Late Night

Illners Suche nach der Schuld an der Todesparade

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Adrian Pickshaus

Maybrit Illner wollte das Duisburger Desaster aufarbeiten. Für ihre Gäste war klar: Bei der Loveparade waren hauptsächlich Amateure am Werk.

Rainer Wendt ist richtig sauer. Der Chef der Polizeigewerkschaft, gebürtiger Duisburger, hat den Kopf schief gelegt. Seine Augen funkeln durch die Brillengläser. Dann bellt er in die Talkrunde bei Maybrit Illner: „21 Menschen sind gestorben. Wo kommen wir denn hin in diesem Land, wenn das nicht ausreicht, damit jemand politische Verantwortung übernimmt?“

Wendt zielt damit auf den Duisburger Oberbürgermeister Adolf Sauerland (CDU), der sich bisher jeglichen Rücktrittsforderungen nach dem Loveparade-Desaster vom 24. Juli verweigert. Doch Sauerland ist leider nicht anwesend. Auch der Veranstalter des Techno-Events, der Unternehmer Rainer Schaller, hat sich nicht ins ZDF-Hauptstadtstudio getraut. Dafür sind fünf Diskutanten gekommen, die in erster Linie über die beiden richten wollen.

„Tanz in den Tod: Warum wurde die Loveparade zur Katastrophe?“ Unter dem reißerischen Titel soll das Drama des vergangenen Wochenendes in Worte gefasst werden. Wie groß war der Druck auf die Verantwortlichen in Duisburg? Welche Fehler führten zu der Katastrophe? Wer hat wann, wo, wie versagt? Spannende Fragen, die Illner mit ihren Gästen diskutieren und beantworten will. Doch vieles bleibt im Vagen, im Ungefähren. Vielleicht, weil die Staatsanwaltschaft noch am Anfang ihrer Ermittlungen steht. Wohl aber auch, weil sich Veranstalter und Oberbürgermeister nicht in die Runde der Talkmasterin setzen wollten.

Dafür sind andere gekommen. Fritz Pleitgen etwa, der ehemalige ARD-Vorsitzende, der sich jetzt als Geschäftsführer der „Ruhr.2010“ um eine Image-Politur des ehemaligen Kohlenpotts bemüht. Und der die Loveparade unbedingt im Revier haben wollte, „um auch die jungen Menschen anzusprechen.“

Jetzt verspürt er so etwas wie moralische Verantwortung, er gibt das offen zu. Eindringlich schildert er seine Erlebnisse am Katastrophentag. Pleitgen erzählt, wie er nach den ersten Tickermeldungen nach Duisburg fährt. Und dort sein junger Fahrer verzweifelt seine zwei Brüder sucht, die er in der Menschenmenge vermutet. Pleitgen wirkt immer noch schockiert von den Ereignissen. Vielleicht auch deshalb möchte er die Schuldfrage nicht eindeutig beantworten.

Dagegen macht Polizeigewerkschaftler Rainer Wendt klare Ansagen: Schuld seien alleine die Stadt Duisburg und der Veranstalter. Die Polizei nimmt er ausdrücklich in Schutz. Er geht sogar noch weiter: „Ohne den Einsatz der Polizei hätte es noch mehr Opfer gegeben. Die Polizei hat da eine sehr gute Arbeit gemacht.“ Er bekommt viel Applaus für diese Sätze. Wendt betont mehrfach, im Vorfeld der Loveparade – auch in Zeitungsinterviews – auf gravierende Sicherheitsmängel im Veranstaltungskonzept hingewiesen zu haben. Das sei von der Stadt ignoriert worden, deshalb müsse nun „die Rolle der Duisburger Spitzenbeamten ganz genau untersucht werden“. Schließlich bekämen diese ja auch saftige Gehälter. Er selbst bekommt wieder Applaus vom Studiopublikum.

Auch der CDU-Politiker Wolfgang Bosbach haut in die gleiche Kerbe. „Veranstaltungen dieser Größe sind fester Bestandteil unseres kulturellen Lebens. Aber doch nicht unter diesen Bedingungen!“ Das Veranstaltungsgelände sei zu eng, dazu noch umzäunt gewesen. Die Kooperation zwischen Veranstalter, genehmigenden Behörden, Polizei und Feuerwehr habe nicht funktioniert. Eine Massenveranstaltung bedürfe langer Planung, aber in Duisburg sei „das in den letzten Tagen alles hopplahopp“ verlaufen. Wie Wendt fordert Bosbach seinen Parteikollegen Sauerland zum Rücktritt auf – allerdings indirekt. Bosbach wünscht, dass der Oberbürgermeister „von selbst zu der richtigen Entscheidung kommt“.

Als der Sicherheitspolitiker dann noch eine neue Landesbehörde ins Spiel bringt, die künftig Großveranstaltungen genehmigen könnte, wird es Paul van Dyk zuviel der Bürokratie. Der Techno-DJ, der nahezu jedes Wochenende um die Welt jettet und auf Groß-Raves auflegt, nennt die Forderung „absurd“. Er benutzt das Wort oft an diesem Abend. Ihn wurmt es besonders, dass jemand wie Rainer Schaller überhaupt die Loveparade veranstalten durfte. Schließlich sei der Mann in erster Linie Inhaber einer Fitnesskette. Mangels Erfahrung habe er grobe Fehler begangen: „Es geht hier doch um simple Punkte“, stellt der smarte DJ fest, „Eingang und Ausgang müssen auf solchen Veranstaltungsgeländen an verschiedenen Stellen sein. Das ist einfach nicht gemacht worden.“

Die Situation im Duisburger Todestunnel schildert der Techno-Fan Manuel Lippka. Der 30-jährige Familienvater hat erst gar nicht begriffen, in welcher Gefahr er sich befand. „Die Menschen um mich herum sahen verschwitzt und fertig aus, aber das kennt man ja von vielen Großveranstaltungen.“ Der Schrecken sei erst im Nachhinein gekommen. Dass 21 Menschen gestorben sind, könne er immer noch nicht fassen. Auch Lippka fragt sich, wie für ein derart kleines Gelände solch eine Massenveranstaltung genehmigt werden konnte. Zudem ist Lippka traurig: Weil es die Veranstaltung nicht mehr geben wird, die er seit zwölf Jahren besucht hat. Und die ihm sehr ans Herz gewachsen sei.

Der Erkenntnisgewinn hält sich nach Illners Talkstunde in Grenzen. Die Politik denkt über Schuldfragen und künftige Konzepte nach. Die Technogemeinde betrauert die Toten – und das Ende einer Ära, die einmal unter dem saloppen Motto von „Friede, Freude, Eierkuchen“ lief. Das Ereignis bleibt grauenhaft, die genauen Abläufe sind weiterhin nur schwer zu erfassen. Viele Zahnräder sollten in Duisburg ineinander greifen – welche versagt haben wird die Staatsanwaltschaft hoffentlich bald klären. Maybrit Illner konnte ihren Gästen nur eine Plattform bieten, auf der sie ihrer Wut, ihrer Trauer und ihren Schuldentwürfen Ausdruck verleihen konnten. Aber vielleicht ist das auch das Beste, was die Sendung erreichen konnte.