Bahnbetreiber, allen voran die DB AG, ihre Regionalzüge rollen lassen. 2,5 Milliarden Euro fließen in den Aus- und Neubau der Schienen. „Zusätzlich brauchen wir weiteres Geld für das Schienennetz, für den Ausbau der Knoten, für die Sanierung von Bahnhöfen und Lärmschutz. Wo soll das herkommen?“, fragt der SPD-Verkehrsexperte Beckmeyer.

Und der Finanzbedarf für den Schienenverkehr steigt mit jedem Jahr, denn der Verkehr auf den Trassen wird immer dichter – schon jetzt sind die Hauptstrecken des 34?000 Kilometer langen Netzes heillos überlastet, geht an der Rheinschiene oder bei den Hafenhinterlandverkehren nichts mehr. Die Prognosen des Bundesverkehrsministeriums sehen von 2004 bis 2015 einen Zunahme des Personenfernverkehrs um 38 Milliarden Personenkilometer (plus 17 Prozent) voraus und im Schienengüterverkehr um 152 Milliarden Tonnenkilometer (plus 65 Prozent).

Dafür und für Zukäufe im Ausland müsse die Bahn gerüstet sein – sagen die Befürworter des Mehdorn-Kurses, der die DB AG zudem weltweit größten Logistiker und Europas größtem Schienenkonzern schmieden will. Die große Frage lautet nun, woher dafür die Mittel kommen. Und da die Wahrscheinlichkeit groß ist, dass private Investoren ausscheiden, ist es nun Zeit für den „Plan B.“, von dem Finanzminister Steinbrück und die Bahngewerkschaften schon lange reden – auch wenn beide Seiten etwas ganz anderes darunter verstehen.

Steinbrück hat sich mit seiner Alternative – von der Verlegenheitslösung Verschiebung – noch nicht aus der Deckung gewagt. Die Bahngewerkschaft Transnet, die unter ihrem Chef und neuen Bahnpersonalvorstand Norbert Hansen immer ein Befürworter der globalen Logistikpläne Mehdorns war, hat hingegen schon lange ein Konzept für die Bahn der Zukunft ohne Investoren.

Frisches Kapital braucht der Konzern, darin sind sich alle einig, Transnet schlägt in einem Strategiepapier vom vergangenen November vor, zur Finanzierung der Bahn künftig vor allem die Einnahmen aus der Lkw-Maut zu nutzen. „Der derzeitige Anteil der Schiene an den Einnahmen der Maut muss deutlich erhöht werden. Außerdem muss sie erhöht und auf das gesamte Schienennetz ausgedehnt werden“, heiß es in dem Vorschlag. Auf eine Erhöhung der Lkw-Maut hatten sich die Verkehrsminister von Bund und Ländern bereits am Mittwoch verständigt. Kritiker des Bahnbörsengangs wie der SPD-Politiker Hermann Scheer halten einen Verkauf von Anteilen an Konzern ohnehin für einen Fehler.

Scheers Fazit nach einem Rechenmodell aller Möglichkeiten der Kapitalbeschaffung: „Die teuerste Form einer Finanzierung der Bahn ist die Ausgabe von Aktien. Denn da eine für Anleger renditeträchtigste Anlageform darstellt, muss sie für den, der die Papiere ausgibt zwangsläufig die teuerste Art und Weise der Kapitalgewinnung sein“, sagt der Politiker. „Anleihen wären ein viel günstigeres Instrument, der Bahn zu frischem Kapital zu verhelfen“, so Scheer.

Doch neue Schulden anhäufen ist genau das, was Unionspolitiker und Bahnchef Mehdorn auf keinen Fall wollen. „Wir brauchen kein Fremdkapital, sondern Investoren, die mit das Eigenkapital der Bahn stärken und den Konzern zugleich als institutionelle Anleger voranbringen“, sagt Hans-Peter Friedrich, Vizechef der Unionsfraktion im Bundestag. Und mit Mehdorn ist eine Neuverschuldung über Anleihen oder Kredite ohnehin nicht zu machen, denn was darüber reinkäme, reicht vielleicht für Investitionen in den deutschen Schienenverkehr, aber keinesfalls für seine weltweiten Logistikpläne.

Und die hat Mehdorn noch immer nicht aufgegeben. „Wenn sich die Verhältnisse an den Finanzmärkten gedreht hat, können wir sofort loslegen und an die Börse“, heißt es aus dem Bahnvorstand.