Viele Zugvögel waren schon da, jetzt bremst die Kälte in Deutschland sie aus. Große Schwärme von Kiebitzen, Kranichen und Goldregenpfeifern seien auf ihrem Weg in die Brutgebiete umgekehrt, sagt Matthias Werner von der Staatlichen Vogelschutzwarte in Frankfurt. Über Hessen seien in den vergangenen Tagen viele in Richtung Südwesten unterwegs gewesen. „Sie waren schon weit im Norden, aber wegen des vielen Schnees finden sie dort nichts zu fressen.“ In solchen Fällen komme es zum „Zugstau“ – „die Vögel weichen dann zurück, das gibt es immer wieder mal.“
Die Vögel fliehen vor der klirrenden Kälte, die von Nord nach Süd über Deutschland gezogen ist. In Hessen, wo es am Dienstag heftige Schneefälle gab, legten viele eine Rast ein und suchten nach Lücken in der weißen Decke. „Einige hundert Goldregenpfeifer pausieren derzeit in Nordhessen“, sagt Werner. Kraniche seien auf Feldern in der Wetterau nördlich von Frankfurt beobachtet worden.
Bei der Nahrungssuche sind sie nicht wählerisch. Kartoffel-, Mais- und Rübenreste auf den Feldern genügen ihnen. „Es sind robuste Vögel, die vertragen einiges“, so Werner. Als am Dienstag auch in Hessen viel Schnee fiel und die Temperaturen in den Keller gingen, zogen sich manche Vögel noch weiter zurück. Sie warten auf besseres Wetter.
Wetterbedingter Zwischenstopp
Auch die Zugvögel in Berlin und Brandenburg legen derzeit einen wetterbedingten Zwischenstopp ein. „Regionales Ausweichen ist durchaus normal bei diesen Temperaturen“, sagt Anja Sorges vom Naturschutzbund Deutschland (Nabu). Die Tiere suchten sich Rastplätze, wo die Schneedecke nicht so dick sei, damit sie noch ausreichend Nahrung finden.
Dabei hatte der Vogelzug in diesem Jahr ungewöhnlich früh begonnen. Schon im Januar, als in Deutschland sehr mildes Wetter herrschte, waren die ersten Kraniche auf dem Weg nach Norden zu sehen. In Hamburg wurde bereits Ende Februar der erste Weißstorch gesichtet – auch im Oderbruch und in der Prignitz gibt es schon einige zeitige Rückkehrer. In Südeuropa herrsche jetzt „Zugunruhe“, erklärt Matthias Werner von der Staatlichen Vogelschutzwarte.
Die Tiere seien bestrebt, möglichst früh in den Brutgebieten in Nordeuropa zu sein, damit sie sich die besten Plätze aussuchen können – „wer zuerst kommt, mahlt zuerst.“ Zwar habe Deutschland drei kalte Winter erlebt, aber davor hatte es etliche milde Winter geben. Einige Vögel, die sonst den Winter am Mittelmeer verbringen, hätten sogar in Deutschland überwintert.
Weniger Balz seit Kälteeinbruch
Generell scheinen Störche der Kälte besser trotzen zu können, sie sind nicht umgekehrt: „Alle Nester rund um Groß-Gerau in Südhessen sind besetzt, und sie klappern pausenlos“, sagt Werner. Sie balzten zwar seit dem Rückkehr der Kälte weniger, aber sie wichen nicht zurück, sondern blieben auf den Nestern. Das liegt aber auch an der günstigen geografischen Lage. Zugvögel, die weiter nördlich brüten, brauchen für ihre Route mehr Kraft und Zeit.
In der Storchenschmiede im Brandenburgischen Linum sind die Horste derzeit deswegen noch leer. Hier sind die Temperaturen zum Teil noch knackiger als im Süden Deutschlands. Anja Sorges erwartet die Weißstörche deswegen nicht vor Ende März zurück.
Immerhin haben die Vögel eine anständige Reiseroute zurückzulegen: Die Störche überwintern in zwei unterschiedlichen Regionen. Sogenannte Ostzieher fliegen zum Balkan, nach Israel oder entlang des Nils bis nach Südafrika. Westzieher dagegen bevorzugen Winterquartiere in Frankreich, Spanien und Westafrika. So kann der Rückflug nach Deutschland von Südafrika acht bis 15 Wochen dauern — für die Zugvögel erhebliche Strapazen.
Im Storchendorf Linum wird denn auch am kommenden Wochenende alles für die Rückkehr der Langstreckenflieger vorbereitet. Zehn Storchenpaare brüteten im vergangenen Jahr in den Anlagen des Nabu. Auch in diesem Jahr hoffen die Naturschützer wieder auf knapp 20 Störche. Die unterschiedlich langen Zugwege, die Kondition der einzelnen Störche und unterschiedliche Wetterbedingungen auf den jeweiligen Zugetappen und auch in den Winterquartieren lassen die Ankunftszeiten der Tiere teilweise stark variieren.
Frühe Rückkehr, bester Brutplatz
Doch auch in Linum haben die frühen Rückkehrer die größten Chancen im Kampf um ein Weibchen und den besten Nistplatz. Wobei letzteres zuerst kommt: Meist besetzten die Männchen erst den Horst ihrer Wahl und verteidigen ihn konsequent gegen mögliche Rivalen. Danach ist die Partnerwahl dran. Dabei spielt es keine Rolle, ob es das Weibchen aus dem Vorjahr ist oder nicht. Denn wenn die Nachkommen im Frühherbst des Vorjahres flügge geworden sind, ist die „Saisonehe“ der Storcheltern vorbei und jeder geht seiner Wege. Eine lebenslange Partnertreue gibt es nicht.
Die Bruterfolge in Regionen wie Linum reichen jedoch noch immer nicht aus, um die Bestände der großen Vögel nachhaltig zu sichern. Konnte man 1934 auf dem Gebiet der heutigen Bundesrepublik Deutschland rund 9000 Weißstorchenpaare zählen, waren es bei der Bestandserhebung 1988 gerade 2949 Brutpaare.
Seitdem hat sich der Storchenbestand im Lande zwar wieder erholt, doch die intensive Landwirtschaft bedroht die Lebensgebiete der großen Vögel nachhaltig. Statt feuchtem Grünland finden die Zugvögel vermehrt Mais- oder Weizenfelder vor, in denen sich kaum noch Mäuse geschweige denn andere von den Weißstorchen bevorzugte Futtertiere wie Eidechsen und Frösche finden lassen. Immerhin: Dank der hiesigen Bemühungen brüteten 2012 schon wieder 5000 Paare. Tendenz steigend.