Leipzig. Niko Gießelmann stand in den Katakomben des Leipziger Stadions und sollte Rede und Antwort stehen, wie es mit Union Berlin in den kommenden Wochen weitergeht „Wenn wir alle Spiele gewinnen, dann werden wir deutscher Meister“, sagte der Linksverteidiger des Berliner Fußball-Bundesligisten, fügte jedoch im gleichen Atemzug ein kräftiges Aber hinzu: „Da gibt es schon noch andere Mannschaften, die eher Anspruch darauf anmelden dürfen.“
Dennoch ist nach dem 2:1 (0:1) der Köpenicker bei RB Leipzig festzuhalten: Union redet nach 20 Spieltagen in jedem Fall im Kampf um die Champions-League-Plätze ein gehöriges Wörtchen mit. Durch den fünften Liga-Sieg in Folge bleibt Union Tabellenzweiter, einen Punkt hinter Spitzenreiter Bayern München. Der Vorsprung auf den ersten Nicht-Champions-League-Platz beträgt fünf Punkte, auf den ersten Nicht-Europacup-Platz ist das Polster schon zwölf Zähler groß.
„Der Wahnsinn geht weiter“, sagte Union-Trainer Urs Fischer. Union Berlin ein Meisterschaftskandidat? „Aufgrund der Tabelle schon, aber wir wissen auch, dass wir noch ein junger Bundesligist sind. Wenn es um Mentalität und Teamgeist geht, können wir mithalten. Aber wenn es um fußballerische Dinge geht, haben wir schon noch Luft nach oben. Es sieht gut aus, aber es ist eine Momentaufnahme.“
Union Berlin verschafft sich Respekt
Respekt war das Schlüsselwort in den ersten Minuten. Und da sind die Momente vor dem Anpfiff zwingend hinzuzuzählen. In Gedenken an die Opfer und Hinterbliebenen der Erdbebenkatastrophe in der Türkei und in Syrien gab es kurz vor Beginn dieses Topspiel eine Schweigeminute. Als der Ball schließlich rollte, übernahmen die Leipziger das Kommando – in Sachen Ballbesitz.
Doch es war der Leipziger Mannschaft von Trainer Marco Rose anzumerken, welchen Respekt sich Union in den vergangenen Wochen bei der Liga-Konkurrenz erspielt hat. So entwickelte sich – anders als in vielen Duellen zuvor – kein Spektakel mit Leipziger Offensiv-Attacke und Köpenicker Defensiv-Leidenschaft. Es war ein Abtasten auf taktisch gutem Niveau.
Wie es für Union gehen könnte, offenbarte sich in der elften Minute. Wie auf Kommando stürmte Rani Khedira – der defensive Mittelfeldspieler war anstelle von Christopher Trimmel (Bank) Union-Kapitän – los, um die Leipziger unter Druck zu setzen. Prompt wurde es brenzlig im RB-Strafraum, weil auch Janik Haberer plötzlich vor RB-Torhüter Janis Blaswich auftauchte.
Union Berlin agiert zu ungenau
Doch es war auch die Szene, die die Unterschiede zwischen beiden Mannschaften an diesem 20. Spieltag offenlegte. Während sich die Hausherren durch kluges, schnelles und vor allem sicheres Kombinationsspiel zu befreien wussten, blieben bei Union doch zu viele Anspiele unvollendet oder landeten zu schnell wieder beim Gegner. Diese Präzision hatte Coach Fischer jedoch von seiner Mannschaft schon in den Tagen vor der Partie eingefordert, sollte auch das fünfte Liga-Spiel im Jahr 2023 nicht verloren werden.
Beinahe folgerichtig war somit das 0:1 durch Benjamin Henrichs, auch wenn der Treffer praktisch aus dem Nichts fiel. Trimmel-Vertreter Josip Juranovic hatte Benjamin Henrichs vor dem Union-Strafraum zu viel Platz gegönnt. Der Leipziger zog aus rund 20 Metern einfach mal ab, schon lag Union zurück. Torwart Frederik Rönnow berührte den Ball zwar noch, machte bei diesem ersten Torschuss der gesamten Partie jedoch keine gute Figur (24.).
Becker vergibt gute Chance für Union Berlin
Unions Offensivbemühungen im Anschluss lassen sich wie folgt zusammenfassen. Der schnelle Sheraldo Becker war beim nicht weniger schnellen Mohamed Simakan gut aufgehoben. Und Kevin Behrens, im vergangenen April in Leipzig noch Siegtorschütze, mühte sich nach Kräften. Kam jedoch mal eine Flanke in den Leipziger Strafraum, wurde das Kraftpaket gleich von zwei Leipzigern aus dem Spiel genommen.
Die beste Chance zum Ausgleich vergab Becker, der auf der linken Seite nach vortrefflichem Zuspiel von Aissa Laidouni an Leipzigs Torwart Blaswich scheiterte (38.). Zuvor war Innenverteidiger Diogo Leite nicht an ein Zuspiel von Abwehrchef Robin Knoche gekommen (27.).
Wenn es etwas gibt, das Union jedoch gerade in diesen Wochen auszeichnet: Die Mannschaft lässt sich durch Rückschläge nicht aus der Bahn werfen. Nach einem Eckball und dem Klärungsversuch des Leipzigers Dominik Szoboszlai fasste sich Haberer an der Strafraumgrenze ein Herz. Sein Volleyschuss war für RB-Keeper Blaswich nicht zu halten (61.).
Fans von Union Berlin leisten sich verbalen Ausrutscher
Groß war der Jubel im Union-Fanblock, der sich danach jedoch mit drei Transparenten einen derben verbalen Fehltritt leistete. „Red Bull heilt Burnout. Eberl, die Sau, wird zum Bullenschwein“, stand darauf geschrieben. Max Eberl, RB-Geschäftsführer Sport, war vor gut einem Jahr wegen Burnout als Sportdirektor bei Borussia Mönchengladbach zurückgetreten und hatte im Dezember vergangenen Jahres in Leipzig angedockt. „Da fehlt mir jeglicher Respekt, das geht gar nicht. Dafür muss ich mich fast entschuldigen, das ist respektlos“, sagte Fischer.
Wie sehr Unions Profis dieser spektakuläre Ausgleichstreffer jedoch beflügeln sollte, zeigte sich in der Folgezeit. Union zeigte mehr Mut, wie von Fischer vor dem Spiel gefordert. Und Union zeigte Effizienz. Es lief die 71. Minute, als der Leipziger Simakan im Strafraum in eine Abwehraktion sprang – und im Strafraum den Ball deutlich mit dem rechten Arm spielte. Den fälligen Elfmeter verwandelte Knoche zum 2:1 für Union (72.).
Leipzigs Antwort? Der vermeintliche Ausgleich durch den eingewechselten Yussuf Poulsen, den Schiedsrichter Daniel Schlager mit Hilfe des Videobeweises wieder einkassierte, weil bei der Entstehung dieser Torchance Timo Werner im Abseits gestanden hatte (78.). Der Rest war Glück, Geschick – und großer Union-Jubel.
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