Berlin. Oliver Ruhnert, Geschäftsführer Profifußball von Union Berlin, zählt ohne Zweifel zu den Meistern der Rhetorik im Profifußball. Kaum eine Frage, auf die der Manager des Tabellenzweiten der Fußball-Bundesliga keine Antwort findet. Umso erstaunlicher sind dann jene Momente, in denen der 51-Jährige tatsächlich ins Überlegen kommt. Wie bei der Frage, was er der Mannschaft von Trainer Urs Fischer in dieser Saison zutraut.
„Ich kann das ganz schwierig einschätzen“, sagt Ruhnert also, den Blick kurz aus dem Fenster der Loge 910, von der Haupttribüne der Alten Försterei in Richtung Stadioninnenraum gerichtet. „Wir fahren als Zweiter nach Leipzig, am 20. Spieltag, wenn das nicht schon surreal ist. Die Mannschaften, gegen die wir im Februar spielen, haben auf dem Papier eine enorme Qualität“, erklärt Ruhnert also mit Blick auf das Spiel bei RB Leipzig am Sonnabend (18.30 Uhr, Sky), das Europa-League-Duell mit Ajax Amsterdam (16./23. 2.) und das Gastspiel bei Bayern München (26. 2.) – alles im Februar.
Doch Ruhnert ist sich auch bewusst, dass die gerade erst beendete Wintertransferperiode keine normale für die Köpenicker gewesen ist. Sie hat gezeigt, welchen Stellenwert Union in seinem vierten Jahr in der Bundesliga inzwischen besitzt. Josip Juranovic, Aissa Laidouni, Jerome Roussillon – drei Winterzugänge, von denen Ruhnert überzeugt ist, „dass sie uns helfen können. Ich glaube aber nicht, dass wir dadurch konkurrenzfähiger sein werden als Bayern München. Und das gilt auch für die Mannschaften, die hinter uns stehen“, macht Ruhnert am Dienstagnachmittag deutlich – und fügt seiner Ausführung drei entscheidende Worte hinzu: „In der Theorie.“
Dies bezeichnet Ruhnert als Riesengut für Union Berlin
Ruhnert ist bemüht, die Chance auf einen erneuten Sprung ins internationale Geschäft, sogar die Champions League ist möglich, nicht kleiner zu reden, als sie ist. Der Vorsprung auf Rang sieben, den ersten Nicht-Europapokal-Platz, beträgt immerhin schon zehn Punkte. Gleichzeitig versucht er akribisch, jene Bodenständigkeit zu bewahren, mit der Union sich in die ausgezeichnete Ausgangslage gebracht hat.
„Dieses Empfinden, dass man arbeiten, etwas machen muss, auch um bestimmte Wettbewerbsnachteile wettzumachen, ist hilfreich, wenn man Überraschungen schaffen will“, sagt Ruhnert. Und: „Dass wir schon für die nächste Bundesliga-Saison planen können, ist ein Riesengut. Da muss man sagen: danke Trainer, danke Mannschaft.“ Und eben diese Mannschaft hat durch das Trio Juranovic/Laidouni/Roussillon noch einmal an Qualität gewonnen – trotz der Abgänge von Julian Ryerson (Borussia Dortmund), Genki Haraguchi (VfB Stuttgart) und Tymoteusz Puchacz (Panathinaikos Athen).
Ruhnert erklärt die Transferpolitik von Union Berlin
Der Fachmann staunt, der Laie wundert sich. Und Ruhnert erklärt wie folgt: „Dadurch, dass Puchacz gewechselt ist, mussten wir etwas machen. Wir haben Roussillon gewollt und geholt. Der Wechsel von Ryerson kam überraschend, deswegen mussten wir reagieren. Laidouni hatten wir schon länger auf dem Schirm, aber bislang waren andere Summen im Spiel. Und bei Juranovic hatten wir das Glück, dass wir im richtigen Moment gekommen sind.“
Wohl wissend: „Vor einigen Jahren hätten die Spieler eher nein gesagt. Bei Juranovic sind wir mit der Erwartung in die Gespräche gegangen, dass es eigentlich nicht klappt. Doch sie haben gesehen, dass hier auch erfolgreich gearbeitet worden ist. Das macht es natürlich einfacher.“
Isco-Anfrage war für Union Berlin nur logisch
Über den geplatzten Isco-Transfer – die Agentur des Spaniers hatte trotz ausgehandelten Vertrags Nachforderungen gestellt – ließ Ruhnert wissen: Union sei auf die Idee gekommen, „als er in Sevilla ausgeschieden ist“ und die Chance für eine Verpflichtung als „wahrscheinlich unwahrscheinlich“ eingestuft. „Aber wir haben es versucht.“
Isco, fünfmaliger Champions-League-Sieger mit Real Madrid, habe immer noch ein sportlich ambitioniertes Zeil gesucht, so Ruhnert. Dies sei mit der Bundesliga gegeben. „Und warum nicht anfragen und mit ihm sprechen? Sonst hätten wir zum Beispiel auch einen Neven Subotic oder einen Max Kruse nie holen können. Das Umfeld hier, auch die Stadt Berlin selbst, sind mit Sicherheit interessant.“
Union Berlin freut sich über positive Typen
Es ist das kleine Einmaleins der Kaderzusammenstellung, dessen Aufgaben zu lösen jedoch nicht einfacher werden durch die Entwicklung, die Union genommen hat seit dem Aufstieg 2019. „Einfacher ist es definitiv nicht geworden“, gesteht Ruhnert, „es ist anders geworden, weil du deinen Fokus ein bisschen verschiebst. Wenn du in der Bundesliga Elfter, Siebter und Fünfter geworden bist, hast du ja schon eine Qualität in der Mannschaft. Dann schaust du, wie kannst du deine Mannschaft verstärken. Doch du brauchst auch jemanden, der zu dieser Überzeugung des Trainers passt.“
Spieler, die sich und ihre Qualitäten ganz im Fischerschen Sinne in den Dienst der Mannschaft stellen. Ruhnert ist sich sicher, sie in der Winterpause gefunden zu haben. So seien laut Ruhnert Juranovic und auch Roussillon „jetzt schon in der Kabine sehr positive Typen, das haben wir uns auch gewünscht“. Ähnliches erhofft sich Union auch von Laidouni.
Was ist also in dieser Saison von Union zu erwarten? „Wenn wir eine Topplatzierung am Ende haben, würde ich sie sofort nehmen. Und wir alle würden uns super freuen, wenn wir noch mal ein Jahr international spielen dürfen.“ Die Antwort, ob er enttäuscht wäre, sollte dies nicht gelingen, ließ er offen.
Mehr über Union Berlin lesen Sie hier.