Übergewicht

Für viele Fettleibige kommt jede Hilfe zu spät

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Danielle Bengsch

Foto: picture-alliance/ dpa / pa

Übergewicht ist ein wahrer Killer: Eine Ursache, warum dicke Menschen krank werden, haben Forscher in den Fettzellen gefunden.

Wer übergewichtig ist, leidet nicht nur beim Blick auf die Waage. Das Dicksein selbst macht krank. Oft kommen noch Bluthochdruck, Diabetes Typ2 und Stoffwechselstörungen dazu. Dann sprechen Mediziner vom metabolischen Syndrom – dem größten Risikofaktor für Herz-Kreislauf Erkrankungen, die die häufigste Todesursache hierzulande sind.

"Die gute Nachricht ist, dass sich die meisten dieser Symptome grundsätzlich wieder rückgängig machen lassen", sagt Matthias Blüher, Professor für Endokrinologie an der Universität Leipzig. Kalorienarme Ernährung und viel Bewegung helfen dabei.

Die schlechte Nachricht aber ist, dass diese Hilfe für so manchen zu spät kommt. Nach Angaben der Deutschen Gesellschaft für Ernährung sind Krankheiten, die von der Ernährung beeinflusst werden, insgesamt für 68 Prozent der Todesfälle verantwortlich. Doch mit welchen Waffen die überflüssigen Kilos töten, verstehen Forscher nun besser.

Ein Faktor ist das Fett, das Menschen zulegen, die durch Nahrung mehr Energie aufnehmen, als sie verbrennen. Je nach Typ wachsen dann an Bauch, Hüfte, oder Po die Fettpolster. Besonders gesundheitsschädlich ist das Bauchfett, auch viscerales Fett genannt. Denn der Stoffwechsel von Menschen mit einem dicken Bauch, hört nie auf zu essen.

Während bei schlanken Menschen nur nach der Nahrungsaufnahme viele Nährstoffe im Blut vorhanden sind, herrscht bei Menschen mit viel Fett am Bauch ein ständiges Überangebot. Die Folge ist eine Fettstoffwechselstörung.

Von innen sehen diese Fettpolster aus wie Bienenwaben: Kleine Abteile werden von dünnen Trennwänden, den Membranen, abgeteilt. Diese Membranen bestehen hauptsächlich aus Proteinen und Fetten, auch Membranlipide genannt. Sie haben einen wasserliebenden Grundkörper an den Außenseiten und einen Innenteil aus gesättigten und ungesättigten Fettsäuren.

Je höher der Anteil an ungesättigten und mehrfach ungesättigten Fettsäuren ist, desto durchlässiger ist die Membran. Bei diesen Fettsäuren unterscheidet man zwischen Omega-3-Fettsäuren, die unter anderem in Fischöl enthalten sind und Omega-6-Fettsäuren aus Fleisch und tierischen Fetten.

Wenn der Mensch an Gewicht zulegt, bleibt die Anzahl der Fettzellen gleich, sie werden nur immer größer. Dabei sind die Zellen wie Speicher für schlechte Zeiten. Bei einem Überangebot werden sie aufgefüllt. Irgendwann sind sie jedoch so groß, dass sie nicht weiter wachsen können. Die Membranen sind an ihre maximale Grenze angelangt. Dann wird überschüssiges Fett in Muskeln, der Leber und der Bauchspeicheldrüse eingelagert und es kommt zum metabolischen Syndrom.

Dabei reagiert die Muskulatur immer weniger auf Insulin. Das Hormon schleust normalerweise den Energielieferanten Glukose in die Muskelzelle. Jetzt muss immer mehr Insulin produziert werden, um die Muskulatur zu versorgen. Wenn die Bauchspeicheldrüse nicht mehr genug Insulin liefern kann, kommt es zum Diabetes Typ 2. Blutzucker und Blutdruck steigen an. Das tödliche Quartett ist komplett.

Das alles passiert, weil die Fettzellen eine Wachstumsschwelle erreicht haben – sie können nicht mehr größer werden. Wie es zu dazu kommt hat nun ein Team internationaler Forscher herausgefunden. Sie untersuchten 21 eineiige Zwillingspaare aus Finnland, von denen jeweils ein Zwilling übergewichtig war.

Da die Zwillinge dieselben Gene haben, konnten die Forscher Einflüsse der Erbanlagen ausschließen. Die übergewichtigen Zwillinge waren durch eigenes Handeln dick geworden, litten aber noch nicht am metabolischen Syndrom.

Die Forscher verglichen die Membranen der Fettzellen der Zwillingspaare. "Wir halten es für wahrscheinlich, dass der Schwellenwert der Zellen genetisch festgelegt ist", sagt Matej Orešiš vom VTT Technical Research Centre of Finland. Das wäre eine Erklärung dafür, dass manche übergewichtige Menschen krank werden und andere nicht.

Zwischen den schlanken und den dicken Zwillingen gibt es einen Unterschied: In den Membranen der Übergewichtigen war das Verhältnis von Omega-3- zu Omega-6-Fettsäuren verschoben. Die Membranen waren unterschiedlich aufgebaut, funktionierten allerdings gleich gut.

"Wir glauben, dass es sich um einen Bewältigungsmechanismus handelt", sagt Orešiš. Doch dieser hat seinen Preis. "Es entstehen vermehrt Entzündungen im Fettgewebe", sagt Orešiš.

Das liege daran, dass in den Membranen der übergewichtigen Zwillinge mehr Omega-6-Fettsäuren vorliegen. Diese Fettsäuren sind Vorstufen von Botenstoffen, die entzündlich auf den Körper wirken. Der Körper meint sich wehren zu müssen und setzt das Immunsystem in Gang. Doch dieses kann den Entzündungsherd, das Fettgewebe selbst, nicht ausschalten.

Die Entzündung wird chronisch "und damit zum eigentlichen Problem", sagt Blüher. Denn stark übergewichtige Menschen haben besonders viel Fett, auf das sich die Entzündung ausbreiten kann. Auch auf andere Organe kann die Entzündung übergreifen.

Um diesen Prozess zu stoppen, müsste die gesunde Membranstruktur der Fettzellen auch bei fettleibigen Menschen aufrecht erhalten werden. Genau das könnte Orešiš und seinen Kollegen gelingen. Sie identifizierten ein Gen, das die Umformung der Membran bewirken kann.

"Die große Nachricht ist, dass wir den Prozess manipulieren können", sagt Orešiš. Das könne Wege für eine Therapie gegen die chronische Entzündung und damit den Hauptauslöser des metabolischen Syndroms eröffnen.