Jeder zwölfte kranke Arbeitnehmer hat Rückenprobleme. Das ergab im vergangenen Jahr 40 Millionen Fehltage. Viele Patienten werden falsch behandelt, kritisieren Experten im neuen TK-Gesundheitsreport.

Fast jeder zehnte Krankschreibungstag in Deutschland geht auf ein Rückenleiden zurück. Wie die Techniker Krankenkasse (TK) in ihrem am Dienstag in Berlin vorgelegten Gesundheitsreport berichtet, seien so im vergangenen Jahr 40 Millionen Fehltage aufgelaufen. „Jede 12. Person mit einer Krankheitsdiagnose hat ein Rückenleiden“, sagte Jens Baas, TK-Vorstandsvorsitzender. Heftige Muskelverspannungen, Bandscheibenvorfälle und andere Rückenprobleme machen einen großen Teil aller Krankheitsfälle aus, häufiger sind nur Atemwegserkrankungen. Und es dauert lange, die Kreuz- und Nackenprobleme auszukurieren: 17,5 Tage – fünf Tage länger als im Durchschnitt.

Die hohe Zahl der Fehltage ist umso erstaunlicher, als die Zahl der Beschäftigten in körperlich anstrengenden Berufen rückläufig ist. Die traditionellen „Knochenjobs“ machen weiterhin am ehesten rückenkrank. Besonders oft trifft es Berufe in der Ver- und Entsorgung, im Tiefbau und in der Kranken- und Altenpflege, außerdem Berufskraftfahrer.

Aber auch Arbeitslose. Was zeigt, dass eben nicht nur die körperliche Last rückenlahm macht, sondern auch psychische Probleme, Stress, zu wenig Bewegung und einseitige Belastungen. Auch der Schreibtisch macht rückenkrank, wenn der körperliche Ausgleich fehlt, sagte Baas.

Der Süden ist am gesündesten, der Osten am kränksten

Die Zahlen der TK belegen ein deutliches Süd-Nord- und ein West-Ost-Gefälle. Rückengesund ist vor allem der Süden: die Bayern, Baden-Württemberger und Sachsen, am häufigsten vom kranken Rücken betroffen die Menschen in Mecklenburg-Vorpommern und Brandenburg. Berlin liegt leicht über dem Bundesschnitt. Insbesondere unter den Frauen in Brandenburg sind viele rückenkrank. „Sie belegen bundesweit den Negativrekord“, sagt Heike Weinert von der TK-Niederlassung Berlin.

Wie die Unterschiede zustande kommen, gehe aus der Statistik nicht hervor, sagte Thomas Grobe, Chef des Instituts für angewandte Qualitätsförderung und Forschung im Gesundheitswesen (Aqua), das die Daten der TK ausgewertet hatte. Eine Rolle könnte spielen, dass im Süden der Bundesrepublik die Menschen seltener in körperlich belastenden Berufen arbeiten als anderswo. Außerdem zeigt die Statistik: Je jünger der Mensch und je höher der schulische Abschluss und die Ausbildung, desto rückengesünder ist der Mensch statistisch betrachtet.

Ein vernichtendes Urteil über die ärztliche Diagnose und Therapie von Rückenpatienten, vor allem von Bandscheibenpatienten, fällte anlässlich der Präsentation des Gesundheitsreports Thomas Nolte. „80 Prozent der Patienten werden nicht angemessen therapiert“, sagte der Arzt vom Schmerz- und Palliativzentrum Wiesbaden.

Viele Patienten geraten auf die falsche Therapiespur

Nolte kritisiert, dass viel zu früh und unnötig bildgebende Verfahren wie Röntgen, Computer- und Kernspintomografie eingesetzt würden. „Mehr als 90 Prozent der Patienten leiden unter muskulären Verspannungen, die Schmerzen verursachen. Die Verspannungen sieht man auf dem Röntgen-, CT- oder Kernspin-Bild aber gar nicht.“ Nur fünf bis zehn Prozent hätten etwas, das sichtbar gemacht werden kann, etwa einen Bandscheibenvorfall. Thomas Nolte: „Die Bildgebung ist für die Katz’ und führt die Patienten nur aufs falsche Gleis.“

Nämlich viel zu oft in den Operationssaal. Die Fachgesellschaften wissen eigentlich schon seit Langem, dass die allermeisten Patienten das Skalpell gar nicht brauchen. Operationen bringen keinen Vorteil, aber OP-Risiken. Bei 90 Prozent von jenen, die operiert werden, ist der Eingriff überflüssig. Vier bis sechs Wochen könnten sie konservativ behandelt werden, also mit Krankengymnastik, Physiotherapie und Schmerzmitteln zum Lösen von Verspannungen. Erst wenn das auch nach sechs Wochen keine Besserung gebracht hat, muss der Chirurg ran, sagt Schmerzspezialist Nolte.

Schmerzzentren bringen auch schwere Fälle in den Beruf zurück

Die TK hat das in einem Pilotprojekt überprüft. Ärzte beobachteten – zunächst – nicht operierte Rückenpatienten über ein Jahr hinweg. Nach dieser Frist zeigte sich, dass mehr als 90 Prozent von ihnen tatsächlich auch später keine chirurgische Intervention benötigten. „Nicht zu operieren, war die richtige Entscheidung“, sagte Nolte. Natürlich gebe es aber einige Fälle, denen Physio- und Schmerztherapie keine Linderung bringe. „Um die müssen wir uns dann intensiv kümmern“, so der hessische Schmerzexperte.

Solchen Patienten könne man innerhalb von drei bis acht Wochen auch in einem Schmerzzentrum Linderung oder Heilung bringen, wo sich Orthopäden, Schmerzexperten und Psychologen gemeinsam und in enger Abstimmung um alle Aspekte der Krankheit kümmern. „Nach drei Wochen können 40 Prozent von ihnen wieder in Alltag und Beruf zurückkehren, nach acht Wochen 84 Prozent.“ Sie seien dann schmerzfrei, oder ihre Schmerzen seien zumindest deutlich gelindert.

Generell war das vergangene Jahr, so der TK-Gesundheitsreport, ein schwieriges Jahr, sagt TK-Chef Baas. „2013 hatten wir den höchsten Krankenstand aller Zeiten.“ Schuld war eine außergewöhnliche Erkältungswelle im ersten Quartal. Demnach lag der Krankenstand übers Jahr gerechnet bei 4,02 Prozent, im Februar aber bei 6,5 Prozent. Im gesamten Vorjahr (2012) waren es 3,88 Prozent. Der Durchschnittsdeutsche war 14,7 Tage krank –, Frauen etwas mehr (16,3 Tage), Männer etwas weniger (13,2 Tage). Berliner waren mit 16,4 Tagen etwas länger krank als der Durchschnittsbundesbürger.

Erstmals keine Zunahme von psychischen Erkrankungen

Im Verlauf der TK-Gesundheitsreports seit dem Jahr 2000 waren die Arbeitsunfähigkeitstrage bis 2006 (11,4 Tage) leicht zurückgegangen, um dann wieder anzusteigen. Die TK stützt sich für den neuen Report auf die Daten ihrer 4,1 Millionen Versicherten – knapp ein Siebtel aller sozialversicherungspflichtig Beschäftigten in Deutschland. Die Krankenkasse geht davon aus, dass die Zahlen repräsentativ für Deutschland sind.

Als gutes Teilergebnis wertet TK-Chef Baas, dass „erstmals seit 2000 die Zahl der Fehltage durch psychische Erkrankungen nicht mehr gestiegen ist“. Die hohe Zahl dieser Krankschreibungen war immer wieder beklagt worden, weil Patienten mit solchen Diagnosen meist lange behandelt werden müssen und hohe volkswirtschaftliche Kosten verursachen. Ob jetzt die Trendumkehr da ist, das wollte Aqua-Chef Thomas Grobe nicht sagen. Das könnten erst die kommenden Jahre zeigen.