Kolumne

Nico Schulz – Von einem, der auszog und sich selbst fand

| Lesedauer: 4 Minuten
Jörn Meyn
Nico Schulz wechselte im August 2015 für vier Millionen Euro von Hertha zu Borussia Mönchengladbach. Nach einem Jahr Pause wurde er in dieser Saison bereits sechs Mal eingewechselt

Nico Schulz wechselte im August 2015 für vier Millionen Euro von Hertha zu Borussia Mönchengladbach. Nach einem Jahr Pause wurde er in dieser Saison bereits sechs Mal eingewechselt

Foto: Lee Smith / REUTERS

15 Jahre war Nico Schulz bei Hertha. Dann ging er nach Gladbach, verlor eine Saison, aber lernte etwas. Nun kehrt er zurück nach Berlin.

Als der Arzt anrief und die Diagnose durchgab, wollte Nico Schulz schreien. Aber er konnte nicht. Oben im Haus schlief Tochter Layla Valentina. Die durfte er nicht wecken. Unten im Erdgeschoss hielt Schulz das Telefon in der Hand und hatte das Gefühl, dass der Boden schwimmt. Riss des vorderen Kreuzbandes im linken Knie. Mindestens ein halbes Jahr Pause. Vollbremsung auf einer Reise, zu der er eben erst aufgebrochen war.

Fußball ist oft radikale Plötzlichkeit. So plötzlich 15 Jahre für ihn bei Hertha BSC geendet hatten und Schulz im August 2015 für vier Millionen Euro zu Borussia Mönchengladbach gewechselt war, so abrupt platzte nun der Traum, mit dem neuen Klub Champions League zu spielen. Reha im Kraftraum neben der Mannschaftkabine im Gladbacher Stadion und Königsklasse höchstens von der Tribüne aus.

Ein Jahr ist das her, und Nico Schulz überlegt nun am Telefon, ob es ein verlorenes war: „Ja, das kann man schon sagen. Ich war eine komplette Saison raus und konnte nicht zeigen, warum man mich geholt hat“, sagt der 23-Jährige.

Der Traum von der Champions League erfüllte sich

Ich habe ihn angerufen, weil das verlorene Jahr jetzt überwunden ist, weil seine Reise wieder Fahrt aufgenommen hat und Schulz an diesem Freitag erstmals gegen Hertha antreten wird – den Klub, bei dem der in Berlin geborene Sohn einer Deutschen und eines Italieners mit 17 Profi wurde.

Fünfmal wurde der Linksfuß für Gladbach in dieser Saison eingewechselt. Einmal in der Champions League gegen Celtic Glasgow für vier Minuten. Er lächelte, als er das Feld betrat. Endlich Königklasse vom Rasen aus. Schulz sagt, er habe in der Zeit seiner Verletzung viel über sich selbst gelernt. „Dass man klar im Kopf bleiben muss und niemals daran zweifeln darf, wieder zurückzukommen.“ Jetzt ist er zurück: auf dem Platz und in Berlin.

Der Fußball ist auch ein Gefäß für Romantik, für Kitsch. Viele seiner Geschichten sind Rückkehrer-Storys. „Gegen die Alte Liebe“ schreibt man dann, wenn einer mal wieder auf einen seiner Ex-Klubs trifft. Aber bei Nico Schulz sind es dann doch echte Gefühle. Vielleicht keine romantischen, sondern eher Gefühle von Kindheit.

Mit sieben kam er zu Hertha und blieb trotz Liverpool-Angebot

Mit sieben kam er zu Hertha und blieb auch, als er mit 15 ein Angebot vom englischen Topklub FC Liverpool bekam. Er wurde dort Jugendnationalspieler, rückte auf zu den Profis, ging durch Leistungstäler wie jeder Emporkömmling und fand die Vorstellung schön, eine ganze Karriere für nur einen Klub zu spielen wie sein großes Vorbild Paolo Maldini. Als Hertha ihn im Sommer 2015 vor die Wahl stellte, seinen auslaufenden Vertrag zu verlängern, oder notgedrungen verkauft zu werden, entschied er sich für das Neue.

„Ich wollte mich persönlich weiterentwickeln. Mal raus aus Berlin und dem Verein, den ich in- und auswendig kannte. Ich wollte eine neue Herausforderung und sehen, was sie mit mir macht“, sagt Schulz. Das Gewohnte kann schön und bremsend zugleich sein. Schulz zog aus, um zu schauen, was da jenseits von Hertha ist – und fand zunächst sich selbst.

SMS an Alexander Baumjohann

„Die Zeit in Gladbach hat mich als Mensch weitergebracht“, sagt er. Er sei selbstständiger geworden, weil er sich entfernt von Freunden und Familie alles neu aufbauen musste. Kein einziges Mal war er während seiner Verletzung in Berlin, sagt Schulz. Es sollte kein Zurück mehr geben, er wollte richtig ankommen bei der Borussia – trotz gerissenem Kreuzband.

Nur zu seinem Ex-Kollegen bei Hertha nahm er Kontakt auf. Er schrieb Alexander Baumjohann, der schon zwei Mal dieselbe Verletzung hatte, eine SMS: „Wo hast du dich operieren lassen? Was würdest du mir raten?“ Ansonsten hat Schulz viel mit sich allein ausgemacht. Die Reise sollte auf einer Nebenfahrbahn weitergehen.

Wenn er nun zum ersten Mal als Hertha-Gegner ins Berliner Olympiastadion zurückkehrt, dann wird das „besonders“, sagt Schulz. Ob er das alles mit dem Wissen von heute noch einmal so entscheiden würde, frage ich ihn zum Schluss. Nico Schulz überlegt kurz und sagt: „Auf jeden Fall. Ich bereue nichts.“