Das System ist einfach: ein dumpfer Bass wiederholt sich so schnell, wie ein Herz besser nicht schlägt, ein zweiter, etwas heller klingender Takt, wird daneben gesetzt und zuckelt eine weitere akustische Ebene dazu. Die Stampfphase. Dann wird eine kurze Sequenz des Stückes herausgelöst und, immer schneller werdend, hintereinander abgespielt, bis nur noch ein spitzes Kreischen zu hören ist. Die Schreiphase. Nun wird – wahlweise mit einer Sekunde Stille davor – der Bass wieder reingeklotzt. Das ist der Moment. Der Moment, in der die Masse ganz genau weiß was zu tun ist: Hände hoch strecken, schreien, tanzen. Mehr Konditionierung geht nicht.
Es ist früher Samstagabend, als auf dem Rave, der im stillgelegten Berliner Flughafen Tempelhof stattfindet, eine Schweigeminute für die Opfer in Duisburg abgehalten wird. Vermutlich waren einige dort. Zumindest DJ David Guetta, der seinen Gig dort nicht absagte.
Eine Frau auf der Bühne hält eine Ansprache, von der aber, als die Schallwellen am Rande des Hangars ankommen, nichts mehr zu verstehen ist. Seit der Katastrophe auf der Love Parade hat sich einiges geändert. Sicherheitsansprüche wurden schnell erhöht, mehr Feuerwehr, mehr Polizei, Journalisten fragen bei den Veranstaltern die Zahl der Notausgänge ab, viele reden wieder über Techno, verheddern sich in einer Kulturbetrachtung und die Fans tanzen weiter. Warum auch nicht.
So funktioniert ein Rave-Event
Wer verstehen will, wie diese Rave-Events funktionieren, dem sei vielleicht am ehesten das Prinzip Schlager als Vergleich nahe gelegt. Eingängige, einfache Musik mit wenig anspruchsvollen Texten. Finanziell perfekt verwertbare Großveranstaltungen mit Glücklichkeitspflicht. Ein Festival der guten Laune, nur wird hier gestampft und nicht geschunkelt. Keine Spur von Avantgarde, Trends werden aufgetragen, wie der Pulli von der großen Schwester. Menschen, die in Kameras winken, noch etwas errötet vom Besuch im Solarium des Tages, auf ihren T-Shirts steht „Berlin Nicole“, „I hate NY“ oder gern auch „Thor Steinar“. Ansonsten trägt man ein penibles und reines Weiß.
Der Hansi Hinterseer des Technos, wenn man so will, heißt Tiësto. Über den niederländischen DJ und Produzenten wird gesagt, er sei der meist verdienende DJ der Welt. Gagen von 10.000 Euro seien eher Freundschaftspreise. Seine Königin hob ihn in den Rang eines Ritters und diverse Fachkreise wählten ihn mehrmals zum besten DJ der Welt. Es heißt, er spiele so lange wie er wolle, zudem nur auf einer ganz bestimmten Anlage, die am Tag vor dem Auftritt von extra eingeflogenen Mitarbeitern kontrolliert wird. Auf dem Tempelhofer Feld kann man sich neben einem Papp-Tiësto fotografieren lassen, dazu gibt es selbstklebende Mini-Mikrofasertücher, für die Display-Reinigung. Die Fans sind begeistert.
Angeblich seien 10.000 Tickets für diesen Tag verkauft worden, die meisten davon wurden im Ausland abgesetzt. Wahrscheinlich ist es eher die Hälfte. Der riesige Hangar ist nicht ganz gefüllt, der zweite ist fast leer. Über 60 Euro hat eine Eintrittskarte gekostet, Flug oder Zug, Hotel und Vodka-Energy kommen dazu. Manche Besucher sind mit ihren Eltern gekommen, andere mit den Bürokollegen, man verbringt die Zeit vor allem damit sich zu fotografieren und zu filmen. In den Gesichtern die Erwartung auf die große Party, wer sie nicht bekommt, ist frustriert.
Die Anforderung des Rave-Geschäfts
Am Eingang hat sich ein kleiner, aber breitschultriger Mann vor den Mitarbeitern der Security Firma aufgebaut. Er redet immer schneller, fängt an zu Schreien, schlägt gegen eine Metalltür, die Securitys werden nervös. Der Mann hatte sich im Internet für über 100 Euro eine VIP-Karte gekauft, damit darf er in einen abgesperrten Bereich, eine 60 Zentimeter hohe Tribüne, auf der Damen im Ibiza-Chic um kleine weiße Couchtische tanzen. Außerdem war ihm ein Freigetränk versprochen worden, aber das kriegt er jetzt nicht, denn die Mitarbeiter wollen davon plötzlich nichts wissen. Das mache ihn aggressiv, schreit er. Die Veranstalter, eine Gruppe jüngerer israelischer Geschäftsleute, seien neu in dem Rave-Geschäft und deswegen überfordert, ist des Öfteren zu hören.
Im Hangar geht der moderne Schlager weiter: Ein gewisser Ben Ivory singt zum frech geklauten Billy-Jean-Beat: „We want to hide from the world“. Der nächste DJ arbeitet sich wieder am Prinzip Bass-Kreischen-Bass ab und variiert das ganze noch mit Dream-Pop Synthesizer Klängen, die das Bassgehämmer unterbrechen. Noch ein wenig U2 oder Depeche Mode einmischen und die Leute sind hochzufrieden. Dann ist plötzlich die Musik aus, der DJ macht Gesten wie ein Fußballer, der vorgibt nicht gefoult zu haben, Pfeifen, und schon geht der Basszug weiter.
Durchfeiern bis zehn Uhr früh
Um kurz nach Eins verlangsamt sich der Beat, das Licht wird gedimmt, die beeindruckend vielen Kameras leuchten, die Masse singt den Basslauf eines White-Stripes-Stückes, wie er auch in Fußballstadien gerne gesungen wird. „Are You Ready Berlin?“ blinkt auf der riesigen LED Wand hinterm DJ Pult, dann: „David Guetta“. Lautes Jubeln, noch mehr Kameras und endlich: Bass. David Guetta ist der zweite Headliner heute Abend. Der Pariser House-DJ spielt in etwa derselben Liga wie Tiësto, allerdings öffnet er sich anderen Genres, arbeitet mit R'n'B Sängerinnen wie Kelly Rowland zusammen und wird im Radio gespielt. Guetta steht im bläulichen Lichtkegel, spielt die Hits seiner Alben, singt „Getting Over You“ und „Sexy Bitch“ mit.
Er springt vor der grell leuchtenden LED Wand, hebt die Hände in Rockstar-Gesten und fragt die Leute, ob sie sich sexy fühlten. Jetzt geht es los, die Halle ist voller, Polizisten patrouillieren über die Landebahn. Bis um zehn Uhr morgen früh soll es gehen, und das ist wohl der Unterschied zum Schlagerfest, da ist ja der Spaß nach der Aufzeichnung für das Fernsehen meist vorbei.