Heuschnupfen

Die Pollen explodieren

| Lesedauer: 7 Minuten
Wolfgang W. Merkel

Foto: dpa Picture-Alliance / WILDLIFE/D.Harms / picture alliance / WILDLIFE

Hilfe für Allergiker, der Pollenkalender zum Herunterladen.

Für die kommenden Tage wird in Deutschland und auch in Berlin eine heftige Explosion erwartet. Die Warnung kommt nicht aus Sicherheitskreisen, sondern von Biologen. Die Temperaturen steigen, am Mittwoch sollen es neun Grad werden, am Sonntag dann 16 Grad.

Doch so sehr alle die Wärme herbeisehnen, fürchten sich einige auch ein wenig davor: Pollenallergiker. Weil die Temperaturen nach langer Kälte steigen, ist eine Explosion der Baumblüten-Pollen zu erwarten.

Erle, Pappel, Birke und Weide haben gewissermaßen schon lange auf den Frühling gewartet und werden nun auf einen Schlag zu blühen beginnen. Die Blüte wird kräftig, die Pollenemission verdichtet sein.

Statt eines sachten Beginns wie in normalen Jahren dürfte die Pollendichte sofort hoch sein. Die Nasen der Heuschnupfenpatienten werden also laufen, die Augen tränen.

Rund drei Wochen Verzögerung hat die Vegetation gegenüber einem Durchschnittsjahr, im Westen des Landes tendenziell etwas weniger, sagt der Phänologe Ekko Bruns vom Deutschen Wetterdienst in Offenbach. Die Phänologie ist die Lehre von den jahreszeitlichen Entwicklungen der Natur. Diese sind, neben den Temperaturen, ein Indikator für das Voranschreiten der Jahreszeiten.

Hier können Sie den Pollenkalender herunterladen

Eine Rolle beim Aufleben der Vegetation spielen die steigenden Tagestemperaturen, die selten werdenden Nachtfröste und die längeren Tage. „Die Entwicklung ist verspätet, umso vehementer geht es los, wenn die Temperaturen auf wirklich frühlingshafte Temperaturen steigen. Zusammen mit der schon hoch stehenden Sonne, die die Knospen und Zweige wärmt, könnte uns eine rasante Entwicklung bevorstehen“, sagt Ekko Bruns.

Die meisten Apotheken sind darauf eingestellt, dass sich Allergiemittel gut verkaufen werden. Was nicht verfügbar ist, liefert der Großhandel in einigen Stunden. „Aus den Analysen früherer Jahre wissen wir recht genau, welche Medikamentengruppen in welcher Jahreszeit wie stark nachgefragt werden. Allergiepräparate bevorraten wir als Saisonartikel ab Februar. Die Lager sind da jetzt voll“, sagt Thomas Graf vom Pharmagroßhändler Alliance Healthcare Deutschland in Frankfurt am Main.

Fast jeder zweite Erwachsene in Deutschland hat eine Allergie

Knapp jeder dritte erwachsene Bundesbürger ist gegen die eine oder andere Pollenart sensibilisiert und jedes fünfte Kind. Insgesamt 40 bis 50 Prozent der erwachsenen Deutschen haben eine Allergie und 33 Prozent der Kinder. Die Leiden haben in den vergangenen Jahrzehnten massiv zugenommen, warum ist nicht gänzlich erforscht. Eine verbreitete Theorie geht davon aus, dass es heute einfach zu sauber zugeht: Das Immunsystem des Kleinkindes, das lernt, sich zu wehren, ist unterbeschäftigt und sucht an sich harmlose Pollen oder Nahrungsinhaltsstoffe als Scheingegner.

„Es ist offenbar so, dass der Körper zwischen der Geburt und dem zweiten Lebensjahr den Kontakt zu Eiweißen von Bakterien benötigt. So stimmt sich die Immunabwehr ein“, sagt Professor Karl-Christian Bergmann, der an der Hautklinik der Berliner Charité die allergologisch-pneumologische Ambulanz leitet.

Kinder, die auf dem Land aufwachsen, im Kuhstall herumstreunen und ungekochte Milch trinken, sind demnach besser vor Allergien geschützt. Auch Kontakte zu Katzen und Hunden helfen, außerdem (viele) Geschwister und generell viele Kontakte und Infekte im Kindesalter, sagt der Allergologe. „Wo es sehr sauber zugeht, etwa bei Einzelkindern von wohlhabenden Akademikern in der Stadt, ist das Allergierisiko größer. Auf dem Land und da, wo nicht so viel Geld vorhanden ist, ist das Risiko geringer.“

In der DDR gab es weit weniger Allergiefälle

Noch ein Argument spricht für diese These. In der DDR gab es weit weniger Allergiefälle als in der Bundesrepublik. Praktisch jedes Kleinkind war in der Kinderkrippe mit den Erregern der anderen Kinder konfrontiert. Das Fazit: Eltern, die mit dem Desinfektionsspray durch das Haus gehen, meinen es gut, tun ihren Kindern aber nichts Gutes.

Das generelle Manko, das Bergmann beklagt: „Die Mehrzahl der Allergiepatienten wird nicht wirklich angemessen behandelt. Sie werden zu selten richtig diagnostiziert und bekommen nicht immer eine Immuntherapie. Das kann zur Folge haben, dass sich aus dem Heuschnupfen ein allergisches Asthma entwickelt. Damit sind die Patienten viel schlechter gestellt, und die Behandlung ist auch viel teurer.“

Spezifische Immuntherapie hilft vier von fünf Patienten

Dabei sind Diagnose und Therapie gerade bei „Inhalationsallergien“, also Allergien durch eingeatmete Allergie-Auslöser, einfach und wirkungsvoll. Ein Gespräch mit dem Arzt über Art und Zeitpunkt der Symptome wird ergänzt durch einen Provokationstest („Pricktest“), bei dem winzige Mengen Allergene unter die Haut geritzt werden. Quaddeln an den betreffenden Stellen zeigen die Sensibilisierung auf bestimmte Stoffe. In Zweifelsfällen hilft noch eine Analyse der Immunglobuline E (IgE). Diese Antikörper sind die „Feindbeobachter“ des Immunsystems für Allergene.

Ist eine Pollenallergie bestätigt, gibt es die Möglichkeit einer Therapie, die nicht nur an den Symptomen herumdoktert. Die spezifische Immuntherapie hilft vier von fünf Patienten, die Symptome deutlich zu mindern oder ganz zu verlieren. Zwei Varianten gibt es, sagt Karl-Christian Bergmann: „Mit gelegentlichen Allergen-Injektionen unter die Haut beim Arzt, das ist die subkutane Immuntherapie (SCIT); oder zu Hause über die regelmäßige Einnahme von Tropfen oder Tabletten unter die Zunge, die sublinguale Immuntherapie (SLIT). Bei der SLIT, die sich zum Beispiel für Kinder eignet, die sich vor der Spritze fürchten, muss man nur alle drei Monate einmal zum Arzt. Von der Wirkung sind beide Varianten fast gleich und sehr gut.“

Pollentagebuch gibt Hinweise

Erste schon recht genaue Anhaltspunkte, gegen welche Art von Pollen jemand allergisch reagiert, bietet die Internetseite www.pollenstiftung.de. Dort können hinter dem Menüpunkt „Pollentagebuch“ tageweise Art und Zeitpunkt der Beschwerden und der Wohnort eingegeben werden. „Über eine Auswertung kann man dann selbst herausbekommen, gegen welche Pollen man in welcher Stärke sensibilisiert ist. “ Eine Pollen-App, die die Eingaben in das Pollen-Tagebuch erleichtert, soll demnächst folgen.

Sind die allergischen Symptome nun mal da, kann der Betroffene einiges zur Linderung tun: durch vielerlei Vorsichtsmaßnahmen im Alltag und mit Medikamenten. Die erste Maßnahme – die schwerfällt: In der Zeit starker Pollenbelastung in Innenräumen bleiben.

Noch Rätsel gibt Forschern ein Phänomen auf, das relativ neu und vor allem in den Städten anzutreffen ist: „Wir finden neuerdings auch Menschen, die erst mit 60 oder 70 Jahren das erste Mal Heuschnupfen bekommen. Wir wissen noch nicht, warum das so ist. Möglicherweise hat es etwas mit dem Zusammentreffen von Pollen und Feinstäuben zu tun.“

Aber auch auswachsen kann sich der Heuschnupfen. Er verschwindet dann einfach mit der Zeit. Von Anfang an darauf bauen sollte man allerdings nicht, die Immuntherapie ist immer ratsam. Sonst droht der „Etagenwechsel“ vom allergischen Schnupfen an Nase und Augen zum allergischen Asthma in den tiefen Atemwegen. Und Asthma wächst sich nicht mehr aus.